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Über Reserven und aktuelle Preisentwicklungen

Schon seit dem Frühjahr beherrscht der unaufhörlich steigende Ölpreis die Schlagzeilen. Vor allem die Börsenspekulationen seien dafür verantwortlich, heißt es in Fachkreisen. Und die weltweit stark gestiegene Nachfrage nach dem fossilen Rohstoff. Spekuliert wird dabei auf eine zukünftige Verknappung des schwarzen Goldes. Ausgelöst durch Anschläge auf Förderanlagen im Nahen Osten, durch politische Unruhen in Förderländern oder sogar durch Wirbelstürme.

Von Jan-Uwe Stahr | 11.10.2004
    Opec-Staaten und Ölkonzerne versprechen, ihre Fördermengen zu erhöhen, um den Ölmarkt wieder zu entspannen. Doch wie stark können die Förderkapazitäten überhaupt noch gesteigert werden. Wie steht es wirklich um die Ölvorräte?

    Nicht so gut, wie es von der Ölindustrie suggeriert wird, warnen unabhängige Experten. Und verweisen auf eine simple Wahrheit, die in den letzten beiden Jahrzehnten kaum beachtet wurde: Erdöl und Erdgas sind endliche Rohstoffe - doch noch werden sie kräftig gefördert, wie ein Blick auf eine Bohrinsel zeigt:

    Wir können manchmal da rein gehen und manchmal da, je nachdem, wo die Bohranlage jetzt steht…

    Insel-Rundgang mit Fördermeister Uwe Rudolfi. Auf der 70 mal 70 Meter großen, künstlich im Wattenmeer aufgeschütteten, Bohr- und Förderinsel "Mittelplate". Alles drängt sich hier auf kleinster Fläche: Wohn- und Bürocontainer, Öl- und Gaslagertanks, der Verladehafen und der hydraulisch verschiebbarer Bohrturm. Der Weg führt über verwinkelte Gänge eine steile Treppe hinab.

    Das ist unser Bohrkeller, hier merkt man auch: Schön warm hier. Das Öl kommt hier ..., je nachdem aus was für ner Bohrung, aus was für ner Täufe mit fünfzig bis sechzig Grad oben an. Unten in der Lagerstätte hat es ne Temperatur von 89-90 Grad.

    In zwei bis dreitausend Meter Tiefe befinden sich die ölführenden Sandschichten des Ölfeldes Mittelplate. Es erstreckt sich unter dem Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und ist Deutschlands größte Erdöllagerstätte. Ausgebeutet wird sie von dem Firmenkonsortium RWE-DEA und Wintershall. Zwischen zehn und hundert Metern mächtig sind die Lagerstätten, aus denen Fördermeister Rudolfi und seine Kollegen hier das Öl pumpen können. Aus derzeit 14 Bohrungen:

    Wir bohren in vier verschiedenen Lagerstätten und fördern dann daraus. Wenn jetzt ne Bohrung ausgefördert ist, dann kann man aus der Bohrung nichts mehr fördern, dann muss man in ne andere Richtung gehen, dann braucht man ein neues Bohrloch.

    Seit 1987 fördert die Bohrinsel Mittelplate Erdöl aus dem schleswig-holsteinischen Nationalpark. Bereits in den 50er Jahren hatten Geologen den Untergrund des Wattenmeeres mit unterirdischen Sprengungen und Vibratoren erkundet. Die seismischen Messmethoden zeigten: Es gibt dort abgeschlossene, speicherfähige Gesteinsschichten. Geologische Strukturen, wie sie für Gas- und Öllagerstätten typisch sind.

    Eine erste Probebohrung im Jahr 1964 stieß dann tatsächlich auf Öl. Allerdings schien das Ausbeuten der gefundenen Lagerstätte damals nicht wirtschaftlich. Das ändert sich nach den Ölpreis-Schocks Mitte und Ende der siebziger Jahre. Erneut wird das Wattenmeer nach Öllagerstätten abgesucht und nun das große Ölfeld unter der Sandbank Mittelplate entdeckt. Auf 75 Millionen Tonnen wird das Vorkommen damals geschätzt. Inzwischen weiß man: Es sind noch mehr: Harald Graeser, Sprecher des deutschen Förderkonsortiums RWE-Dea:

    Wir gehen davon aus, dass wir ein sogenanntes Oil-In-Place der Lagerstätte haben von weit über 100 Millionen Tonnen. Davon ist aber nur ein begrenzter Teil wirklich wirtschaftlich gewinnbar, und aus heutiger Sicht haben wir etwa ein Potential, das so um die 45 bis 50 Millionen Tonnen gewinnbare Ölreserven ausmacht, von denen wir aber auch schon elf Millionen Tonnen gefördert haben.

