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Über den Tod

Der Ackermann aus Böhmen – so die mittelalterliche Mär - klagt den Tod an, der ihm die Frau geraubt hat. Der Tod – erfahren und rhetorisch geschult – entkräftet den Vorwurf und mit Gottes Hilfe gelingt es ihm, den verzweifelten Mann vom allgemeinen Sinn des Sterbens zu überzeugen. Elias Canetti muß als Kind erleben, wie ihm der Vater wegstirbt – erst siebenunddreißig Jahre alt erliegt er einem plötzlichen Herzversagen.

Werner Köhne | 20.08.2003
    Im Gegensatz zum Ackermann, der den höllisch himmlischen Sophistereien nicht gewachsen ist, läßt sich Canetti nicht von der Überzeugung abbringen, daß der Tod zutiefst sinnlos sei, ein Skandal und durch nichts zu rechtfertigen : "Ich verfluche den Tod" – notiert noch der Achtzigjährige – "ich kann nicht anders. Und wenn ich darüber blind werden sollte, ich kann nicht anders, ich stoße den Tod zurück. Würde ich ihn anerkennen, ich wäre ein Mörder."

    "Der Tod eine Beleidigung. – Aber wie ist das darzustellen?" entnehmen wir einer weiteren Notiz. Der Kampf gegen den großen Daseins-Vernichter wird Canettis Lebensprogramm, eine ästhetisch- philosophische Herausforderung.

    "Tod wo ist dein Stachel, Tod wo ist dein Sieg": der christliche Psalm verrät noch etwas von der wuchtigen Konfrontation zwischen Leben und Tod. Indes hat gerade die abendländische Ideenlehre seit Platon diesen Pfahl im Fleische abgeschwächt, indem sie im Tod lediglich das Tor zu einer neuen Welt sah und jedem Christen anempfahl, es möglichst rasch zu durchschreiten – dem Vorbild die Märtyrer gemäß:

    "Das Verhalten der Märtyrer erscheint niemand verächtlich, obwohl sie alles, was sie taten, im Hinblick auf ein ewiges Leben getan haben. Wie verächtlich würden den Anhängern des Christentums dieselben Märtyrer erscheinen, wenn es ihnen um ein ewiges Leben hier, statt irgendwo gegangen wäre."

    Canetti wirbelt verborgene Motive am Todespol auf. Sie entpuppen sich als mies, tückisch, schmutzig auch dort, wo nicht mit dem himmlischen Paradies gehandelt wird, sondern – wie im Falle Martin Heideggers – mit der Einzigartigkeit des Todes. Der wohl am meisten überschätzte Philosoph der Neuzeit hatte im "Vorlaufen in den Tod" die Möglichkeit eines gelungenen Daseins vermutet – ein Konzept, das bis heute Theologen, Therapeuten und Extremsportler beflügelt, den Blick auf das Wesentliche jedoch trübt: zum Tod gehören auch die anderen und die , die schon gestorben sind.

    Mit sezierender Schärfe geht Canetti unseren Ideologien vom Tod auf den Grund – und er fährt dabei auch den edelsten Gefühlen in die Parade. Heldenmut, Opferbereitschaft, Patriotismus - für ihn bilden sie einen Katalog aus Wahnvorstellungen, hinter denen die massenhafte Abrichtung schwüler Träume von Einzigartigkeit betrieben wird: "Der Augenblick des Überlebens ist der Augenblick der Macht" wirft Canetti einen entlarvenden Blick auf das eigentliche Erleben beim Tod der Anderen. Im zweiten Weltkrieg, den er als weitere Quelle seines dauernden Hasses gegen den Tod anführt, funktionierte der organisierte Mord , weil neben der Massenlizenz zum Töten immer auch ein klammheimliches individuelles Einverständnis hinzutrat: Wo andere sterben, läd sich meine Existenz als Überlebender quasi elektrostatisch auf – ein dunkler menschlicher Trieb, den nicht einmal Freud genügend würdigte. Nur derjenige, - so Canetti - der den Tod bekämpft und den Toten keinen nachträglichen Sinn unterjubelt, verhält sich dem Menschen gemäß, also human.

    Canettis konzentrierte Sammlung aus Notizen und Essays gegen den Tod ist Beitrag einer radikalen Moderne, die im Bewußtsein des Fortschritt ihre innere Negation nach außen kehrt. Sie vermag das Nicht mehr sein nur als Paradox zu begreifen, dem nicht einmal Nietzsches Suggestion von der Wiederkehr des Gleichen oder die Kunst beikommen. Dabei ist ihm klar, daß – um mit Brecht zu sprechen - der Hass, der dem Agitator die Gesichtszüge verunstaltet, diesem auch die Freundlichkeit vorenthält, auf die doch alle seine Bemühungen sich richten.

    "Es ist möglich", so Canetti noch kurz vor seinem Tode, " daß die Rigidität deines Todeshasses dir bestimmte Zeiterfahrungen versperrt hat."

    Am Ende könnten damit Ereignisse gemeint sein, bei denen Menschen viel zu früh zu Opfer wurden, um sich dem Drama des Todes allgemein anthropologisch zu stellen. Sie haben auf jeden Fall das Recht, weiterzuleben – nicht im Paradies, sondern in unserer Erinnerung.