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"Überhaupt kein Spielraum für Steuersenkungen da"

Es sei unverantwortlich, jetzt über Steuersenkungen nachzudenken, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Die schlechten Daten hätten doch gezeigt, dass kein Spielraum da sei. Zunächst müsse das Haushaltsdefizit reduziert werden.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.05.2010
    Jasper Barenberg: Die Pläne der schwarz-gelben Koalition, die Steuern zu senken, sie dürften heute einen weiteren Dämpfer erhalten, denn die Kassen von Bund und Ländern und Gemeinden, in sie wird in diesem Jahr aller Voraussicht nach noch weniger Geld fließen als ohnehin schon befürchtet. Am Mittag werden die Fachleute ihre Vorhersage offiziell bekannt geben. Wie immer zeichnet sich allerdings schon vorab eine Tendenz bei den Steuerschätzern ab.

    Welche Schlussfolgerungen muss die Bundesregierung aus diesen Daten ziehen? – Darüber möchte ich jetzt mit Peter Bofinger sprechen. Er ist Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, also einer der sogenannten Wirtschaftsweisen. Einen schönen guten Morgen.

    Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Bofinger, empfindlich weniger Einnahmen für den Staat absehbar. Muss die Bundesregierung jetzt Farbe bekennen und sich endgültig von dem Vorhaben verabschieden, die Steuern weiter zu senken?

    Bofinger: Mich hat es schon immer gewundert, dass man auf diese Steuerschätzung wartet, um zu entscheiden, ob man sich Steuersenkungen leisten kann, denn die Daten auch schon ohne die Steuerschätzung waren schlecht genug, um zu zeigen, dass überhaupt kein Spielraum für Steuersenkungen da ist. Auch ohne die Steuerschätzung musste man davon ausgehen, dass in den nächsten fünf, sechs Jahren etwa 70 Milliarden eingespart werden müssen, und da war von vornherein kein Spielraum für Steuersenkungen da.

    Barenberg: Nun sagt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, bekanntermaßen Mitglied der FDP, dass die Erwartung an geringere Einnahmen keinesfalls irgendetwas ändern würde an den Steuerplänen der Regierung. Wie beurteilen Sie dann solche Aussagen?

    Bofinger: Ich muss sagen, ich kann das nur als unseriös beurteilen, denn wenn ich jetzt ein gigantisches Defizit mittelfristig zu konsolidieren habe, dann würde ich von der Politik erwarten, dass sie zunächst darlegt, mit welchen Maßnahmen sie dieses Defizit zu reduzieren gedenkt. Ich würde mir also vorstellen, dass wir eine klare Liste von politischen Maßnahmen bekommen, und wenn man dann am Ende des Tages feststellt, dass nach diesen Maßnahmen, mit diesen Maßnahmen noch Geld übrig ist, dann könnte man auch Steuersenkungen vornehmen. Im Moment läuft es umgekehrt, dass man erst die Steuersenkungen vornimmt und dann anfängt, sich Gedanken zu machen, wie man eigentlich die Konsolidierung zu bewerkstelligen gedenkt.

    Barenberg: Das hat der Sachverständigenrat in seinem letzten Gutachten ja auch schon recht hart kritisiert. Bisher hat Finanzminister Wolfgang Schäuble ja auch keinen einzigen Sparvorschlag auf den Tisch gelegt. Harte Einschnitte haben Sie im Herbst gefordert, statt Träumereien. Wo muss der Staat denn jetzt Leistungen streichen?

    Bofinger: Das ist gar nicht so einfach, weil ja unser Staat schon in den letzten Jahren ziemlich stark seine Spielräume eingeengt hat, und man kann das nicht so einfach jetzt aus der Hand schütteln. Die Tatsache, dass von allen Politikern, die an der Regierung sind, überhaupt keine Vorschläge gemacht worden sind seit Herbst – und so lange haben wir diese Regierung ja schon -, zeigt schon, dass es sich um lauter unangenehme Maßnahmen handelt, um eine Art Krötensammlung sozusagen, und keiner hat jetzt den Mut, die einzelnen Kröten auf den Tisch zu stellen.

    Barenberg: Wo sind denn die Kröten versteckt?

    Bofinger: Man könnte natürlich die Mehrwertsteuer erhöhen; das wäre aber jetzt in der doch noch etwas schwachen konjunkturellen Situation, wo wir auch eine Inlandsnachfrage benötigen, ein sehr problematischer Ansatz. Man könnte die Einkommenssteuer erhöhen, aber das wäre natürlich genau das Gegenteil von dem, was die FDP anstrebt. Und dann ist da nicht mehr so furchtbar viel da. Aus meiner Sicht wäre ein Bereich, den man auf den Prüfstand stellen sollte, die gesamte staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge. Da werden Milliarden ausgegeben, ohne dass man genau weiß, was damit erreicht wird, und auch die Bürger sind, glaube ich, ziemlich verunsichert, wenn es darum geht, in diesem Bereich sich zurecht zu finden. Diesen ganzen Bereich mal auf den Prüfstand zu stellen und zu überlegen, was braucht man davon wirklich, das wäre sicher eine Möglichkeit, doch einige Milliarden einzusparen.

    Barenberg: Wenn wir über Kürzungen reden, wird es dann ohne Kürzungen im Sozialbereich, bei sozialen Leistungen nicht gehen?

    Bofinger: Ich kann mir das schwer vorstellen, dass man jemand, der Hartz IV bekommt, nun den Regelsatz kürzt. Das halte ich für sehr problematisch. Bei den Renten, denke ich, sind wir auch schon ziemlich am Rande dessen, was machbar ist. Im Krankenversicherungsbereich werden Zuzahlungen sowieso kommen. Da sollte man sich keine Illusionen machen, da ist relativ wenig, was man einsparen kann. Deswegen ist es ja so unverantwortlich, in einer solchen Situation über weitere Steuersenkungen nachzudenken.

