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Überfälliges Urteil
Neuer Streit ums Kopftuch

Nach der aktuellen Entscheidung dürfen öffentliche Schulen muslimischen Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs nicht generell verbieten. Ein Verbot soll nur dann zulässig sein, wenn ein religiöses Symbol den Schulfrieden stören könnte. Die Debatte ist damit aber nicht vom Tisch.

Von Kemal Hür | 19.03.2015
    Eine junge Frau mit Kopftuch, die Klägerin, läuft am 24.09.2014 in Erfurt (Thüringen) am Behördenschild mit der Aufschrift "Bundesarbeitsgericht" vorbei.
    Das Tragen des Kopftuches gehört zu den am häufigsten diskutierten Symbolen islamischen Glaubens. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Fereshta Ludin ist gerne Lehrerin und sie liebt ihren Beruf. Sie durfte aber nicht an einer öffentlichen Schule unterrichten, weil sie ein Kopftuch trägt. Die Kopfbedeckung, meint sie, sage aber nicht viel über ihre Persönlichkeit und ihre Kompetenz als Lehrerin aus. Und dennoch: In den vergangenen zwölf Jahren sei sie vor allem über ihr Kopftuch definiert worden, erzählte sie bei einem Fachgespräch vor Journalisten in Berlin. Seit dem Kopftuch-Urteil von 2003 hat Fareshta Ludin deshalb auf eine Korrektur gehofft.
    "Im Herzen habe ich immer daran geglaubt, dass das nicht das richtige Urteil sein kann, weil ich diese Ungerechtigkeit enorm an mir selber gespürt habe, aber auch bei sehr vielen Betroffenen mitbekommen habe, was das für sie bedeutet. Deswegen bin ich natürlich sehr, sehr froh und erleichtert, dass so eine mutige Entscheidung letztendlich gekommen ist nach zwölf Jahren."
    Nach der aktuellen Entscheidung dürfen öffentliche Schulen muslimischen Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs nicht generell verbieten. Ein Verbot soll nur dann zulässig sein, wenn ein religiöses Symbol den Schulfrieden stören könnte. Damit wird die theoretische abstrakte Gefahr, die von einem Kopftuch ausgehen könnte, für nichtig erklärt. Das Urteil hebt damit den Generalverdacht auf, dem sich Kopftuch tragende Frauen ausgesetzt sahen, sagt Ludin.
    "Die Gefahr kann von jedem Lehrer ausstrahlen, wenn sie missionieren, wenn sie ihre politische Meinung vermitteln den Schülern und sie versuchen, auf ihre Art und Weise zu indoktrinieren. Ich finde, dass durch dieses Urteil letztendlich Gerechtigkeit wiederhergestellt ist."
    Gerechtigkeit und Genugtuung
    Gerechtigkeit und ein Stück weit Genugtuung, findet Fereshta Ludin, denn 2003 sah die damalige Kultusministerin Annette Schavan im Kopftuch eine islamistische Gefahr.
    "Wir dürfen nicht zulassen, dass Deutschland als ein Land gilt international, in dem sich der politische Islamismus entfalten kann. Wir müssen klar machen, dass unser gemeinsames Fundament das gemeinsame Fundament aller, die in Deutschland leben – unabhängig von kulturellen, nationalen und religiösen Herkünften – das Grundgesetz und die Landesverfassungen sind."
    Die staatliche Neutralität gegenüber religiösen Gruppen sei nun mit dem neuen Urteil hergestellt, sagt Ludin. Denn es befürworte das gleichberechtigte Miteinander aller Religionen.
    "Bisher haben sich muslimische Frauen besonders verletzt in ihrem Recht gefühlt, weil es sie als Muslime betraf. Daher denke ich, dass es ein ganz schönes Signal sendet, was diese Gleichberechtigung einfach untermauert."
    Das generelle Kopftuchverbot von 2003 hatte zu privaten Veränderungen im Leben von Fereshta Ludin geführt. Die Tochter eines afghanischen Diplomaten, aufgewachsen in Baden-Württemberg, die es gelernt hatte ein selbstbestimmtes Leben zu führen, wurde nach ihrem Referendariat eine Anstellung als Lehrerin verweigert. Und ihr Kopftuch wollte sie nicht absetzen, um doch noch als Lehrerin arbeiten zu können. Dabei ist das Kopftuch für Ludin alles andere als ein Zeichen einer fundamentalistischen Auslegung der Religion. Ludin sagt, sie bedecke ihre Haare, weil sie sich damit wohler fühle. Nach dem Kopftuchverbot zog sie nach Berlin und arbeitet dort seitdem in einer islamischen privaten Grundschule – mit Kopftuch. Das Verbot habe sich nicht nur auf ihren Beruf ausgeübt, sondern auch auf das Privatleben erinnert sie sich:
    "Das hatte, weil es eine staatliche Institution betraf, seine Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft gehabt. Das heißt, es haben sich viele nicht nur in verschiedenen beruflichen Ebenen darauf berufen, sondern in der Freizeit, im Alltag wurde man noch mehr danach gefragt: Ist doch verboten, wieso trägst du es? Und viele weitere Äußerungen, die ich jetzt nicht ausführe."
    Normalisierung der Debatte gefordert
    Ludin sieht nun die Politik und die Medien in der Pflicht, zu einer Normalisierung in der Debatte beizutragen. Die Kopftuchdebatte sei bisher einseitig geführt und vermittelt worden, kritisiert sie. Die Position der Betroffenen sei ausgeblendet worden. Auch dies gelte es zu korrigieren. Denn es werde vergessen, dass es nicht um das Kopftuch an sich, sondern um Menschen gehe.
    "Also sich mehr mit den Geschichten beschäftigen, die diese Betroffenen erlitten haben oder noch erleiden. Es ist ja nicht so: Jetzt kam das Urteil, jetzt haben wir Ruhe, sondern diese Menschen haben Jahre lang unter massiver Diskriminierung gelitten. Also, viele haben es auch nicht durchgehalten. Viele mussten sich umorientieren. Vielen wurde ihr Selbstwertgefühl eben stark genommen."
    Fereshta Ludin selbst hat einen eigenen Weg gefunden, ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Sie hat ihre persönliche Geschichte aufgeschrieben. Ihr autobiografisches Buch erscheint Anfang April.