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Twitter verschärft Nutzungsrichtlinien
"Ich glaube, Demokratie ist denen einigermaßen egal"

Mit verschärften Nutzungsrichtlinien will der Kurznachrichtendienst Twitter gegen Hass und Hetze im Internet vorgehen - eine Strategie, die Frank Rieger vom Chaos Computer Club Bauchschmerzen bereitet. "Letzten Endes bin ich der Meinung, dass man lieber mit Argumenten gegen solche Leute gewinnen sollte und nicht mit dem Verbot der Kommunikation."

Frank Rieger im Gespräch mit Silke Hahne | 30.12.2015
    Silke Hahne: Der Kurznachrichtendienst Twitter hat seine Richtlinien zum Umgang mit Hetzbotschaften und Drohungen überarbeitet. Die neuen Regeln sind konkreter als die alten. Zum Beispiel heißt es, dass die Firma keine Zugänge mehr dulden will, die zum Hass aufgrund von Religion oder nationaler Herkunft aufrufen. Kritiker hatten Twitter vorgeworfen, unter anderem der Terrormiliz IS eine Plattform zu bieten. Inwiefern aber ist ein an sich kommerzielles Unternehmen dazu verpflichtet, sich für freie Meinungsäußerung und damit ein Stück für demokratische Grundwerte einzusetzen? Darüber konnte ich vor dieser Sendung mit Frank Rieger sprechen, er ist Internetaktivist und einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs. Der hat in den vergangenen Tagen seinen Chaos Communication Congress in Hamburg abgehalten, und dort habe ich Frank Rieger erreicht und ihn zunächst gefragt: Eine Änderung der Nutzungsrichtlinien, das klingt erst einmal nicht besonders entschlossen - für wie wirksam halten Sie diesen Schritt?
    Frank Rieger: Das wird am Ende davon abhängen, wie sehr die in der Praxis genutzt wird und wofür vor allem. Das Hauptproblem bei solchen, ja, privaten Plattformen, die sich als ihre Gesetze ... ihre Nutzungsregeln geben, ist halt, dass man nie vorher genau weiß, wofür die dann benutzt werden. Also, nehmen wir mal als Beispiel so was wie das Recht auf Vergessen, was ja durchgesetzt wurde gegen Google auf gerichtlichem Wege, da war es ja vorher so, dass alle dachten, okay, gut, das wird halt von armen Opfern benutzt werden, die versuchen halt, Informationen über sich aus dem Internet rauszubekommen. In der Praxis wurde es benutzt dafür, dass Leute, die halt wirklich Dreck am Stecken hatten und wo die Öffentlichkeit eigentlich ein Recht hat zu erfahren, dass sie Schurken sind, die Informationen aus Medien weggeklagt haben. Und wie es halt bei Twitter dann tatsächlich genutzt werden wird, also ob das tatsächlich wirklich benutzt werden wird, nur um Accounts von Extremisten dicht zu machen, hängt dann am Ende auch wiederum davon ab, welche Definition von Extremismus man ansetzt. Und das wird sich dann halt erst in der Praxis erweisen. Prinzipiell habe ich da eher Bauchschmerzen mit, weil, letzten Endes bin ich der Meinung, dass in sehr weitem Umfange eigentlich man lieber mit Argumenten gegen solche Leute gewinnen sollte und nicht irgendwie mit dem Verbot der Kommunikation.
    Twitter - ein Kommunikationsdienst ohne Kontaktmöglichkeit?
    Hahne: Sie sprechen die Argumente schon an, soziale Medien ermöglichen ja eben Kommunikation, den Austausch von Argumenten und dadurch eben auch ein Stück weit demokratischen Diskurs. Wie viel Demokratie steckt denn in den Geschäftsmodellen von Twitter und Co.?
