Dienstag, 23. April 2024

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"Über die NATO-Mitgliedschaft entscheidet die NATO"

Klaus Naumann, General a.D. und ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, glaubt, dass die vorläufige Ablehnung der Ukraine und Georgien als rasche Beitrittskandidaten gezeigt hat, dass die NATO kein Erfüllungsgehilfe der USA sind. Auch der größte und mächtigste Partner müsse nachgeben, wenn er die anderen nicht überzeugen könne.

03.04.2008
    Engels: Die Teilnehmer des NATO-Gipfels in Bukarest haben offenbar den Plänen der USA für ein neues Raketenabwehrsystem in Tschechien und Polen ihre volle Unterstützung zugesagt. Das verlautete zumindest aus Kreisen der US-Delegation. Offiziell bestätigt ist diese Meldung noch nicht.

    Kontroversen gab es dagegen am Vormittag weiterhin über die Frage, wie weit die NATO erweitert werden soll. Nachdem sich die Vereinigten Staaten vorerst nicht mit ihrem Ziel haben durchsetzen können, Georgien und die Ukraine zu sicheren Beitrittskandidaten zu machen, stand heute das Ringen um die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Mazedonien im Mittelpunkt.

    Kurz vor der Sendung und vor bekannt werden der Einigung über den US-Raketenschild sprachen wir mit Klaus Naumann, General a.D. und ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. An ihn ging die Frage, ob die vorläufige Ablehnung der Ukraine und Georgien als rasche Beitrittskandidaten als Niederlage für die US-Amerikaner gewertet werden muss?

    Naumann: Formal gesehen sicher ja, denn Präsident Bush hatte sich ja noch vorgestern in Bukarest sehr weit aus dem Fenster gelehnt und auch in Kiew. Insgesamt glaube ich ist das keine schlechte Entscheidung, dass man zwei Länder, bei denen berechtigte Fragen unbeantwortet sind, noch nicht aufgenommen hat. Ich meine mit den berechtigten Fragen erstens die Frage der Bevölkerungszustimmung in der Ukraine, die wenn ich richtig informiert bin zu 70 Prozent nach Umfragen die NATO-Mitgliedschaft ablehnen, und in Georgien ist ein alter Grundsatz der Mitgliedschaft in der NATO nicht erreicht. Es sind territoriale Fragen offen mit Abchasien und Ossetien und darauf haben wir schon bei der ersten Erweiterungsrunde bestanden, dass alle künftigen NATO-Mitglieder ungelöste territoriale Probleme gelöst haben müssen bevor sie Mitglied werden können.

    Engels: Da könnte man aber auch anführen, dass etwa die Beispiele Mazedonien und möglicherweise auch Albanien zeigen, dass andere Kandidaten auf der Liste weit oben stehen, die ebenfalls nicht ganz geklärte Grenzen haben.

    Naumann: Im Falle Albaniens würde ich das nicht so eindeutig sehen. Mazedonien ist ja nun zurückgestellt. Dort hat man allerdings gesagt, die Grenzen seien, als man den "Membership Action Plan" beschloss, geklärt. Das muss ich den Politikern überlassen, wie sie das interpretieren.

    Engels: Jetzt schauen wir noch einmal auf diese Entscheidung, Ukraine und Georgien vorerst zurückzustellen - nicht so sehr was das sachliche angeht, sondern was die Wirkung angeht. Zeigt das nicht auch nach außen die zunehmende Entfremdung zwischen Europa und den USA, wenn man sich in solch einer wichtigen Frage nicht einig ist?

    Naumann: Ich würde nicht von Entfremdung zwischen USA und Europa sprechen, denn wenn ich richtig informiert bin hat man ja auch seitens der Europäer gesagt, die Tür für die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens bleibt weit offen. Man hat sich über den Zeitpunkt nicht verständigen können. Man hat auch deutlich gesagt, dass Russland kein Vetorecht hat. Ich glaube die Kanzlerin hat das sehr eindeutig gesagt. Es bleibt also dabei, dass es ein Einvernehmen der NATO gibt: Über die NATO-Mitgliedschaft entscheidet die NATO, der Beitrittskandidat und er muss natürlich bestimmte Bedingungen erfüllen. Das ist der Konsens, der noch immer da ist.

    Dass es handwerkliche Fehler gegeben hat, das Vorbreschen der amerikanischen Administration, das mag man als Niederlage sehen, das mag man als Nachteil sehen. Ich würde einen gewissen Vorteil darin sehen. Einer der Punkte, der der NATO immer wieder vorgehalten worden ist - gerade von russischer Seite, aber auch sehr stark aus der arabischen Welt - ist, dass die NATO nichts weiter sei als ein Erfüllungsgehilfe der Amerikaner und dass dort einfach abgenickt würde, was die Amerikaner wollen. Nun ist deutlich gemacht worden - nicht zum ersten Mal übrigens -, dass die NATO keineswegs eine Nickmaschine für Washington ist, sondern dass es hier ernsthafte Diskussionen gibt, dass die Interessen aller eingebracht werden und dass am Ende auch der größte und mächtigste und wichtigste Partner nachgeben muss, wenn er die anderen nicht überzeugen kann. Kein schlechtes Ergebnis finde ich!

    Engels: US-Präsident Bush warb ja persönlich vehement für den raschen Beitritt Georgiens und der Ukraine. Seine Amtszeit geht zu Ende. Werden seine Nachfolger, wer immer sie sein werden, auch so vehement darauf pochen, oder denken Sie da wird ein pragmatischer Stil gefahren werden, um hier etwas zurückzurudern?

    Naumann: Ich weiß natürlich nicht, wie Senator McCain und wie Senatorin Clinton beziehungsweise Senator Obama in dieser Einzelfrage sich positionieren. Ich glaube sie haben sich da auch noch nicht festgelegt. Ich könnte mir aber vorstellen, dass aus insgesamt strategischen Gründen jeder künftige amerikanische Präsident die Linie Bushs fortsetzen wird. Es spricht vieles dafür, dass man die Ukraine und Georgien in den Kreis der NATO-Staaten aufnimmt, und im Fall der Ukraine würde ich sogar sagen, das ist eine Schlüsselfrage für die Stabilität Europas, wie man die Ukraine strategisch verortet. Wird sie in den Kreis der Demokratien Europas aufgenommen, wo sie nach meiner Ansicht hingehört, dann ist auch die Frage der NATO-Mitgliedschaft ein Punkt, der auf der Tagesordnung bleiben muss.

    Engels: Klaus Naumann, General a. D. und ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Ich bedanke mich für das Gespräch!

    Naumann: Bitte sehr Frau Engels.