Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Typische ukrainische Politiker?

Der Held in Andrej Kurkows neuem Roman ist der Präsident der Ukraine. Wie alle Politiker, die in den Romanen des Schriftstellers auftauchen, ist er zufällig in der Politik gelandet und dafür weder ausgebildet, noch hat er das nötige Wissen. Dem entsprechend peinlich benimmt er sich. Damit ist er laut Kurkow ein typischer ukrainischer Politiker nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Von Tatjana Montik | 01.09.2005
    Der Andreas-Hügel in Kiew ist der Lieblingsort des 44-jährigen Schriftstellers Andrej Kurkow. Die gleichnamige Straße, der Andrejewskij spusk, Andreas-Abhang, gilt als das Montmartre von Kiew und ist ein beliebter Treff der Kiewer Künstler, Musiker und Kunsthandwerker. Schmucke kleine Galerien, romantische Cafés und zahlreiche historische Häuser reihen sich an dieser engen gepflasterten Straße aneinander.

    Alles atmet hier Geschichte. Für die Kiewer ist der Andreas-Abhang die wichtigste Flaniermeile ihrer Stadt. Er verbindet die Oberstadt, einst Sitz des Kiewer Adels, mit dem jüdischen Podol, der Unterstadt, einst Wohnort von Händlern und Handwerkern. Oben am Straßenanfang, von der barocken Andreas-Kirche, öffnet sich ein wunderschöner Ausblick auf die Unterstadt Podol.

    Der Autor Kurkow lässt die Handlungen seiner Romane sich sehr oft am Andreas-Hügel entfalten. Der Held seines neuen Buches, der Präsident der Ukraine, Sergej Pawlowitsch Bunin, lebt in einem großen komfortablen Appartement mit Blick auf die Andreas-Kirche. Andrej Kurkow zeigt auf das sechsstöckige graue Haus, in dessen zur Andreas-Kirche zugewandten Seitenwand sich in der oberen Etage nur ein einziges Fenster befindet. Es sei die Wohnung des ukrainischen Ex-Präsidenten Leonid Kutschma, sagt Andrej.

    "Dieses einzige Fenster wurde nach der Forderung von Kutschmas Frau Ludmila durchgebrochen - für einen direkten Ausblick aus ihrem Badezimmer auf die Andreas-Kirche. Vor diesem Fenster verweilt mein Held, Präsident Bunin, besonders oft und gerne. Dabei nimmt er kalte Bäder mit Eis, trinkt gleichzeitig Wiskey ohne Eis und hört dazu die Platten von Schaljapin. In diesen Minuten lässt ihn eine Frage nicht los: Hat Schaljapin seine Frau geschlagen oder hat er nicht? Letztendlich entscheidet er: Schaljapin wird seine Frau bestimmt geschlagen haben, aber das - mit einem triftigen Grund und dazu noch liebevoll."

    Politiker, die der Autor gerne zu den Helden seiner Romane macht, landen bei Kurkow meistens zufällig in der Politik. Deshalb haben sie dafür weder eine Ausbildung, noch das nötige Wissen oder die nötige Erfahrung. Und so kommt es, dass sich die Politiker in Kurkows Büchern oft peinlich aufführen, sie bedienen sich einer obszönen Lexik und können sogar ihre Frauen schlagen. Das alles entspricht - so Kurkow - dem Porträt eines typischen ukrainischen Politikers in den ersten 13 Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

    In der "Galerie 36" am Andreas-Abhang lässt Andrej Kurkow die Handlungen einiger seiner Geschichten spielen. Der Eingang in diese hübsche kleine Kunsthandlung befindet sich etwas abseits der Straße. Die Galerie liegt im Souterrain eines alten Hauses. In drei gedrungenen Räumen mit in Weiß ausgemalten Wänden findet man Bilder zeitgenössischer ukrainischer Künstler. Der winzige Vorraum mit zwei gemütlichen Sofas und einem Couchtisch ist voll behangen mit den Relikten der Kiewer Vergangenheit: antiken Schreibmaschinen, alten Werbepostern und Fotos, mit Leuchtern aus Kupfer und einer umfangreichen Sammlung alter Scheren. Die "Galerie 36" ist der Ort, um den sich langsam aber beständig der Tourismus auf den Spuren von Andrej Kurkows Werken entwickelt, erzählt Andrej:

    "Wenn Reisegruppen, wie noch vorgestern eine aus der Schweiz - nach Kiew kommen, führe ich sie hierher und lese ihnen gleich hier jene Ausschnitte vor, in denen ich diese Galerie beschrieben habe. Dort kommen die beiden Galeristen - Tjernawskij und Milowsorow - vor. Sie sitzen auf diesen Sofas am kleinen Tisch, trinken Wodka und essen dazu leicht gebeizten Lachs. Es ist witzig: Oft, wenn ich mit einer Reisegruppe hier aufkreuze, sitzen die Beiden tatsächlich - ganz wie in meiner Erzählung - am Tisch und trinken Wodka und essen dazu leicht gebeizten Lachs! Meine Gäste staunen nicht schlecht und verstehen: Ich habe nichts erfunden, alles von mir Beschriebene stimmt in der Tat. Dann wird der Rest wohl auch stimmen, denken sie dann."

