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Über die Hälfte der Arbeitnehmer fühlen sich gehetzt

Wer körperlich krank oder beeinträchtigt ist, geht zum Arzt, um wieder gesund zu werden. Anders sieht es oft bei den Menschen aus, die unter psychischen Störungen leiden. Trotz dieser Beeinträchtigung gehen viele weiterhin zur Arbeit, laut Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes über psychische Belastungen am Arbeitsplatz.

Von Andreas Baum | 27.03.2012
    Die Zahlen sind erschreckend: Jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland klagt über Stress. Folgt man der Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dann fühlen sich 52 Prozent der Beschäftigten am Arbeitsplatz geradezu gehetzt. Zwei Drittel der Befragten geben an, dass die Arbeitsbelastung in den letzten Jahren zugenommen hat. Eines der Hauptprobleme scheint die permanente Erreichbarkeit der Arbeitnehmer zu sein. Gut ein Viertel muss nach eigenen Angaben auch in der Freizeit für den Job erreichbar sein. Jeder siebte arbeitet nach Feierabend unbezahlt zu Hause. Grund ist die so genannte Arbeitsverdichtung: Immer mehr Aufgaben müssen in immer weniger Zeit erledigt werden, und die Firma ist immer öfter unzufrieden mit den Leistungen der Beschäftigten. So erklärt es Edeltraud Glänzer, Mitglied im geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Bergbau Chemie Energie.

    "Die Ertragsziele der Vorjahre sind die, die im nächsten Jahr getoppt werden müssen. Das erreichte wird immer wieder in Frage gestellt. es muss immer noch ein Tupfer oben drauf gepackt werden. Das führt bei den Beschäftigten dazu, dass sie zunehmend das Gefühl einer Rekordhatz haben."

    Je stärker die Arbeit intensiviert wird, desto größer werden die Probleme für diejenigen, die sie erledigen müssen, sie klagen über Arbeitshetze in dem Maß, in dem die Überstunden zunehmen. Hans-Jürgen Urban, Vorstandsmitglied der IG-Metall, berichtet davon, dass Krankheit und Gesundheit verschwimmen: Jeder zweite Beschäftigte ist schon einmal arbeiten gegangen, obwohl er sich richtig krank gefühlt hat, und krank machende Umstände werden als solche nicht erkannt.

    "Das Gefühl, gehetzt zu sein, ist ein Faktum, das genauso hart ist, wie das Resultat einer Blutdruckmessung oder einer Gefahrstoffanalyse."

    Die Gewerkschaften wollen es nicht bei Appellen an die Arbeitgeber belassen. Sie fordern eine Verordnung zum Schutz vor psychosozialen Gefährdungen, zu Deutsch: eine Anti-Stress-Verordnung.

    "Ziel muss es sein, die Gefährdung der psychischen Gesundheit der Beschäftigten durch eine humane Arbeitsgestaltung zu vermeiden. In diesem Sinn muss der Verpflichtungsdruck auf die Arbeitgeber erhöht werden, Dies wäre ein wirksamer Beitrag für die Prävention angesichts der Indikatoren für gestiegene Arbeitshetze und anderes."

    Die Arbeitgeber dagegen haben eine andere Strategie: Sie bieten Kurse an, die den Beschäftigten beibringen sollen, mit dem erhöhten Stress umzugehen. Der DGB kritisiert die Bundesregierung dafür, dass auch sie teilweise die Anti-Stress-Trainings befürwortet. Zuständig ist Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Für Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, sind diese Trainings abwegig.

    "Angebote zur Gesundheitsförderung sind ohne Zweifel gut und wichtig. Aber wir brauchen ja kein Konditionstraining für die Beschäftigten, sondern vor allem brauchen wir eine bessere Arbeitsorganisation um den Stress am Arbeitsplatz abzubauen. Wir brauchen Arbeitsbedingungen, unter denen weniger Stress produziert wird."

    Den stärksten Druck spüren der Studie zufolge die Beschäftigten im Gastgewerbe. 70 Prozent der Befragten fühlen sich dort häufig gehetzt, im Gesundheits- und Sozialwesen sind es 65 Prozent. In der Verwaltung dagegen ist der gefühlte Druck am niedrigsten. Der DGB weist darauf hin, dass die Fehlzeiten der Arbeitnehmer in den Betrieben aufgrund psychischer Leiden seit 1984 um 80 Prozent zugenommen haben - Stress am Arbeitsplatz ist zur Regel geworden.