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Twittern im US-Wahlkampf
"Trump hält sich nicht mehr an gewisse Regeln"

Präsidentschaftskandidat Donald Trump twittere auch selbst und könne daher nicht gesteuert werden über sein Wahlkampf-Team, sagte die Sprachwissenschaftlerin Patricia Yazigi im DLF. Seine demokratische Gegnerin Hillary Clinton dagegen halte sich zu sehr an die Spielregeln - und wirke weniger authentisch.

Patricia Yazigi im Gespräch mit Dörte Hinrichs | 03.11.2016
    Social Media Board in der Hofstra University, auf dem TV-Debatten zwischen beiden Präsidentschaftskandidaten ankündigt werden.
    US-Amerikaner nutzen Twitter auch im Alltag gern und häufig - darum spielen Social Media im US-Wahlkampf eine wichtige Rolle. Hier Social Media Board in der Hofstra University zum US-Wahlkampf. (imago / Zuma Press)
    Präsidentschaftskandidat Donald Trump twittere auch selbst und könne daher nicht gesteuert werden über sein Wahlkampf-Team, sagte die Sprachwissenschaftlerin Patricia Yazigi im DLF. Seine demokratische Gegnerin Hillary Clinton halte sich dagegen fast schon zu sehr an die Regeln - und wirke dadurch weniger authentisch.
    Dörte Hinrichs: Wie kommunizieren Politikerinnen und Politiker über Twitter? Dieser Frage nachzugehen, ist zurzeit besonders spannend, wenn man sich den amerikanischen Wahlkampf ansieht. Über Face Work, die sozialen Medien und den US-Wahlkampf hat in dieser Woche Dr. Patricia Yazigi gesprochen in ihrem Auftaktvortrag der Vorlesungsreihe "Digitale Lebenswelten", der gerade an der Uni Hildesheim gestartet ist. Die Sprachwissenschaftlerin befasst sich mit politischer Kommunikation in sozialen Medien und hat in ihrer Dissertation den US-Wahlkampf 2012 auf dem Onlinenetzwerk Twitter untersucht. Sie hat die Profile von Barack Obama und Mitt Romney verglichen und sich angesehen, wie die beiden Kandidaten sich sprachlich positionieren. Mit ihr habe ich vor der Sendung gesprochen, schönen guten Abend, Frau Yazigi!
    Patricia Yazigi: Guten Abend!
    Hinrichs: Frau Yazigi, Ihre Studie stützt sich auf Tweets, die im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf vom Team Obama und vom Team Romney über die Onlineplattform Twitter im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 6. November 2012 versendet wurden. Wie wichtig war denn damals ein Medium wie Twitter für den US-Wahlkampf?
    Yazigi: Twitter war schon 2012 im Wahlkampf ein sehr wichtiges Medium. Das liegt vor allem auch daran, wenn man sich mal anschaut, wie stark Twitter in den USA verbreitet ist. Weltweit sind über 20 Prozent aller Twitter-Profile alleine schon amerikanische Profile, und Twitter ist in den USA ein ganz zentrales Portal, das von den Bürgern im Alltag und auch regelmäßig genutzt wird.
    Ich hatte gesehen, dass die Wähler und auch die Bürger nicht mehr in erster Linie auf traditionelle Medien wie große Tageszeitungen zugreifen, dass diese Medien nicht mehr zwingend für den Wähler die erste Wahl sind, um sich zu informieren, sondern Wähler eher dahin tendieren, sich die Informationen vermeintlich direkt unmittelbar vom Kandidaten einzuholen, und das beispielsweise eben über dessen Twitter-Profil.
    Und zudem muss man auch sagen, durch diese Begrenzung auf diese 130 Zeichen stellt Twitter ja auch diese Essenz der Botschaften heraus. Das heißt, es ist kurz, es ist leicht verdaulich, ein sehr kompaktes Medium, das ich als Bürger im Alltag immer wieder zwischendurch über meinen Desktop oder auch über mein Smartphone in der S-Bahn aufrufen kann, um mich zu informieren. Und daher hat Twitter einfach diese besondere Stellung im Wahlkampf eingenommen.