    Barenberg: All diese Überlegungen, Herr Bofinger, haben in den Augen der Bundesregierung nichts mit den Milliarden-Hilfen für Griechenland zu tun, die in dieser Woche im Bundestag beraten werden. Das ändere nichts an der Haushaltspolitik, an der Finanzpolitik. Sehen Sie das auch so?

    Bofinger: Wenn man das formal sieht, hat die Bundesregierung ja Recht. Das sind Bürgschaften, die vergeben werden, und nur dann, wenn Griechenland tatsächlich definitiv seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, sind das auch Belastungen für den Haushalt. Ich fände es jetzt auch nicht gut, wenn wir wegen Griechenland in Deutschland zusätzliche Einsparungen vornehmen würden. Wir müssen auch in Deutschland darauf achten, dass die Konjunktur am Laufen bleibt. Wir haben zwar im Augenblick eine sehr erfreuliche Stimmung in der Wirtschaft, aber wenn man sich so die mittelfristigen Perspektiven ansieht, bin ich mir noch nicht sicher, ob wir tatsächlich über den Berg sind, ob wir also tatsächlich schon einen sich selbst tragenden wirtschaftlichen Aufschwung haben.

    Barenberg: Bundeskanzlerin Merkel hat das geplante Hilfspaket für Griechenland gestern im Bundestag als alternativlos verteidigt. Ist es das richtige Mittel zur richtigen Zeit?

    Bofinger: Ich würde sagen, von der richtigen Zeit kann man nicht sprechen. Es kam viel zu spät. Man hat ja schon eigentlich im letzten Herbst erkennen können, was sich da zusammenbraut. Wir haben das in unserem Gutachten damals schon angesprochen. Was jetzt das richtige Mittel angeht, so glaube ich, dass es zwar vernünftig ist, dass man Griechenland so umfassend hilft, aber es fehlt ein Gesamtkonzept für den Euroraum. Wir haben es mit einer ähnlichen Situation zu tun wie bei der Finanzkrise im Herbst 2008, wo man auch zunächst einzelne Banken rettete und wo man dann aber die Situation erst dann stabilisieren konnte, als man ein Gesamtkonzept auf den Tisch legte. Ich glaube, das ist das, was wir dringend benötigen. Der Euroraum muss im Ganzen auftreten, muss auch im Ganzen den Märkten klar machen, dass er in der Lage ist, seine Mitgliedsländer zu schützen. Dazu würde für mich auch gehören, dass die Europäische Zentralbank auf dem Markt Anleihen von Mitgliedsstaaten aufkauft. Das ist überhaupt nichts Besonderes. Die englische Regierung hat im letzten Jahr ihre gesamten Defizite von der Notenbank finanzieren lassen und auch in den Vereinigten Staaten hat die Notenbank in hohem Umfang Staatsanleihen angekauft. Hier muss man also wirklich als Einheit auftreten und muss geschlossen auftreten, man muss massiv auftreten und dann, glaube ich, kann man auch mit den Märkten zurecht kommen.

    Barenberg: Hierzulande ärgert ja viele insbesondere, dass wir, die Steuerzahler, jetzt für die Folgen der griechischen Krise aufkommen müssen, die Banken aber einmal mehr ungeschoren davonkommen, obwohl sie ja auch gut verdienen am Niedergang Griechenlands. Muss das so sein? Gibt es dazu keine Alternative?

    Bofinger: Ich weiß gar nicht, ob die Sichtweise so richtig ist. Die Tatsache, dass unsere Banken jetzt in Griechenland, in Irland, in Portugal, in Spanien engagiert sind, ist ja nicht Ausdruck einer hohen Spekulationsneigung der Banken, sondern es ist Ausdruck der Tatsache, dass Deutschland als Volkswirtschaft in den letzten Jahren unglaublich hohe Geldersparnisse gebildet hat, und diese hohen Geldersparnisse mussten ja irgendwo investiert werden. So viele Länder mit guter Bonität gab es gar nicht in den letzten Jahren, die tatsächlich auf Auslandskapital angewiesen waren. Im Vergleich zu Island oder Lettland oder Ungarn waren vielleicht Griechenland, Portugal, Spanien gar keine so schlechte Entscheidung.

    Barenberg: Jetzt wird in der politischen Debatte in Deutschland sehr viel gesprochen über Instrumente, die künftig ähnliche Krisen verhindern sollen. Ein Insolvenzverfahren für Staaten ist im Gespräch, eine Bankenabgabe, eine Finanztransaktionssteuer. Wofür würden Sie den Hut in den Ring werfen?

    Bofinger: Was ich für außerordentlich problematisch finde ist, dass man im Augenblick über ein Insolvenzrecht für Staaten oder Umschuldung spricht, denn das ist ja genau das, was alles, was man an Vertrauensgewinn schaffen kann, wieder unterminiert, wenn die Anleger am Ende doch das Gefühl haben, dass sie eben bei einer griechischen Anleihe oder bei einer portugiesischen Anleihe nicht 100, sondern 80 oder 70 zurückbezahlt bekommen. Deswegen finde ich das völlig kontraproduktiv, in einer solchen Situation über so etwas nachzudenken. Das kann man mittelfristig durchaus ins Auge fassen, aber im Augenblick ist es überhaupt nicht zielführend.

    Barenberg: Peter Bofinger, das Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Bofinger.

    Bofinger: Danke schön!