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Überarbeitete Callas-Aufnahmen
Magisch und fast ohne Rauschen

Bislang ging bei Live-Mitschnitten von Maria Callas ihre Stimme wegen Störgeräuschen fast unter. Zum 40. Todestag der Operndiva erscheinen nun klanglich restaurierte Aufnahmen. Das Resultat ist verblüffend: präsenter, wärmer und ausgeglichener.

Von Björn Woll | 06.09.2017
    Maria Callas bei der Premiere "Barbier von Sevilla" in Paris am Odeon Theater am 5.1.1966.
    Maria Callas bei der Premiere "Barbier von Sevilla" in Paris am Odeon Theater am 5.1.1966. (AFP)
    Schon optisch macht diese Deluxe-Edition einiges her: Im schicken roten Schuber verbergen sich nicht weniger als 20 Operngesamtaufnahmen, allesamt Radio-Mitschnitte aus den Jahren von 1949 bis 1964. Und ähnlich wie vor einigen Jahren schon bei den Studioeinspielungen, spendiert das Label Warner nun auch den Live-Aufnahmen von Maria Callas ein klangliches Facelifting – als Andenken zum 40. Todestag der Sängerin am 16. September.
    Und diese Box lohnt gleich aus mehreren Gründen: Zum Beispiel weil hier zwölf Opern dokumentiert sind, die Maria Callas nie im Studio gesungen hat. Sie zeigen also nicht nur die ganze Repertoirebreite der Sängerin, sondern sind nicht selten Dokumente von immensem interpretatorischen Rang. Etwa im Fall von Donizettis "Anna Bolena", die zu den besten Aufnahmen der Callas gehört.
    Störgeräusche verblüffend stark reduziert
    Mit vollendeter Legatokunst und feinsten dynamischen Abstufungen liefert sie ein beeindruckendes Beispiel ihrer meisterhaften Gestaltungskunst. Nur zwölf Mal stand Maria Callas in dieser Rolle auf der Bühne und doch gelang ihr eine Jahrhundertinterpretation. Der vorliegende Live-Mitschnitt von der Mailänder Scala stammt übrigens aus dem Jahr 1957, also bereits aus ihrer späteren Karriere. Einige der hier versammelten Opern dokumentieren aber auch die frühen Jahre der Sängerin, bevor sie für die zentralen Aufnahmen ins Studio ging. Zum Beispiel Verdis "Nabucco", mitgeschnitten 1949 im Theater von Napoli. Und hier zeigt sich, was die Toningenieure aus den Live-Bändern herausgekitzelt haben, die teilweise erst vor Kurzem in den Archiven von zwei Sammlern gefunden wurden. Bisherige Veröffentlichungen waren technisch mehr als mangelhaft und litten unter teils erheblichen Tonhöhenschwankungen.
    Vergleicht man diese alte Version mit der neuen Veröffentlichung, ist von den störenden Schleifgeräuschen des Bandes kaum noch etwas zu hören. Und auch die störenden Huster sind deutlich reduziert.
    Als Lady Macbeth im vokalen Rausch
    Natürlich dürfen wir bei einem technisch derart unzureichenden Mitschnitt keine Wunder erwarten, aber wieviel präsenter, wärmer und ausgeglichener die Stimme von Maria Callas hier klingt, ist doch verblüffend. Fast so, als würde man den Nebel von einer beschlagenen Scheibe wischen. Ähnliches gilt auch für die Aufnahme von Verdis "Macbeth". Und hier erleben wir eine weitere Facette der Sängerin, die auf der Bühne ganz anders agierte als im Aufnahmestudio. Dort feilte sie intensiv an kleinsten Details, im Theater jedoch war sie eine glühende Darstellerin, deren Präsenz sich das Publikum kaum entziehen konnte. Im ersten Akt von "Macbeth" steigert sie sich in einen vokalen Rausch, der sich wie ein Strom glühender Lava über das Publikum ergießt.
    Die Edition enthält jedoch nicht nur Opern, die Maria Callas nicht im Studio gesungen hat, wie im Fall der Lady Macbeth. In einigen Partien sind die Live-Mitschnitte faszinierende Alternativen zu den Studioproduktionen, etwa im Fall von Donizettis "Lucia di Lammermoor". Die Aufnahme ist am 29. September 1955 bei einem Gastspiel der Sängerin in Berlin entstanden, unter dem Dirigat von Herbert von Karajan. Nur zwei Jahre zuvor datiert die legendäre Einspielung unter Tullio Serafin – und doch hört man in der Berliner "Lucia" bereits erste Abnutzungserscheinungen der Stimme, die nicht mehr so brillant und rund klingt. Doch Maria Callas macht das mit ihrer Interpretation mehr als wett. Mit pastosen Farben gibt sie dem Wahnsinn Lucias eine Stimme.
    Die Callas und Leonard Bernstein
    Ein ganz besonderes Dokument der Karriere von Maria Callas ist der Live-Mitschnitt von Bellinis "La sonnambula". Zum einen war es eine der wenigen Produktionen, in denen Luchino Visctoni Regie führte, zum anderen war es eines der selten Aufeinandertreffen von Maria Callas mit Leonard Bernstein. Die Aufführungen der beiden waren stets von einem besonderen Feuer durchglüht, und das ist hier deutlich zu hören. Bernstein selbst hat die letzte Arie mit einigen Staccato-Noten gespickt, von denen der Sängerin in der Hitze der Live-Aufführung einige daneben gehen. Und dennoch ist jede Note ein juchzender Freudenschrei der aus dem Albtraum erwachten Titelheldin.
    Die Aufführung geriet zu einem wahren Triumph, der Schluss ging unter im tosenden und nicht enden wollenden Beifall des Mailänder Publikums. Und bis heute hat die magische Gesangskunst von Maria Callas nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Ganz im Gegenteil, in der vorliegenden Edition mit den akustisch liebevoll restaurierten Aufnahmen erkennen wir ihre Leistung besonders klar: Das ist Gesangskunst für die Ewigkeit.