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"Über Tiere"

Die Stücke der österreichischen Autorin Elfriede Jelinek haben meist die Themen Sexualität und Abhängigkeit, Macht, Besitz und Verfügbarkeit. Das jüngste Stück der Literatur-Nobelpreisträgerin hat seine Uraufführung in Wien schon erlebt. In Deutschland ist das Stück nun zum ersten Mal im Deutschen Theater in Berlin zu sehen. Dort wählte Nicolas Stemann einen anderen Regieansatz, als Ruedi Häusermann in Wien.

Von Hartmut Krug | 22.05.2007
    "Über Tiere", die Fortführung von Elfriede Jelineks Text "Begierde & Fahrerlaubnis (eine Pornographie)" aus dem Jahr 1986, ist eine zweigeteilte Textfläche von nur zwanzig Seiten. Wie meist bei Elfriede Jelineks Theatertexten gibt es keine Situationen, keine Rollen und keine klare Handlung, sondern nur Sprache. Im ersten Teil versucht sich eine einsame Frau, im Selbstgespräch einen sonderbaren Herrn ansprechend oder anschreibend, redend ihrer Identität zu vergewissern.

    Sie will, auch wenn sie älter geworden ist, geliebt und akzeptiert, ja überhaupt noch wahrgenommen werden. Liebe empfindet diese Frau gleich in ihrem ersten Satz "als eine bestimmte Art von Angewiesensein." Die Frau fühlt sich darauf angewiesen, gebraucht zu werden, sie will - auch sexuell - wieder in Gebrauch genommen werden und übt deshalb sprachliche Unterwerfungsgesten. Das Problem ist ihr in aller Dialektik klar: "Warum etwas gratis nehmen, wenn man dafür zahlen kann." Sex als Machtbeziehung. Trotzdem, sie will noch "da sein", wenigstens aber will sie "sein". Weshalb sie immer wieder die erste Zeile von Eduard Mörikes Gedicht "Verborgenheit" zitiert: "Laß o Welt, o laß mich sein."

    Die Frauen des zweiten Teils aber kommen nicht mehr selbst zu Wort, sie sind als Subjekte, als da-seiendes Ich verschwunden. So geht es von der Sehnsucht, Subjekt zu sein, zur bösen Realität, in der die Frau nur mehr Objekt, Ware, ja, fast Tier ist. In Kauf- und Verkaufsgesprächen von Männern, die Elfriede Jelinek authentischem Material entnommen hat. Es sind polizeiliche Mitschnitte von Verkaufsgesprächen einer Wiener Escort-Agentur, die junge, meist minderjährige Osteuropäerinnen an die Männer der oberen Wiener Gesellschaftsschicht vermittelte. Stars und Staatsanwälte, aber auch Politiker, die zu Hilfsmaßnahmen für Straßenkinder nach Rumänien fuhren, bestellten sich in einer dreckig direkten Sprache abhängige junge Frauen für ihre ganz spezifischen sexuellen Wünsche.

    Die Zitate, die Elfriede Jelinek in ihren berichtenden und reflektierenden Text montiert, sind von bestürzend drastischer Frauenfeindlichkeit und von schmuddeliger Obszönität. Frauen werden bewertet nach Körperbau, Funktionalität, Verfügbarkeit und Bereitschaft, Lust zu empfinden. Besonders verlangt wird Minderjährigkeit, aber es geht auch um die Haarfarbe und die Beinlänge, um Jungfräulichkeit und die Bereitschaft zu allerlei Sexpraktiken, ob anal oder mit ohne oder mit ohne und Vollendung in den Mund.
    Bei der Wiener Uraufführung hatte der Regisseur und Musiker Ruedi Häusermann auf die leere Bühne des Schwarzenbergpalais 11 Klaviere gestellt. Die Pianistinnen spielten Mozarts d-moll Fantasie, nicht in vollständiger Form, sondern in Art einer "musikalischen Durchquerung". Mozart als Material, erst erklingen einzelne Töne, dann verhaken sich Phrasen, die Spielerinnen steuern einen Summgesang, ein Konzert der Metronome bei, sie verschieben die Klaviere, zerspielen und zersingen Mozart, bis am Ende eine junge Pianistin vor ihrer Familie im bürgerlichen Salon vorzuspielen scheint.

    Dieser Versuch, mit dem Kontrast zwischen bürgerlicher Kultur- Gegenwelt und brutaler Realität der bürgerlichen Sexwelt ein sinnliches Bild zu finden, in dem die Verstörung über die schrecklichen Texte nicht aufgehoben, sondern ausgestellt wird, blieb leider nur atmosphärische Spielerei. Und dass die Schauspielerin Sylvia Rohrer, auf einem kleinen Podest unter einer Leselampe sitzend, den Text ganz allein, ohne Pointierungen oder auch nur Betonungen, als einen unendlichen Gedankenfluss vortrug, nahm ihm sein Betroffenheits-Potential und ließ ihn einfach am Zuhörer vorbei fluten.

    Nicolas Stemann, der sich bei etlichen Jelinek-Texten als phantasievoller und zugleich respektloser Ausdeuter erwiesen hat, zuletzt bei der Hamburger Uraufführung von "Ulrike Maria Stuart", die zum Berliner Theatertreffen eingeladen war, fächert "Über Tiere" dagegen spielerisch weit auf. Der Text wird von vier Frauen und zwei Männer an und zwischen Lesepulten gesprochen und gespielt. In redundanten Schleifen kehrt die Inszenierung zu einigen Textpassagen immer wieder zurück, so zur Anfangszeile, in der vom Angewiesensein die Rede ist, die Männer kommen aber auch mal in Frauenkleidern auf die Bühne, fragend: Und wo bleibe ich? Wie immer spielt Nicolas Stemann mit Jelineks Text, er ironisiert ihn, befragt ihn witzelnd und lädt ihn mit theoretischen Überlegungen auf.

    Wenn bei Jelinek am Schluss in einer apokalyptischen Überhöhung eine auf dem Bett malträtierte Prostituierte, wie vom Teufel besessen, sich selbst körperlich peinigt, dann will die Inszenierung mit Freud und Lacan auch einen Kommentar über das Wesen der hysterischen Frau geben. Die Inszenierung arbeitet mit Variationen und vielen Brüchen: gegen den Text werden Zitate der Autorin gesetzt, es werden Texte amerikanischer Feministinnen eingebaut, und in einem schönen Bild, bei dem ein redender Frauenmund (Achtung: die Frau erschafft sich im Reden selbst!) auf den Boden projiziert wird, verschwinden Frauen in diesem oder steigen aus ihm empor.

    Doch all die vielen Einfälle, ob ein trüber kabarettistischer Disput zwischen zwei Männern über Frauen im Hamburger Dialekt, ob der Streit eines Paares in einem von Gittern umzäunten Zimmer, ob sexuelle Drastik oder Brechung der Bühnenrealität mit Videos der Darsteller, all diese bunten, illustrierenden Einfälle geben dem Text von Elfriede Jelinek keine neue Dringlichkeit. Sie umspielen ihn nur, so dass er eine fast harmlose Lustigkeit bekommt.

    Erst wenn die Schauspielerin Margit Bendokat in der Apokalypse-Szene den Text der selbstzerstörerischen Frau mit wütender Energie heraus schleudert, bekommt die Aufführung etwas von der bösen Drastik und anklagenden Kraft, den der Text bei der Lektüre durchgehend vermittelt. Diese konsequent herausgearbeitet zu haben, ist leider weder der Wiener Uraufführung noch der deutschen Erstaufführung am Deutschen Theater in Berlin gelungen.