    Rieger: Ja, ich glaube, Demokratie ist denen einigermaßen egal. Die sind natürlich immer gerne dabei, wenn sie sich halt in der Presse damit brüsten können, dass sie irgendwas getan haben, was irgendwie nach mehr Demokratie und Mannesfreiheit aussieht, aber am Ende geht es denen halt primär darum, dass sie halt irgendwie Geld verdienen mit Werbung. Das heißt also, solange es ihnen nutzt, dass es so aussieht, dass sie demokratische Institutionen sind, werden sie das versuchen aufrechtzuhalten. Wenn sie merken, dass es ihnen nicht mehr nutzt, zum Beispiel weil ihre Werbekunden sagen irgendwie, neben dieser oder jenen etwas merkwürdigen Ansicht würden wir gerne unsere Werbung nicht platzieren, dann ändert sich da ganz schnell der Wind. Also insofern, darauf zu vertrauen, dass diese Unternehmen jetzt, sagen wir mal, diesen eher amerikanisch geprägten Umgang mit Meinungsfreiheit, der doch so ein relativ absolutes Recht auf Meinungsfreiheit postuliert, nun auch in der Praxis umsetzen, wenn es halt gegen ihre Geschäftsinteressen geht, ist glaube ich verfehlt.
    Hahne: Das heißt, es ist wirtschaftlich momentan besser für die Unternehmen, Nutzer einzuschränken, anstatt zuzulassen, dass sie sich gegenseitig mit Hass und Hetze aus dem Netzwerk drängen?
    Rieger: Es geht ja nicht nur um Hass und Hetze. Also, das Spektrum der Meinung ist ja extrem weit. Und die Frage ist halt, an welchem Punkt wird sozusagen die Grenze überschritten, wo es dann eben nicht mehr um unzweideutigen Extremismus geht, sondern um, wie wir es in Großbritannien zum Beispiel haben, wo dann halt schon Leute, nur weil sie halt Arabisch sprechen, halt irgendwie gleich des Terrorismus' verdächtigt werden ... Und diese Grenzziehung in der Praxis macht dann halt am Ende auch den Effekt aus. Und ist halt immer ein gewisses Element der Willkür dabei. Weil, wenn man mal versucht, da mit jemandem zu reden bei Twitter, da kann man ja nicht mal jemand anrufen. Da gibt es auch nicht eine E-Mail-Adresse, wo man sich hinwenden kann, um mal so ein Problem zu diskutieren, sondern das ist dann halt immer so eine quasi Entscheidung, gegen die es halt irgendwie keinerlei irgendwie geartete Möglichkeit des Widerspruchs gibt.
    Hahne: Jetzt sind Twitter und andere soziale Netzwerke ja andererseits eben gewinnorientierte Unternehmen und das weiß auch eigentlich jeder Nutzer. Und das Demokratisierungsversprechen des Internets, was in den 90ern ja unglaublich hochgehalten wurde, wackelt eben auch durch eine gewisse Kommerzialisierung, die da stattgefunden hat, des öffentlichen Raums. Muss Twitter da wirklich für freie Meinungsäußerung eintreten, ist das auch eine moralische Frage, eine wirtschaftsethische Frage?
    Rieger: Tja, es ist halt eigentlich die Frage nach dem ... Sind öffentliche Plätze, die privat besessen werden auch im digitalen Raum, wessen Recht unterliegen die? Sind die halt dem Privatrecht dieser Plattform unterworfen? Gibt es da universelle Grundsätze? Ich denke eigentlich, dass, wenn man eine Kommunikationsplattform anbietet, man sich verpflichten sollte, halt einen möglichst weiten Umfang auch, irgendwie Meinungen aller Art zuzulassen, weil, in dem Moment, wo man halt anfängt, sich dann nationalen Besonderheiten und Merkwürdigkeiten zu unterwerfen, geht es dann halt eben doch ganz schnell los, dass zum Beispiel die Saudis sagen, dieses oder jenes darf halt hier nicht publiziert werden. Oder die Chinesen sagen, dieses oder jenes darf hier nicht publiziert werden, oder die Russen. Wenn man da halt einmal anfängt einzuknicken als Unternehmen, weil man halt den Werbemarkt in den entsprechenden Ländern halt im Auge hat, dann ist man da halt schon so auf dem absteigenden Ast. Weil, da kommen dann halt alle aus den Löchern und wollen was.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.