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Über den Umgang mit Fotografie

Eine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst in Siegen fragt: "Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern?" und liefert die Antwort gleich mit. Als Hommage an den Bildhistoriker Aby Warburg werden in der Schau Fotografien mit Malerei, Skulpturen oder Bildern kombiniert und erhalten so eine neue Bedeutung.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Karin Fischer | 05.12.2012
    Karin Fischer: "Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern?" Eine solche Frage zur Überschrift einer Ausstellung zu machen, wie es das Museum für Gegenwartskunst Siegen jetzt getan hat, wirft selbstverständlich viele weitere Fragen auf. Wer war Aby Warburg? Was kann man denn noch tun mit Bildern, als sie aufzuhängen? Wo sind die Querverbindungen zwischen Bildern, wie sie in Siegen zu sehen sind, und dem Kunsthistoriker Warburg? Unsere Fachfrau Christiane Vielhaber war in Siegen und ich denke, Frau Vielhaber, wir müssen kunsthistorisch etwas ausholen und noch mal an den Bilderatlas von Warburg erinnern. Was hat er damit gewollt?

    Christiane Vielhaber: Er war oder bezeichnete sich, obwohl er über Botticelli promoviert wurde, nicht als Kunsthistoriker, sondern als Bildhistoriker, und er hat was sehr Revolutionäres getan. Ohne diese Tat hätte ich auch nicht Kunstgeschichte so studieren können, denn früher war es so, reiste man zu den Originalen. Aby Warburg, ein Bankierssohn aus Hamburg, ein jüdischer Bankierssohn, muss man sagen – darum ist auch sein ganzer Nachlass 1933 nach England, nach London gegangen, ging einen anderen Weg und machte sich die neuen Medien seiner Zeit gefügig. Er nahm Zeitungsausschnitte, also Reproduktionen von Kunstwerken, damals gab es ja auch schon erste Dia-Positive -, und so habe ich auch gelernt. Ich habe auch nie – natürlich auf Exkursionen -, aber in der Vorlesung hatten wir immer erst mal ein Dia und dann sah man ein Werk und dann ein zweites dazu, und dann konnte man so ein bisschen vergleichen. Und was er in die Kunstgeschichte eingebracht hat, war nicht mehr länger die Ikonografie, und Ikonografie heißt eigentlich, dass man Bilder beschreibt. Ich sage jetzt mal, wenn jemand auf einem Bild einen Schlüssel in der Hand hat, dann wissen wir, jedenfalls aus der Heilsgeschichte, dass das nur Petrus sein kann, dass man so was zuordnen kann. Er war ein Ikonologe und hat Bilder gedeutet in Zusammenhang mit anderen Bildern, und ihm war alles recht. Er hat auf seinen Bildertafeln Briefmarken gehabt, er hat Reklame gehabt und hat geguckt, wie in der Antike, wie dann vielleicht bei den Indianern, bei den Pueblos, wie sich Gesten als Pathosformeln übertragen haben, wie wir sie heute auch in der Kunst finden.

    Fischer: Also er war sozusagen der Strukturalist der Kunstgeschichte. Es ging um neue Ordnungskriterien, um neue Sichtweisen vielleicht und auch um das Potenzial solcher Bilder wie Fotografien?

    Vielhaber: Sichtweisen, da haben Sie völlig recht. Aber genau das unterscheidet ihn von anderen. Es gab keine Ordnung, es gab keine Jahrhunderte oder keine Stilschubladen, sondern alles war gleich nebeneinander. Und dann kann man sich vorstellen, dass das zeitgenössische Künstler fasziniert, denn im Gegensatz zu Warburg haben die ja heute ein ganz anderes Potenzial.
    Ein Beispiel: Am Anfang ist eine junge Künstlerin, die mich sehr fasziniert hat. Die hat 16 Begriffe in Wikipedia eingegeben in über 20 verschiedenen Sprachen, Liebe, Krieg, Lehre, das Nichts, und hat dann geguckt, welche Bilder erscheinen dazu. Bei Liebe haben Sie in fast allen Sprachen ein Herz. Bei Gott ist das schon ganz anders, da trauen sich ein, zwei, drei, denn Gott ist ja eigentlich nicht darstellbar, immerhin Michelangelos Darstellung aus der Sixtinischen Kapelle zu zeigen. Bei dem Nichts trauen sich die Franzosen einfach eine leere Seite, andere nehmen das schwarze Quadrat von Malewitsch. Also: Wie finden wir Bilder zu Begriffen? Und das finde ich sehr, sehr anschaulich.

    Fischer: ... , wie ja überhaupt das Internet vermutlich heutzutage die Bildproduktionsmaschine per se ist für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler.

    Vielhaber: Ja! Es gibt dann auch eigentlich ganz aufregende Gegenüberstellungen, dass eine junge Künstlerin sich alte Dias aus eBay ankauft, und die laufen jetzt da und Sie sehen, Mensch, da war eine Familie im Urlaub, das ist vielleicht irgendwie aus einem Reiseprospekt. Und dann passiert das in unserem Kopf: Wir versuchen, uns einen Reim darauf zu machen, wir versuchen, uns eine Geschichte dazu zu erfinden. Denn was sollen sonst eigentlich diese Bilder? Und insofern macht es auch Spaß, auch wenn man nicht alles versteht in dieser Ausstellung. Aber man sieht zum Beispiel in der titelgebenden Arbeit, das ist ein Künstlerduo, die erfahren haben, dass Warburg Ende der 80er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre in Amerika bei den Indianern war, und wollte bestimmte Tänze untersuchen und erforschen. Und er kommt zurück und sagt, das soll nie veröffentlicht werden. In den 90er-Jahren ist dann nun doch ein Buch erschienen mit Fotos aus dieser Reise. Und was machen sie jetzt? Sie haben diese Fotos abgefilmt und sie bewegen sich davor, also auch irgendwelche Pathosformeln, damit man nicht wirklich, so wie er sich das gewünscht hat, die Bilder wirklich sieht, damit man etwas ahnt - und wieder die Geschichte im Kopf.

    Fischer: Theorie und Praxis – Christiane Vielhaber, vielen Dank, über eine Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst in Siegen, die fragt: Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern?


    Die Ausstellung"Lieber Aby Warburg, was tun mit Bildern? -Vom Umgang mit fotografischem Material" ist bis zum 3. März 2013 im Museum für Gegenwartskunst Siegen zu sehen.