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Überfordert, überfrachtet - unentbehrlich?

Die Kritik an der Europäischen Union nimmt zu: Zu mächtig und zu bürokratisch sei sie, sagen viele Mitgliedstaaten. Besonders in den Niederlanden und in Großbritannien werden Forderungen nach einem Rückzug aus nationalen Angelegenheiten laut. Aber auch andere Länder sagen: Wir brauchen ein Neuordnung.

Von Alois Berger | 23.10.2013
    "Die Europawahlen im nächsten Jahr werden uns die Gelegenheit geben, Ihnen, Herr Barroso, zu zeigen, dass das Europäische Projekt umkehrbar ist. Und es ist notwendig, das europäische Projekt umzukehren, damit es den Menschen besser geht."

    Der Europa-Abgeordnete Nigel Farage von der britischen Anti-Europa-Partei UKIP sieht sich im Aufwind. In vielen Ländern der Europäischen Union hätten die Menschen die Nase voll von diesem Europa, wettert Farage bei jeder Gelegenheit. In Frankreich und Italien, in Finnland und Portugal, überall gibt es starke Bewegungen, die ein Ende der Europäischen Integration wollen. Nach der Europawahl im nächsten Frühsommer will der wortgewandte Engländer Farage zusammen mit diesen Parteien die Europäische Union zum Rückzug zwingen. Doch das eigentliche Ziel des UKIP-Führers liegt noch weiter weg. 2017 will Premierminister David Cameron die Briten in einem Referendum fragen, ob Großbritannien aus der EU austreten soll. Doch für Nigel Farage ist es gar keine Frage, dass seine Landsleute der Europäischen Union den Rücken kehren werden.

    "Die Entscheidung der Wähler, die Europäische Union zu verlassen, wird uns die Möglichkeit eröffnen, Großbritannien wiederzubeleben, zu einem modernen Land zu machen, das fit ist für die globale Wirtschaft, nicht bloß für die europäische Wirtschaft. Das wird der Moment sein, um endlich durchzustarten."

    Der Traum der Europagegner von der UKIP ist zugleich der Albtraum des britischen Premierministers. Denn auch, wenn er manchmal anders klingt: David Cameron möchte, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Der britische Premier hofft, dass er bis 2017 die Stimmung in seinem Land drehen kann. Dafür verspricht Cameron, er werde mit der Europäischen Union eine Neuordnung der europäischen Verträge aushandeln: Weniger Brüssel, mehr Macht für die Mitgliedsstaaten, vor allem mehr Unabhängigkeit für Großbritannien.

    David Cameron
    Lässt ein Referendum durchführen, will aber eigentlich gar nicht aus der EU: Großbritanniens Regierungschef David Cameron (picture alliance / dpa /Facundo Arrizabalaga)
    Kompetenzen der EU beschneiden
    Die Chancen, dass der britische Premier für seine radikalen Pläne in Brüssel eine Mehrheit findet, sind eher gering. Aber die Diskussion um ein anderes Europa ist in vollem Gange. Auch in den Niederlanden haben Parteien die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der EU aufgegriffen. Vor allem die Rechtspopulisten um Geert Wilders verlangen kategorisch, die Kompetenzen der Europäischen Union energisch zu beschneiden. Doch die Debatte reicht inzwischen viel weiter, bis tief in die niederländische Gesellschaft hinein. Der christdemokratische Europa-Abgeordnete Wim van de Camp sieht einen breiten Konsens mit fast allen Parteien dahinter:

    "In den letzten zehn Jahren hat sich Europa so gut entwickelt, dass es für viele Niederländer heute zu groß ist, zu mächtig. Deshalb gibt es auch bei uns eine ernsthafte Diskussion darüber, so wie in Großbritannien: Was sind die Kernkompetenzen der Europäischen Union, und was sind ihre Hauptaufgaben?"

    Die niederländische Regierung hat vor einigen Wochen eine Liste mit 54 Forderungen vorgelegt zu Bereichen, in denen Den Haag weniger Europa oder gar den Komplettrückzug der EU verlangt. Das reicht von der Mitfinanzierung von Schulspeisungen in ärmeren Mitgliedsländern über Energiesparprogramme bis hin zu Steuerfragen. Die EU muss sich stärker zurückhalten, so die Botschaft der niederländischen Regierung: Weniger Vorschriften machen, stattdessen den Mitgliedsländern mehr Freiheit einräumen bei der Umsetzung europäischer Vorgaben.