    "Obama wurde als Web-2.0-Präsident gefeiert"
    Hinrichs: Wie intensiv haben denn Obama und sein damaliger republikanischer Herausforderer Mitt Romney Twitter für ihren Wahlkampf genutzt?
    Yazigi: Beide Kandidaten haben das Medium schon sehr intensiv genutzt. Wir sprechen hier von mehreren Tweets pro Tag, die abgesetzt wurden – also Obama twittert schon ungefähr zehnmal mehr als Romney. Obama wurde ja auch schon 2008 aufgrund seiner erfolgreichen Wahlkampfführung in Bezug auf die Nutzung sozialer Netzwerke und vor allem auch schon in Bezug auf die Nutzung von Twitter als der erste Web-2.0-Präsident gefeiert, und das merkt man auch, dass er da diesen Vorsprung hat und Romney da nachzieht. Das ist ja eher ein Medium, in dem leichter witzig oder auch leicht ironisch kommuniziert werden kann, und diesen Ton trifft Obama da natürlich sehr schön. Romney bleibt da in seiner Kommunikation eher konservativ in einer sehr politisch offiziellen Sprache.
    Hinrichs: Was haben Sie bei Ihrer Studie konkret untersucht?
    Face und Face Work
    Yazigi: Ich habe bei meiner Studie untersucht, wie die beiden Kandidaten auf Twitter kommunizieren, also wie sich das Verhalten beider Kandidaten auf Twitter inhaltlich ausdrückt, und ich habe da auf dieses Korpus, also auf diesen Tweet aus sprachwissenschaftlicher Brille geschaut, und ich habe da die sprachwissenschaftlichen Konzepte Face und Face Work untersucht.
    Hinrichs: Können Sie das vielleicht kurz erläutern, was sich dahinter verbirgt?
    Yazigi: Face ist sozusagen das Bild, das ich von mir selbst habe und von dem ich auch möchte, dass es mein Gegenüber, mein Kommunikationsteilnehmer so wahrnimmt, wie ich das sehe. Und Face Work sind dann sozusagen diese sprachlichen und interaktionalen Strategien, die ich einsetze, um eben dieses Face immer wieder neu zu verhandeln.
    Kandidaten inszenieren sich in unterschiedlichen Rollen
    Hinrichs: Welches Selbstbild, welche Profile als Person und Politiker haben die Kandidaten denn via Twitter von sich gezeichnet?
    Yazigi: Beide Kandidaten inszenieren sich in zwei unterschiedlichen Rollenblöcken. Zum einen inszenieren sie sich in privaten Rollen, also beispielsweise als Ehemann, als Familienvater, und dann aber auch in öffentlich-politischen Rollen, also in ihrer Funktion als Politiker und als politische Akteure innerhalb des Wahlkampfs.
    In diesen Rollen, beispielsweise in den Politikerrollen, versuchen natürlich beide Kandidaten, möglichst viele positiv belegte Werte für sich zu beanspruchen, die, ich sage mal, eines Präsidenten angemessen sind. Das sind so Werte wie Führungsstärke, Durchsetzungsvermögen, Verlässlichkeit et cetera, und genau diese Werte sprechen sie sich aber dann auch gegenseitig immer wieder ab. Also Romney verhält sich schon eher kämpferisch in seinen Tweets, man könnte auch teilweise ihm das schon als eine gewisse Verbissenheit auslegen, und Obama hat eben diesen Vorteil, dass er das Ganze auch ein bisschen gelassener kommunizieren kann zumindest, weil er eben auch diesen Vorteil hat, dass er schon zeigen kann, was hab ich bereits als Präsident gemacht. Er hat quasi schon diese Bestätigung, und Romney kann am Ende des Tages nur herausstellen, was alles nicht funktioniert hat unter der Obama-Regierung und kann dann in einem zweiten Schritt auch nur Wahlversprechen machen, er hat da keine Beweise sozusagen.