    Im Ölgeschäft gilt: Erschlossene Lagerstätten müssen so schnell ausgebeutet werden wie möglich. Damit dass investierte Kapital zurückfließen kann. Zwanzig bis dreißig Jahre lang wird aus dem Ölfeld Mittelplate noch gefördert werden können, schätzt man bei RWE-DEA heute. Allerdings - wie für alle Ölfelder, ob an Land oder im Meer, gilt: Je leerer eine Lagerstätte gepumpt ist, desto aufwändiger und teurer wird die Förderung.

    Die Ölfelder, wenn sie gefördert werden, verlieren an Druck, und zum Druckausgleich wird das mitgeförderte Lagerstättenwasser wieder strukturtief eingepresst. Es gibt auch andere Förderverfahren, z. B. dass man Tenside einpresst oder Polymere mit Wasser verbindet und damit eine höhere Förderrate erzielen kann.

    Zwar lässt sich das Öl mit Hilfe technischer Tricks aus den Speicherschichten herauspressen und lösen, aber niemals zu hundert Prozent. Sondern allenfalls zu 50 Prozent. Unvermeidlich ist auch, dass die jährlichen Förderraten zurückgehen, wenn eine Öl- oder Gaslagerstätte zur Hälfte ausgebeutet ist.

    Nur: Wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, lässt sich nicht exakt im voraus bestimmen. Weil die Erkenntnisse über das Potential einer Lagerstätte sich während der Erschließung ändern können. Und damit auch die Prognosen zu den noch förderbaren Vorräten. Die Öl – und Gasförderer unterscheiden bei ihren Vorratsberechnungen zwischen "Reserven" und "Ressourcen". Harald Graeser:

    Die Reserven sind die wirklich gewinnbaren Reserven, und Ressourcen ist das Potential, was noch in der Lagerstätte drinstecken könnte, was eventuell unter besonderen Umständen später auch förderbar wäre. Aber es hängt von verschiedenen Faktoren ab, nicht zuletzt vom Ölpreis.

    Je höher der Ölpreis steigt, desto aufwendiger kann die Ölsuche und -förderung betrieben werden. Zu den Ressourcen zählen auch Öl- und Gaslagerstätten, die zwar aufgrund geologischer Strukturen vermutet werden, aber noch nicht entdeckt und erforscht sind. Jedes Jahr müssen die Ölkonzerne ihre aktuellen Ressourcen und Reserven- Abschätzungen veröffentlichen. Anfang dieses Jahres gab es dabei eine böse Überraschung.

    Gleich dreimal musste der Ölkonzern Shell seine bisherigen Angaben nach unten korrigieren. Zugeben, dass seine Öl- und Gasreserven um rund 25 Prozent geringer sind als bisher angenommen. Der Grund: Eine Neubewertung der Lagerstätten in Australien und Nigeria. Die Nachricht löste an der Börse einen Kursrutsch bei den Shell-Aktien aus. Vier Topmanager des Ölkonzerns mussten gehen. Das Debakel bei Shell zeigte aber auch, dass die veröffentlichten Vorrats-Prognosen für das wichtigste Schmiermittel der Weltwirtschaft nur mit Vorsicht zu genießen sind. Peter Gerling, Referatsleiter für Energierohstoffe an der BGR, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, in Hannover:

    Sie können grundsätzlich davon ausgehen, dass sie über individuelle Lagerstätten von keiner Firma eine Zahl bekommen, die sie in ihren internen Büchern hat, die sind vertraulich. Absolut vertraulich.

    Die BGR berät als Fachbehörde die Bundesregierung in allen Rohstoff-Fragen und erstellt auch Prognosen zur Reichweite weltweiter Erdöl und Erdgasvorräte aus öffentlich zugänglichen Informationen, die von Firmen, Fachzeitschriften und staatlichen Institutionen der Ölförderländer herausgegeben werden.

    40 Jahre beträgt die statische Reichweite der weltweiten Erdölvorräte, hat das BGR errechnet. Ein Zeitraum, der auch von den Ölgesellschaften immer genannt wird, wenn es um die Ölversorgung der Zukunft geht. Doch diese Zahl ist irreführend. Denn sie bedeutet nicht, dass wir uns in den nächsten 40 Jahren keine Sorgen um eine sichere und bezahlbare Erdölversorgung machen müssen, wie immer wieder behauptet wird, warnt der Geologe Gerling:

    Das würde ja bedeuten, dass man sozusagen über 40 Jahre Jahr für Jahr das Gleiche verbraucht, das ist ne völlige Illusion, das läuft nicht so.