    In dieser Situation richten sich nun alle Blicke nach Berlin, glaubt der Politikforscher Michael Emerson vom Center for European Policy Studies in Brüssel - auf die Hauptstadt des bevölkerungs- und derzeit einflussreichsten Mitgliedslandes.

    "Als nächstes wäre es sehr wichtig, zu wissen, ob auch die Bundesrepublik Deutschland eine Wunschliste für den Umbau der Europäischen Union hat. Wenn das so ist, dann dürfte das in der Tat den Ausschlag geben, um eine breite Reformbewegung in der Europäischen Union in Gang zu setzen."

    Was will Deutschland?
    Doch die Signale aus Berlin sind gemischt. Kurz vor den Bundestagswahlen hatte Kanzlerin Angela Merkel mit einem scheinbar beiläufig eingestreuten Nebensatz aufhorchen lassen. Europa müsse nicht zwangsläufig immer mehr Kompetenzen bekommen, sagte Merkel im Deutschlandfunk:

    "Wir können auch überlegen, geben wir mal wieder was zurück, die Niederländer diskutieren im Augenblick darüber und diese Diskussion werden wir nach der Bundestagswahl auch führen."

    In Brüssel und in anderen europäischen Hauptstädten rätseln seither viele, was die Bundeskanzlerin genau vorhat. Wo und wie sie die Zukunft der Europäischen Union sieht. Dass ihr beispielsweise die europäischen Umweltvorschriften ein Dorn im Auge sind, ist ein offenes Geheimnis. Letzte Woche ließ ihr Umweltminister Peter Altmaier in Brüssel die lange geplante Verschärfung der Abgasnormen für Neuwagen platzen. Die CO-2-Werte seien der deutschen Automobilindustrie nicht zuzumuten.

    Gleichzeitig streuen Merkels Mitarbeiter die Ankündigung eines deutschen Vorstoßes für mehr Europa - an ganz anderer Stelle: Beim anstehenden EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag dieser Woche in Brüssel werde Deutschland eine schärfere Kontrolle nationaler Strukturreformen anstoßen. Danach sollen sich die Regierungen in der EU verbindlich festlegen, wie sie ihre Volkswirtschaften fit machen wollen für den Euro. Dahinter steht die Erkenntnis, dass jedes Land andere Probleme hat. Bei den einen ist das Gesundheitswesen das größte Problem, bei den anderen hakt es auf dem Arbeitsmarkt, wieder andere haben immense Pensionslasten aufgehäuft, die sie schon bald erdrücken könnten. Eine uniforme europäische Reformpolitik macht hier wenig Sinn. Deshalb, so die deutsche Vorstellung, soll jede Regierung einen spezifischen Reformplan mit der Europäischen Kommission ausarbeiten. Diese muss dann darauf achten, dass dieser auch eingehalten wird.

    Allerdings rechnet niemand in der EU damit, dass diese durch und durch deutschen Ideen rasch umgesetzt werden. Zu unpopulär sind die damit verbundenen Maßnahmen, zu groß die Widerstände aus den Mitgliedsländern, zu umstritten auch der wirtschaftliche Nutzen. Doch die Bundesregierung drängt und schiebt. Sie möchte die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, vor allem die Euroländer zu einer verlässlicheren Wirtschaftsführung zu verpflichten. Denn damit wird das Risiko für die Partner, sprich für Deutschland, überschaubarer.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident der EU-Kommission Jose Manuel Barroso im Bundeskanzleramt in Berlin
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident der EU-Kommission Jose Manuel Barroso (AP)
    Neues Gleichgewicht zwischen Aufgaben der EU und ihrer Mitglieder
    Die Zeit drängt: Ist die aktuelle Krise erst einmal vorbei, dann bedeutet das nach aller Erfahrung in den meisten Ländern auch das Ende jeder Reformbereitschaft. Dass die Bundesregierung einerseits Kompetenzen aus Brüssel zurückhaben und gleichzeitig der EU-Kommission immer neue Aufgaben auferlegen will, ist aus Sicht des niederländischen Europa-Abgeordneten Wim van de Camp nur scheinbar ein Widerspruch.

