Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Überbleibsel aus der Hippie-Zeit

Formentera fasziniert mit weißen Stränden. Die kleinste der Baleareninseln im Mittelmeer ist von der Atmosphäre nicht zu vergleichen mit Mallorca oder Ibiza. Außerhalb des Hochsommers kann man hier seine Ruhe und typische Gitarrenklänge genießen.

Von Petra Ensminger | 28.07.2013
    Bassist Ekki, Eckhart Kühn, hat seinen akustischen Bass auf dem Schoss, ein selbst gebautes Instrument nur wenig größer als eine akustische Gitarre. Wir sitzen auf einer Mauer in San Fernando, oder auch Sant Ferran, einem kleinen verschlafenen Örtchen, zentral auf der Insel gelegen, hier hat einst der Tourismus seinen Lauf genommen, Rucksacktouristen entdeckten die Ecke für sich, Hippies, die gerne auch ihr Musikinstrument unterm Arm hatten, um spontane Musiksessions auf einer Mauer mitten im Ort abzuhalten – und das über Jahrzehnte hinweg, die Mauer war legendär, und Bassist Ecki, fasziniert, - aber leider ohne Instrument.

    "Ja, und die Gitarristen nehmen immer ihren Gitarrenkoffer mit, machen ihn auf, nehmen die Gitarre raus und spielen. Und die Bassisten tragen entweder ihren Kontrabass mit sich rum, was mehr so 'n Umzugsunternehmen ist, oder sie haben einen E-Bass, dann gibt's aber keinen Strom, also hab ich mir einen Bass gebaut, der wie eine Gitarre aussieht, aber eben 'n Bass ist, und der is speziell gebaut, um auf der Mauer mitzuhalten, wenn die Gitarristen Gitarre spielen, weil ich Bassist bin."

    Ursprünglich war Eckhart Kühn selbst nach Formentera gekommen, um hier zu lernen, wie man eine Gitarre baut. In einer Schule, die zwei Deutsche gegründet hatten. Doch die Insel ließ ihn nicht mehr los, er blieb, und übernahm sogar Anfang der 1990er-Jahre die Gitarrenbauschule. Sie gehört inzwischen zu Formentera wie andere kultige Einrichtungen, etwa die Fonda Pepe:

    "Wohl eine der bekanntesten Kneipen der Welt, weil immer schon 'n Treffpunkt war von Künstlern, Musikern, und die Musiker haben hier draußen auf der Mauer gesessen und gespielt, wenn es sein musste nächtelang, und diese Zeiten hab ich durchaus noch miterlebt, jetzt ist es weniger geworden, es findet noch statt, aber nicht mehr so viel wie früher."

    Früher, als Formentera seinem Ruf noch alle Ehre machte: die Hippie-Insel:

    "Es gibt keine Hippies mehr, heute sind die Hippies Yuppies, Großeltern, hier ist anders jetzt, die jungen Leute mit Handy, Computer, ist anders."

    Sagt Julian, der heutige Besitzer der Fonda Pepe, einst Treffpunkt aller auf Formentera gestrandeter Hippies, heute gut besuchtes Restaurant mit angeschlossenem "Hostal". Die Fonda hat er von seinem Vater Pepe übernommen, als Kind konnte er sich über die schrillen Gäste seines Vaters nur wundern.
    "Weil alle die Leute von Formentera waren gut gekleidet, kurze Haare und sehr konservativ. Und diese Leute waren etwas anders. Lange Haare und natürlich nicht konservativ, aber nett und gut."

    Eine gute Zeit, sagt Julian, die Hippies kamen, um Briefe abzuholen, Nachrichten zu hinterlassen, die Fonda Pepe war ihre Post, ihre Kommunikationszentrale, Pepe hatte für alle offene Arme und ein offenes Ohr.

    "Mein Vater konnte nicht sprechen englisch oder deutsch, aber hatte eine gute Kontakt mit diese Leute."

    Vergangene Zeiten, Julian wirkt ein bisschen wehmütig, und mit seinem halb geöffneten Hemd, dem Bart und der langen Mähne ist es fast so, als ob er mit seinem Äußeren die Zeit ein bisschen anhalten wollte. Aber immerhin: die Fonda Pepe hat überlebt:

    " Es war immer ein Platz von junge Leute, die Hippies sind weg, andere Hippies kamen, dann die Punkis, und die jungen Italiener mit ihrer Disco-Musik."

    Und ab und an kommen auch noch Söhne und Töchter oder Enkel der einstigen Hippies auf die Insel, wo sie immer noch eine andere Atmosphäre vorfinden als auf den touristisch weitaus besser erschlossenen Nachbarinseln Mallorca und Ibiza. Und so genießen auch die Schüler von Ekki die Ruhe, die man auf Formentera immer noch finden kann, außerhalb der Hochsommerzeit.