    Die weltweite Ölnachfrage steigt immer weiter an. Vor allem weil der Energieverbrauch von Schwellenländern rasant wächst. Um den wachsenden Öldurst zu stillen, muss die Ölförderung immer mehr gesteigert werden. Das heißt: Die Produktion in schon erschlossenen Ölfeldern muss erhöht und immer mehr neue Lagerstätten müssen gefunden, erkundet und in Produktion genommen werden. Weil die Preise am Welt-Ölmarkt gegenüber den 90er Jahren stark gestiegen sind, kündigen Ölkonzerne und Ölförderländer an, wieder mehr Geld in die Exploration, also die Entdeckung und Erschließung neuer Ölfelder zu investieren. 45 Milliarden Dollar will zum Beispiel Shell dafür ausgeben.

    Allerdings verhält es sich mit der Gesamtheit der weltweiten Ölvorräte nicht anders, als bei dem einzelnen Ölfeld im Wattenmeer: Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Hälfte aller Ölvorkommen entleert ist. "Depletion Midpoint" nennen das die Öl- und Gasexperten. Peter Gerling:

    Das ist der Punkt, von dem wir glauben, dass die jährliche Ölproduktion nicht mehr gesteigert werden kann. Und danach, spätestens nach diesem Punkt laufen Nachfrage und Angebot deutlich auseinander. Das heißt, dass wir zu dem Zeitpunkt ein Problem kriegen, wonach nicht jeder Bedarf mehr gedeckt werden kann.

    Für den Ölmarkt heißt das: Die Preise explodieren. Und für eine vom Öl abhängige Weltwirtschaft bedeutet das: Sie gerät in starke Turbulenzen. Doch wann ist dieser "Depletion Midpoint", die fünfzigprozentige Entleerung der Ölvorräte erreicht? Darüber wird bisher nur in kleinen Expertenkreisen diskutiert.

    Diesen Punkt sehen wir, nach den Zahlen, die uns vorliegen, im Jahr 2017. Das kann plus minus fünf Jahre daneben liegen. Weil sich inzwischen die Technologien verändern und damit die Reservenzahl verändert. Auf der anderen Seite ist gar nicht einzuschätzen, wie sich die Nachfrage in Indien und China entwickeln wird.

    Erst kürzlich hat die IEA, die Internationale Energie-Agentur in Paris, einräumen müssen, dass ihre Öl-Verbrauchs-Prognose zu niedrig war. Die rasant wachsende Öl-Nachfrage aus China wurde unterschätzt. Sicher ist so viel: Seit Beginn der industriellen Erdölförderung - vor etwa 150 Jahren, bis zum Jahr 2001 - wurden 128 Gigatonnen des fossilen Energieträgers gefördert. 128 Gigatonnen, das sind 128tausend mal eine Million Tonnen. Die Hälfte dieser unvorstellbar großen Menge wurde aber innerhalb der letzten zwanzig Jahre verbraucht. Weil der Öldurst immens gewachsen ist.

    Bekannt ist auch, dass bis zum Jahr 2001 bereits 46 Prozent der bisher nachgewiesenen Reserven an einfach zu förderndem Öl ausgebeutet waren. Und man weiß, dass jährlich fünfmal mehr Öl-Reserven verbraucht als neue gefunden werden. Kein Wunder, denn die größten Erdölfelder der Erde sind bereits entdeckt. Unsicher ist dagegen, wie viel dort wirklich noch zu holen ist. Denn die Angaben der privaten Ölkonzerne sind - siehe Shell - nicht immer zuverlässig. Und die Vorratsprognosen vor allem der arabischen OPEC-Länder, der weltweit größten Öllieferanten, seien völlig undurchsichtig, klagt Ölexperte Gerling:

    Bei den staatlichen Firmen in dem Bereich der Golfstaaten, da kriegt man überhaupt keine Informationen über interne Abschätzungen zu Reserven und Ressourcen.