    "Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden zwischen den Aufgaben, die Europa erledigen soll, und denen der Nationalstaaten."

    Solche Versuche, die Aufgabenverteilung neu zu ordnen, sind nicht neu. Auch das Bemühen, die Aufgaben besser abzugrenzen, hat es immer wieder gegeben. Vor 15 Jahren beispielsweise forderte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder von Brüssel einen Kompetenzkatalog, der klar auflisten sollte, worum sich Brüssel kümmern soll. Treibende Kraft war der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der ein für alle Mal klargestellt haben wollte, wovon die Europäische Union die Finger zu lassen habe.

    Die Diskussion um diesen Kompetenzkatalog mündete schließlich in die Europäische Verfassung, die dann an zwei Volksabstimmungen scheiterte. Die Niederländer stimmten mehrheitlich dagegen, weil ihnen die Verfassung zu weit ging und sie fürchteten, dass die EU zu viel Einfluss auf die Nationalstaaten ausüben würde. In Frankreich dagegen fiel die Verfassung vor allem deshalb durch, weil sie nach Ansicht vieler Franzosen zu wirtschaftsliberal war und zu wenig soziale Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer vorsah.

    Rückbesinnung auf Kernkompetenzen
    So vielstimmig dürfte auch dieses Mal die Diskussion wieder laufen. Einigen Ländern geht die Europäische Union bereits viel zu weit, anderen geht sie nicht weit genug. Der Niederländer van de Camp glaubt dennoch, dass die Chancen für eine Neuordnung heute besser stehen als früher. Die Unzufriedenheit mit diesem Europa sei heute so weit verbreitet wie niemals zuvor. Zugleich, glaubt der Christdemokrat, sehe jeder, wo mehr europäische Zusammenarbeit nötig sei.

    "Mit dem Maastrichter Vertrag haben wir einen großen Fehler gemacht. Wir haben Banknoten und Münzen geschaffen, aber wir haben vergessen, die nötige gemeinsame Wirtschaftspolitik zu schaffen. Angesichts der Probleme im Süden, vor allem in Griechenland, müssen wir in den nächsten Jahren zu einer engeren wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit finden, um den Euro zu stützen. In allen anderen Bereichen gilt: Bitte, Europa halte dich etwas zurück."

    Die niederländischen Vorstellungen dürften den deutschen derzeit am nächsten kommen. Die Europäische Union müsse sich endlich wieder auf ihre Kernkompetenzen besinnen, verlangt auch der CDU-Europaabgeordnete Werner Langen, sich konzentrieren auf das, was die einzelnen Staaten nicht mehr alleine, sondern nur gemeinsam bewältigen können. Langen sitzt im Bundesvorstand der CDU, er ist einer von denen, die in Berlin mitreden, wenn über Strategien zur Stärkung Europas nachgedacht wird. Aus den Kernkompetenzen, so der Europa-Abgeordnete, ergebe sich klar, um welche Aufgaben sich die Europäische Union in den nächsten Jahren kümmern müsse:

    "Da zählt die Stabilisierung des Euros dazu, die Haushalts- und Finanzpolitik, die Koordinierung zählt sicher dazu. Da zählt die gemeinsame Energiepolitik dazu, die ja noch in den Anfängen steckt, weil der Energiemix immer noch in nationaler Verantwortung ist. Da zählt auch in wesentlichen Punkten die gemeinsame Außenpolitik dazu, die immer noch dominiert wird von einigen wenigen unter Führung der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges oder der Atommächte. Und dazu gehört sicher auch die Frage, dass die Kommission sich nicht in jedes Detail einmischen will. "

