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Typ-1-Diabetes
Impfung gegen Rotaviren schützt vor Zuckerkrankheit

Eine Impfung gegen Rotaviren senkt offensichtlich das Risiko von Kindern, bereits in frühen Jahren an Typ-1-Diabetes zu werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie aus Australien, die von einer weiteren US-Studie bestätigt wird. Ein Durchbruch im Kampf gegen die Erkrankung ist dies jedoch noch nicht.

Von Volkart Wildermuth | 23.10.2019
Eine Insulinspritze
Wer bereits in jungen Jahren an Typ-1-Diabetes erkrankt, muss sich sein Leben lang Insulin spritzen, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren. (picture alliance / Photoshot)
Der Typ-1-Diabetes ist auf dem Vormarsch: "Die Neuerkrankungsrate hat sich in den letzten 25 Jahren verdoppelt. Und es gibt keine andere chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalters, die mit dieser Dynamik voranschreitet."
Andreas Neu dokumentiert diese Entwicklung am Universitätsklinikum Tübingen. Inzwischen erkranken in Deutschland jedes Jahr rund 3.000 Kinder neu an einem Typ-1-Diabetes, müssen für den Rest ihres Lebens Insulin spritzen. Auch weltweit steigen die Zahlen, in Australien allerdings scheinen sie sich in jüngster Zeit zu stabilisieren. Leonard Harrision von der Universität Melbourne vermutet, dass hier eine Impfung eine positive Nebenwirkung zeigt.
"Als 2007 in Australien die Impfung gegen Rotaviren eingeführt wurde, sank die Häufigkeit des Typ-1-Diabetes vor allem bei jungen Kindern."
Das konnte Leonard Harrison im Frühjahr mit einer Studie an australischen Kindern nachweisen.
Sinkende Fallzahlen dank Rota-Impfung?
Dass eine Impfung gegen Rotaviren auch einen Einfluss auf den Typ-1-Diabetes hat, ist unerwartet, aber es gibt eine Erklärung, so Andreas Neu.
"Gewisse Viren haben an ihrer Oberfläche eine Struktur ähnlich wie die Struktur der insulinproduzierenden Zellen. Wenn nun also das Immunsystem diese Viren abwehrt, so kann es gleichsam als Nebeneffekt zu einer Schädigung der Inselzellen des Pankreas kommen und somit einen Typ-1-Diabetes auslösen. Wir bezeichnen das im Fachjargon als molekulares Mimikry."
Dieses molekulare Mimikry konnte Leonard Harrison bei den Rotaviren in Laborexperimenten tatsächlich nachweisen. Er betont, dass die Viren deshalb aber nicht die alleinige Ursache des Typ-1-Diabetes sind.
"Viele Kinder erkranken an Rotaviren, aber nur wenige entwickeln Diabetes. Die Gene spielen eine wichtige Rolle und vielleicht auch das Mikrobiom."
Ein Teil der Typ-1-Diabetes-Fälle ließe sich verhindern
Typ-1-Diabetes ist eine Krankheit, bei der viele Einflussfaktoren zusammenkommen. Deshalb kann sie eine Impfung gegen die Durchfallviren alleine auch nicht wirksam verhindern. Aber sie senkt eben das Risiko. Von 100.000 ungeimpften australischen Kindern entwickelten 24 einen Typ-1-Diabetes in den ersten vier Lebensjahren. Bei geimpften Kindern waren es nur etwa rund 21. Der Unterschied klingt nicht sehr große, aber es ist der erste Hinweis darauf, dass sich ein Teil der Fälle von Typ-1-Diabetes verhindern lässt. Im Sommer zeigte eine Studie aus den USA, dass der Einfluss der Rotavirenimpfung sogar noch größer sein kann. Leonard Harrison:
"Sie konnten einen Rückgang um 33 Prozent durch die Rotavirenimpfung belegen. Das ist ein großer Nutzen für die Familien, eine große Zahl an Kindern ist nicht am Typ-1-Diabetes erkrankt."
US-Studie beziffert Rückgang auf 33 Prozent
Allerdings nur, wenn sie das komplette Impfschema gegen Rotaviren durchlaufen hatten. Solche Beobachtungsstudien liefern wertvolle Hinweise, einen Beleg für einen direkten Kausalzusammenhang zwischen Impfung und Rückgang der Diabeteszahlen liefern sie nicht. Zumal die Rotavirenimpfung in Finnland überhaupt keinen Effekt zeigte, betont Andreas Neu.
"Denkbar wäre, dass in diesen Bevölkerungsgruppen andere Viren eine Rolle spielen, aber das wissen wir bislang nicht. Trotzdem geben diese Studien natürlich wichtige Einblicke in die Entstehung eines Typ-1-Diabetes und bieten damit natürlich auch eine gewisse Hoffnung, auf eine mögliche Prävention."
Derzeit laufen viele Studien, die hier unterschiedliche Strategien erproben. Eine Möglichkeit ist etwa, Kinder mit einem erhöhten Risiko kleine Mengen Insulinpulver zuzufüttern, damit ihr Immunsystem eine Toleranz für das Hormon entwickelt. Die Rotavirenimpfung könnte ein weiteres Element zum Schutz dieser Kinder darstellen. Wie groß ihr Einfluss wirklich ist, müssen Folgestudien zeigen, das betont auch Leonard Harrision. Aber das Gute ist: Die Impfung wird ja sowieso empfohlen, ihr möglicher Schutzeffekt gegen den Typ-1-Diabetes ist nur ein weiteres Argument, die Kinder tatsächlich vollständig impfen zu lassen.