    Als "politische Reserven" bezeichnen die westlichen Ölfachleute deshalb etwas geringschätzig die seit Jahrzehnten offiziell unveränderten Reserve-Daten der OPEC. Auffällig ist aber, dass die OPEC ihre Produktion schon seit einigen Jahren knapp hält. Und auch die Nicht-OPEC-Länder können die derzeitigen Engpässe auf dem Ölmarkt offenbar nicht ausgleichen. Die Frage ist nur, warum? Schließlich ließen sich bei den derzeitigen Ölpreisen viele zusätzliche Petro-Dollars verdienen. Dieses seltsame Verhalten sorgt in der Expertenszene für Diskussionsstoff.

    Wir vertreten die Meinung, dass wir uns eigentlich schon mittendrin in diesem Umbruch befinden.

    Werner Zittel ist Physiker. Bei der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik, LBST, einem von der Ölindustrie unabhängigen Forschungsinstitut, beobachtet und analysiert er die weltweiten Energieversorgungssysteme. Zittel sieht Anzeichen dafür, dass der Depletion Midpoint, also die fünfzigprozentige Entleerung der weltweiten Ölreserven schon jetzt erreicht sein könnte. Und damit auch das weltweite Fördermaximum:
    In der Vergangenheit hatten wir jährlich eine zunehmende Ölförderung. Und jetzt haben wir eine Phase des Umbruches. Da wird es das eine Jahr vielleicht ein bisschen rauf, das nächste Jahr ein bisschen runter gehen. Und in einigen Jahren wird es dann jährlich abnehmende Förderraten geben.

    Diese besorgniserregende Prognose wird auch von anderen unabhängigen, international renommierten, Öl-Experten geteilt. Sie stützt sich auf eine Reihe von Indizien, die nichts mit der Angst vor Bombenanschlägen, politischen Unruhen in Förderländern oder Wirbelstürmen zu tun haben, die zur Zeit immer wieder als Erklärungen für den gestressten Ölmarkt genannt werden. Sondern mit den weltweit noch förderbaren Ölvorräten. Werner Zittel:

    Eigentlich fast alle Staaten außerhalb der OPEC und der ehemaligen Sowjetunion haben das Fördermaximum überschritten. Die USA seit 1971. Die Nordsee, also englische und norwegische Förderung zusammen, sind seit zwei Jahren etwa über das Fördermaximum und beginnen seitdem zu reduzieren. Das heißt, diesen Druck, dass immer mehr Länder in der Produktion nachlassen, und dieses Nachlassen muss durch immer weniger Länder ausgeglichen werden. Und es muss dynamisch sich beschleunigen. Und da zeigen die Analysen, dass es nur noch wenige Staaten gibt, die noch in der Lage sind auszuweiten.


    Im russischen Ostsibirien zum Beispiel lagern noch große Ölreserven, auf deren baldige Ausbeutung vor allem die Chinesen hoffen. Die Ölvorräte um das Kaspische Meer dagegen, auf die große amerikanische Ölgesellschaften spekuliert hatten, scheinen die Erwartungen nicht zu erfüllen. Auch aus dem Irak, in dem noch riesige Ölvorräte lagern sollen, werden schlechte Nachrichten kolportiert.

    Viele Ölfelder sollen durch eine jahrelange zu schnelle Ausbeutung heruntergewirtschaftet worden sein und die Ergiebigkeit für die künftige Ausbeute darunter gelitten haben. Und auch die arabischen Nachbarländer geben Anlass zur Sorge, erläutert Zittels Kollege Jörg Schindler, Geschäftsführer der Ludwig Bölkow Systemtechnik:

    In den großen Feldern im Nahen Osten, vor allem in Saudi Arabien, haben wir Hinweise, dass die alte Art die Felder anzubohren, nämlich mit vertikalen Bohrungen, wo man einfach ein senkrechtes Bohrloch macht, das Öl entnimmt und dann langsam den Bohrer nach oben zieht, mit der Entleerung des Ölfeldes, dass das schon lange nicht mehr der Fall ist. Sondern dass man da jetzt Horizontalbohrungen hat, die wiederum durch Wasserschichten überschwemmt waren, da muss man die höher nochmal anbringen und so weiter.

    Die technisch aufwendigen und wegen der möglichen Wassereinbrüche viel riskanteren Horizontalbohrungen verteuere die Ölförderung ganz erheblich, sagt Schindler. Hier werde wahrscheinlich versucht, mit allen Mitteln eine hohe Ölförderung aufrecht zu erhalten.

    Und es ist ein ganz starkes Indiz dafür, dass die Gefahr besteht, dass in diesen großen, sehr alten Ölfeldern in den nächsten Jahren die Produktion dramatisch einbricht, und wenn das der Fall ist, dann haben wir wirklich Feuer auf dem Dach!