    Staub statt Ertrag: Feldarbeit bei Brandenburg/Havel.
    Gehört Agrarpolitik zu den Kernkompetenzen der EU? (AP)
    Uneinigkeit über Kernkompetenzen
    Doch schon bei den Fragen, was die Kernkompetenzen sind und was weg kann, gehen die Meinungen weit auseinander. Für die französische Regierung gehört die europäische Agrarpolitik unbedingt zu den Kernkompetenzen, für die meisten Südländer ist es vor allem die finanzielle Solidarität und für Großbritannien ist es der Binnenmarkt - und nur der Binnenmarkt. Die ideale Europäische Union wäre aus Sicht der britischen Konservativen vor allem eine Freihandelszone, ein grenzenloser Wettbewerb mit möglichst wenigen Vorschriften. Wir brauchen mehr Freiheit für die Unternehmen, fordert der Tory-Abgeordnete Ashworth, weniger Umweltgesetze und vor allem keine sozialen Vorschriften.

    "Die EU sollte beispielsweise die Arbeitszeitrichtlinie stoppen. Nehmen wir die Arbeiter in Bayern: Bayerische Arbeiter arbeiten gerne und haben nichts gegen lange Arbeitstage. Das sind hoch produktive und sehr effiziente Arbeiter. Warum sollte Brüssel denen vorschreiben, wie lange sie in Bayern arbeiten dürfen? Wenn Griechen oder Spanier nicht so lange arbeiten wollen, ist das deren Problem. Aber warum soll die Europäische Union allen vorschreiben, wie lange sie arbeiten dürfen? Da gewinnt niemand."

    Die Arbeitszeitrichtlinie gilt auch deutschen und niederländischen Christdemokraten gerne als Beispiel für Überregulierung. Doch genau das sehen in anderen Ländern viele anders - nicht nur Sozialdemokraten und Grüne, sondern auch Konservative und Christdemokraten. In Frankreich und Belgien etwa gilt die Arbeitszeitrichtlinie als eine der wenigen sozialen Errungenschaften der Europäischen Union, um die Auswüchse von Globalisierung und Freihandel abzumildern. Die Richtlinie schreibt im Wesentlichen vor, dass jede Arbeitskraft das Recht auf tägliche Ruhepausen hat, auf Mindesturlaub von vier Wochen und auf die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Den Gegnern geht das bereits zu weit, Befürwortern wie der belgischen Grünen Isabelle Durant nicht weit genug:

    "Gemeinsame Regeln wie zum Beispiel einen europaweiten Mindestlohn, das wäre schon wichtig. Das verhindert, dass Unternehmen die Arbeitsplätze dorthin verlegen, wo sie am billigsten sind. Wenn wir wollen, dass alle eine Chance haben und von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren können, brauchen wir europäische Regeln. Das erreichen wir sicher nicht, indem jedes Land oder sogar jede Region wieder seine eigenen Regeln aufstellt."

    Niederlande: Politisch motivierte Forderungen
    Doch gerade ein europäischer Mindestlohn ist für viele in der EU ein Paradebeispiel für schädliche Überregulierung. Allerdings wird gerne als Entbürokratisierung verkauft, was oft nur der Versuch ist, die eigene Politik mit anderen Argumenten durchzusetzen. Das ist auch dem Politikwissenschaftler Michael Emerson vom Center for European Policy Studies aufgefallen, der die niederländischen Vorschläge für eine schlankere EU-Gesetzgebung einzeln abgeklopft hat. 11 der 54 Forderungen sind demnach rein politisch motiviert. Dazu gehört auch, dass die niederländische Regierung jegliche europäische Einmischung ins Steuerrecht ablehnt.

    Dahinter steht vor allem die Verteidigung einer nationalen Steueroase. Die Niederlande gelten im globalen Konzert der Steuervermeidung als eine der wichtigsten Drehscheiben. So stellt das niederländische Steuerrecht Lizenzen weitgehend steuerfrei. Fast alle weltweit operierenden Konzerne überweisen deshalb einen Teil ihrer Gewinne zur Steuerschonung an ihre holländischen Lizenzbüros. Jede Diskussion über europäische Mindeststeuern auf Lizenzgebühren wird von niederländischen Politikern strikt abgewehrt.