    "Jetzt muss ich erst mal das Licht anmachen hier."

    Ekki führt uns durch seine Werkstatt, der große schmale Mann mit dem wettergegerbten Gesicht und den sonnengebleichten blonden Haaren wird ständig begleitet von seiner kleinen Mischlingshündin Kiko.

    Mehrere Werkbänke, meterhoch aufgetürmtes Holz an der Rückwand, überall Werkzeug und der Flair der 1960er Jahre der hier noch immer in den Ecken steckt, das ist Ekkis Reich, hier bringt er seinen Schülern bei, wie man in nur drei Wochen eine E-Gitarre baut. Einer von ihnen – Oli - sitzt konzentriert über dem Holz-Rohschnitt eines E-Gitarrenkörpers

    "Das sieht ja so aus wie Oberammergauer Holzschnittarbeiten, die machen das auch so, wenn se hinterher mit Schleifpapier drüber gehen.
    Aber es geht in die richtige Richtung?
    Das würd ich sagen. Wenn de die Kante hier unbehelligt lässt."

    Oli wohnt in einem Zimmer des "Hostals" der Fonda Pepe gleich um die Ecke der Werkstatt. Ganz bewusst ist er in der ruhigen Jahreszeit gekommen, er brauchte auch Ruhe, und die hat er bei Ekki gefunden:

    "Das ist auch im Prinzip die schönste Erfahrung, die ich hier mache, neben dem Gitarrenbau, hab auch Berufsstress zu Hause, hab gelernt, jetzt hier so zu arbeiten, dass man auch für was Zeit hat, und man stellt fest, wie viel Leistung ma bringen kann, wenn man Zeit dafür hat."

    Vormittags ein paar Stunden Gitarrenbau, dann siesta, …

    "…oder sie gehen essen und trinken."

    Oder kurz runter zum Strand, Nachmittags noch mal ran an die Gitarre und wer mag am Abend ein bisschen Session in einer der Kneipen in San Ferran. Oli ist zufrieden mit seiner Urlaubswahl, und kommt vielleicht noch mal wieder. Ekki wird da sein, denn für ihn gibt es keinen besseren Platz auf der Welt,

    "Ich fühl mich sau wohl hier, etwa im Februar, wenn hier gar nichts los ist, is 'n Paradies für mich, da gehen wir hier jeden Tag Boule spielen am Strand. (…) weil die Leute dann alle Zeit haben, die im Sommer nur am Rennen sind, deswegen ist das angenehm."

    Boule spielen am Strand, auch so ein Überbleibsel aus der Hippie-Zeit, im Dünengelände am Strandabschnitt Es Arenals an der Platje Mitjorn, dort wo von Frühjahr bis Herbst eine Strandbar steht, eine Strandbar mit Tradition, Pascual, ein Festlandspanier, ist Anfang der 1970er-Jahren nach Formentera gekommen, - und geblieben, der Gastronom ersteigerte mit einem Freund einen Linienbus und baute ihn zur Strandbar um. Das Gefährt wurde rostig, musste irgendwann einer Holzhütte weichen, der Name, Piratabus ist geblieben. Und an Pascuals Seite steht inzwischen Edith, eine Kölnerin,

    "Also ich hab mich 1978 in die Insel verliebt, und später dann in Pascual. Uns zieht alle das gleiche auf die Insel, das Klima, die Menschen, die Lebensweise, einfach mal 'ne kleine Auszeit."

    Alle, das sind diejenigen, die immer wieder kommen, nach Formentera, zum Piratabus, und die Atmosphäre nicht zuletzt mit Tagesausklang genießen wollen,

    "Gute Musik läuft hier immer, also, es macht Spaß, und der Sonnenuntergang, klar, ist natürlich hier perfekt, muss sein"

    Wahrlich, ein perfekter Moment, wenn die Sonne langsam untergeht, die Menschen nur noch Silhouetten vorm noch glitzernden Meer, und genau dann, wenn die Sonne komplett hinter dem Horizont versinkt, verklingt auch der letzte Ton dieser Musik. Sonne und Musik zeitlich auf die Sekunde abgestimmt. Gänsehaut. So kann Formentera sein.
    Türkisfarbenes Meer soweit das Auge reicht
    Türkisfarbenes Meer soweit das Auge reicht (Petra Ensminger)
    Flagge der Strandbar "Piratabus" auf Formentera
    Flagge der Strandbar "Piratabus" (Petra Ensminger)
    Sonnenuntergang auf Formentera
    Perfekter Moment: Der Sonnenuntergang (Petra Ensminger)