    Dass die weltweite Ölsuche und –förderung in Zukunft technisch aufwändiger und teurer wird, bestreitet auch die Ölindustrie nicht. Aber dank der hohen Ölpreise ließen sich auch neue Ressourcen erschließen, die bisher nicht konkurrenzfähig waren. Sogenanntes unkonventionelles Öl. Das noch in schieren Mengen vorhanden sei. Häufig genannt werden die Ölsände in Kanada.

    Mit Schaufeln, so groß wie Doppelgaragen, graben sich riesige Caterpillars in den Sand. Kippen ihn auf Trucks, so groß wie Einfamilienhäuser. Ölsand-Förderung in einem Tagebau im Osten von Kanada. Schätzungsweise über 2500 Gigabarrel dieses sogenannten unkonventionellen Öls lagern im kanadischen Boden. Das ist mehr als die Weltvorräte an konventionellem Erdöl. Öl, das in leicht förderbaren Feldern lagert.

    Angesichts von Krieg und Terror in wichtigen Ölförderländern und wegen der sinkenden Vorräte an leicht auszubeutenden Ölquellen, wächst das Interesse an den unkonventionellen Ölvorräten immer mehr:

    Auch der amerikanische Ölkonzern Exxon-Mobile, der schon damit begonnen hat, die kanadischen Ölsände auszubeuten, rechnet das unkonventionelle Öl zu seinen Reserven. Doch nicht nur Umweltschützer warnen vor den immensen Umweltbelastungen, die von dem Öl-Tagebau ausgehen, auch kritische Ölexperten und Geologen. Denn die Ölsand-Förderung verbraucht nicht nur riesige Ackerflächen, sondern auch immense Mengen von kostbarem Grundwasser. Und sie belastet das Klima schon beim Abbau zusätzlich mit dem Treibhausgas CO2. Das Problem bei den Ölsänden ist nämlich: Das Öl ist mit dem Sand verklebt und muss aufwändig aufbereitet werden.

    In riesigen "Waschtrommeln" und Kesseln werden Gesteinsbrocken und Sand von dem kohlenwasserstoffhaltigen Bitumen abgelöst und ausgesiebt. Der übrigbleibende Bitumen-Schaum wird nun mit Schwerbenzin, sogenannten Naphta, verdünnt und zentrifugiert. Das Naphta wird zwar anschließend zur Wiederverwertung zurückgewonnen. Aber bevor aus dem öligen Zwischenprodukt die Handelsware Mineralöl wird, ist noch ein weitere Schritt nötig. Peter Gerling:

    Dieses Produkt der Ölsände oder dieses Bitumen ist wasserstoff-verarmt. Ich muss ne Menge Wasserstoff hinzufügen, damit ich es überhaupt erstmal in die Raffinerie bringen kann. Und das macht man dann in der Regel mit technischen Verfahren, indem man Wasserstoff aus dem Erdgas gewinnt.

    Ohne Erdgas gibt es also kein Öl aus dem Ölsand. Und das ist, neben den immensen Umweltschädigungen, ein weiterer Grund, warum die kanadischen Ölsände das knapper werdende konventionelle Öl nicht ersetzen kann.

    Wie man es auch dreht und wendet: auch die sagenhaften Vorräte an kanadischen Ölsänden werden das Problem der endlichen fossilen Energierohstoffe nicht lösen können. Trotz aller Warnsignale vom Ölmarkt scheint die Botschaft der Geologen und kritischen Marktbeobachter, dass Erdöl schon bald und auf Dauer immer knapper wird, noch nicht angekommen zu sein.

    Nicht bei der Internationalen Energieagentur, nicht bei der Autoindustrie und auch nicht bei der Bundesregierung. Die Politik müsse sich schon jetzt auf Engpässe bei der zukünftigen Ölversorgung einzustellen, schrieb die BGR, die Bundesanstalt für Geoforschung und Rohstoffe in ihrem letzten Jahresbericht. Doch diese Bemerkung musste gestrichen werden, auf Veranlassung des Bundeswirtschaftsministeriums. Es gäbe ein Kommunikationsproblem zwischen Geologen und Ökonomen, klagt Peter Gerling von der BGR:

    Die ökonomisch orientierten Fachleute gehen davon aus: Wenn ich genug Geld habe, kriege ich das Öl was ich brauche.

    Doch das könnte sich schon bald als ein Irrtum erweisen.