    Wahrheitsgetreu ist Andrej Kurkow nicht nur bei der Beschreibung des alltäglichen Lebens. Der Autor kennt sich erstaunlich gut auch in den Sackgassen der Politik aus. Zum Teil deshalb, so der Autor, weil er in den oberen Etagen der Macht viele Freunde hat, die ihm gelegentlich über pikante Hintergrunddetails berichten. Doch es sind weniger die Ereignisse, die Andrej interessieren. Viel mehr seien für ihn bestimmte Verhaltensweisen und -muster der Menschen wichtig, die mit der Politik zu tun haben. So kam ihm die Idee für seinen neuen Roman.

    "Eine Frage habe ich mir immer und immer wieder gestellt: Warum habe ich noch keinen ukrainischen Präsidenten lächeln sehen? Listige oder halbe Lächeln - ja, die kommen vor, so etwas wie Glück aber wird dabei nicht einmal angedeutet. Kann man als Staatschef nie glücklich werden? Deshalb habe ich beschlossen, einen Roman in der ersten Person zu schreiben und dieser Frage auf den Grund zu gehen. Meine Absicht war es, ein typisches Sammelportrait des zukünftigen ukrainischen Präsidenten zu machen, um dann zu sehen: Wird dieser Mensch letztendlich glücklich oder nicht?"
    Die Suche nach der Antwort auf diese Frage wird den Leser über 700 Seiten eines äußerst spannenden Textes führen. Dabei wird der Leser auf die Ereignisse stoßen, die der Autor lange vor der so genannten orangenen Revolution, die die Ukraine im letzten Herbst erschütterte, beschrieben hatte: so etwa die Beteiligung der russisch-orthodoxen Kirche am Wahlkampf zugunsten eines der Kandidaten und sogar ein Vergiftungsattentat auf den Präsidentenkandidaten und dessen mysteriöse Hauterkrankung. Sogar die Entwicklungen nach der Präsidentenwahl scheint der scharfsinnige Kurkow geahnt zu haben:

    "Zum Beispiel machte bei mir ein Vizepremier für humanitäre Angelegenheiten einen Vorschlag, die neuen ukrainischen Pässe in einer ganz besonderen Zeremonie zu verleihen - in den Kirchen bei einer ganz speziellen Liturgie. Und tatsächlich kam es bei uns gerade mal vor zwei Monaten dazu, dass unser Parlament genau die Frage diskutierte! Über die feierliche Verleihung der Pässe in den Kirchen! Zufälligerweise war einer der Befürworter dieser Idee niemand anderer als unser Vizepremier für humanitäre Angelegenheiten."

    Funktioniert die ukrainische Politik vielleicht tatsächlich nach den von Kurkow entwickelten Mechanismen? Auf diese Frage hat der Autor nur ein Schmunzeln übrig:

    "Nein, all das, worüber ich schreibe, liegt ja auf der Oberfläche. Es fällt aber wahrscheinlich nicht allen so stark auf wie mir. Schauen sie, hätten wir an der Macht tatsächlich professionelle Politiker, so würden sie in erster Linie über die Konsolidierung der Gesellschaft und dann erst über alles andere nachdenken. Also wäre es heute durchaus im Sinne der neuen Ukraine, die sich um eine einheitliche Nation bemüht, den Bürgern ihre Pässe in den Kirchen oder auf der Krim in den Moscheen zu verleihen. Unser Land wäre verrückt genug, um ein solches Experiment durchzuführen."

    Ist er also von einem Befürworter und glühenden Verteidiger der orangenen Revolution zum Kritiker der neuen Staatsführung geworden?

    "Meine Einstellung zur neuen Staatsführung ist in Ordnung. Wir haben bei uns einen gesunden Evolutionsprozess. Natürlich könnten die Verbesserungen in diesem Land schneller vor sich gehen, aber das ukrainische Volk hat eine enorme Angst vor einer starken Hand, denn diese starke Hand war in unserer Geschichte immer die von Moskau.

    Vor der Wahl hatten wir in der Ukraine nur drei Möglichkeiten: Janukowitsch, Kutschma oder Juschtschenko. Von diesen Dreien ist Juschtschenko eindeutig der Beste gewesen. Doch Juschtschenko verhält sich wie der Held aus dem Märchen über einen vergifteten Prinzen. Wie man es aus Märchen weiß, lieben sich alle Prinzen fürchterlich, und sie suchen ihr ganzes Leben lang nach denen, die sie vergiftet haben. So bleibt ihnen recht wenig Zeit, um sich um ihr Land zu kümmern."

    Andrej Kurkow ist ein glühender Patriot. Trotz seiner vielen Reisen und Lesungen im Ausland fühlt er sich in seiner Stadt Kiew mit ihrem mediterranen Flair und einem geruhsamen Lebenstempo am wohlsten. Über die Zukunft seiner Heimat in den nächsten Jahren hegt der Autor keine zu großen Illusionen:

    "Die Entwicklungen bei uns werden noch dynamischer werden. Die Namen vieler heutiger Politiker werden in Vergessenheit geraten. Es wird wahrscheinlich eine neue Bewegung entstehen - für die Ukraine außerhalb der EU. Dafür werden wir uns mehr den baltischen Staaten und der Türkei annähern. Große Impulse wird die Landwirtschaft und insbesondere die Entwicklung der Bauernhöfe erhalten. Es werden viele westliche Banken ins Land kommen, die nicht nur mit Unternehmen, sondern auch mit Privatkunden arbeiten werden. Immobilienkredite werden billiger und das Leben insgesamt wird teuerer."

    Andrej Kurkow: Die letzte Liebe des Präsidenten.
    Diogenes Verlag