    Europa schlanker machen, Bürokratie abbauen, unnötige Gesetze streichen - im Kern finden das Bürger wie Politiker gut und wichtig. Doch die Abgrenzung zwischen unnötigen und unbequemen Gesetzen ist schwierig. Wer wirklich herausfinden will, welche Gesetze überflüssig sind, meint der Politikforscher Michael Emerson, der muss sich auf viel Arbeit gefasst machen - und auf einige Überraschungen.

    Berichte und Studien: Was kann man besser machen?
    "Hier haben wir sechs Studien, jede etwa 80 Seiten dick. Das sind die ersten sechs von insgesamt 32, die von der britischen Regierung in Auftrag gegeben wurden. Das Interessante daran ist, dass es hier nicht um die Sicht der Regierung geht. Da haben vielmehr Hunderte von Firmen, von Organisationen, von Wissenschaftlern etc. mitgewirkt, um herauszufinden, was gut ist an der Europäischen Union und was falsch läuft. "

    Ausgerechnet die britische Regierung hat sich die Mühe gemacht, die alle anderen Regierungen bislang gescheut haben: Herauszufinden, was man wirklich ändern müsste an der Europäischen Union, damit sie besser wird. In den ersten sechs Berichten geht es um das Gesundheitswesen, um Handel, Transport, Binnenmarkt, Entwicklungshilfe und Außenpolitik. Die Ergebnisse haben auch Michael Emerson vom Center for European Policy Studies überrascht:

    "In allen diesen Berichten kommen diese Leute, die sich wirklich informiert und mit der Sache befasst haben, Fachleute, keine Politiker, zu dem Schluss: Gut, man könnte Einiges besser machen, aber strategisch ist es richtig und in Ordnung, diese Fragen auf europäischer und nicht auf nationaler Ebene zu entscheiden."

    Nicht, dass es in den Berichten keine Kritik an der Europäischen Union gäbe. In jedem Band listen die britischen Autoren gut 300 Verbesserungsvorschläge auf. Aber diese beziehen sich im Wesentlichen darauf, überholte Passagen zu streichen, Doppelungen zu vermeiden und die Texte zu straffen und zu entschlacken. Viel Arbeit also, mit der wenig Ruhm zu ernten ist. Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag wird die Bundesregierung auf schärfere Kontrollen der nationalen Reformpläne drängen. Dabei geht es vor allem um Länder wie Italien, Spanien, Frankreich und Belgien, die nicht unter dem Euro-Rettungsschirm stehen, aber dennoch mit hohen Schulden kämpfen. Diese Regierungen möchte Berlin gerne vorbeugend in die Pflicht nehmen. Doch das sind zufällig auch die Länder, in denen Vorschläge zur Renationalisierung von EU-Kompetenzen gar nicht gut ankommen. Vorschläge zum Rückbau der EU stehen dort generell unter dem Verdacht, dass sich die reichen Länder aus der Solidarität stehlen wollten.

    Euro-Münzen stapeln sich in Berlin für eine Fotoillustration schief auf einem Tisch.
    Euro in Schieflage: Die Krise hat ihren Beitrag zur Unzufriedenheit mit der EU geleistet (AP)
    Vereinfachung nicht durch Rückgabe von Kompetenzen
    Letzte Woche hat der italienische Regierungschef Enrico Letta gemeinsam mit seinem finnischen Kollegen Jyrki Katainen einen Aufsatz über bessere Rechtssetzung in der Europäischen Union geschrieben. Er wurde in mehreren europäischen Zeitungen abgedruckt. Letta und Katainen loben darin die Bemühungen der EU-Kommission und einzelner Mitgliedsländer, die EU-Gesetzgebung einfacher und schlanker zu mache, warnen aber zugleich vor Missverständnissen:

    "Eine Vereinfachung der Europäischen Rechtssetzung bedeutet nicht eine Rückführung von Entscheidungskompetenzen an die Mitgliedsstaaten."

    Wenn es am Ende zur Entscheidung kommt, darf man sicher sein, dass der Bundesregierung die Kontrolle der nationalen Reformen durch die EU-Kommission wichtiger ist als die vage Hoffnung, ein paar Kompetenzen aus Brüssel zurückzuholen. In Krisenzeiten pflegt die EU zu wachsen, nicht zu schrumpfen - allem Unmut in der Bevölkerung zum Trotz.