    "Hier geht es jetzt um Hillary als Frau"
    Hinrichs: Gibt es bestimmte Regeln, bestimmte Tabus beim Twittern im US-Wahlkampf?
    Yazigi: Auf den ersten Blick scheint es wenig Tabus zu geben, vor allem wenn man bedenkt, wie offen die Kandidaten sich gegenseitig angreifen. Wenn man sich jetzt mal den Wahlkampf 2016 anschaut – abgesehen davon, dass dieser natürlich um einiges extremer ist als 2012 und da auch einiges an Regeln gesprengt wird –, konnte ich doch da auch feststellen, dass die Kategorien, die ich in meiner Arbeit anhand meines Korpus entwickelt habe, doch auch noch 2016 greifen.
    Also beide Kandidaten – Hillary und Trump – greifen sich ja gegenseitig aufs Schärfste an, und Hillary Clinton wird ja auch von Trump diverse Male angegriffen. Sie wird als verlogen dargestellt, sie ist ein Risiko für die nationale Sicherheit, korrupt, eine Lügnerin, kriminell, also die Liste ist lang, aber Hillary wird hier immer in ihrer Rolle als politische Gegnerin angegriffen. Und dann sagt Trump eben diese zwei Worte, "nasty woman", und der Aufschrei ist groß. Ich würde jetzt mal frei nasty woman so als "boshaftes Weibsstück" vielleicht übersetzen.
    Und dieser Aufschrei passiert eben deswegen, weil es hier nicht mehr um Hillary nur als politische Rivalin geht, die die Schläge durchaus einstecken darf und auch sollte, sondern hier geht es jetzt um Hillary als Frau, als wirklich weibliches Mitglied der Gesellschaft. Und entsprechend fühlen sich auch sehr, sehr viele Frauen in den USA durch diese Beschimpfung angegriffen, das heißt, Trump hat hier nicht mehr gegen die richtigen Rollen geschossen.
    Hinrichs: Sie haben schon Bezug drauf genommen, im aktuellen Wahlkampf spielen die Social-Media-Teams von Hillary Clinton und Donald Trump eine große Rolle, Trump wird sogar als Twitter-Titan bezeichnet. Das heißt, sie schießen mit diesen 130 Zeichen gegeneinander in gleicher Weise wie im letzten Wahlkampf, oder sehen Sie auch markante Unterschiede?
    "Trump kann teilweise nicht gesteuert werden über sein Team"
    Yazigi: Wenn ich mir die Kommunikation von Hillary Clinton anschaue, dann kann ich schon sagen, dass diese sehr ähnlich ist zu dem Verhalten im Wahlkampf 2012. Clinton hält sich da schon sehr an die Spielregeln. Fast auch schon ein bisschen zu sehr, muss ich sagen, vieles wirkt einfach zu pünktlich, zu bedacht, fast wie auswendig gelernt, das heißt, diese Authentizität geht ihr da etwas verloren.
    Wenn man sich allerdings Trump anschaut, dann muss man die Frage verneinen. Das liegt zum einen schon daran, dass Trump sich natürlich sein Media-Team oder nicht nur sein Media-Team, sondern sein ganzes Wahlkampfteam allgemein aus dem rechten populistischen Spektrum geholt hat, und Trump stellt zudem eine Besonderheit dar, weil er eben auch dann doch spontan und auch selbst twittert, das heißt, er kann teilweise nicht gesteuert werden über sein Team. Und das ist natürlich eine Besonderheit, weil er sich da an gewisse Regeln einfach nicht mehr hält, und diese Ausschläge, die erkennt man auch in der Kommunikation.
    Hinrichs: Ja, vielen Dank! Dr. Patricia Yazigi war das, die sich mit dem Twittern der US-Präsidentschaftskandidaten befasst hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.