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Überlebende des Brooklyn-Hypes
Yeasayer bleiben eklektisch

Vor etwa zehn Jahren entwickelte sich der New Yorker Stadtteil Brooklyn zum weltweiten Zentrum progressiver Popmusik. Auch die Band "Yeasayer" stammt aus Brooklyn. Das Trio mischt jedoch auf ihrem neuen Album "Amen & Goodbye" fröhlich Elektronica und Indie-Rock zusammen - so als hätte es den Brooklyn-Hype nie gegeben.

Von Christian Lehner | 26.03.2016
    Gitarrist Anand Wilder (links) und Bassist Ira Wolf Tuton (rechts) während eines Interviews bei Mute Records in Berlin
    Gitarrist Anand Wilder (links) und Bassist Ira Wolf Tuton (rechts) während eines Interviews bei Mute Records in Berlin (Christian Lehner)
    Vorsicht bitte, diese Band könnte Ihnen den Kopf verdrehen. Und das nicht nur, weil das Eröffnungsstück des neuen Albums an die Psychedelic-Phase von vier Pilzköpfen aus Liverpool erinnert.
    Die Band Yeasayer kann man getrost als die Verdreher und Zerdehner zeitgenössischer Popmusik bezeichnen. Die Stücke des Trios aus Brooklyn klingen, als hätte man sie auf Instrumenten aus Knetmasse eingespielt.
    Tatsächlich wimmelt es in den Yeasayer-Videos und dem Artwork nur so von deformierten Körpern und Gegenständen. Dazu Ira Wolf Tuton, Bassist und musikalischer Kopf der Band:
    "Es sind visuelle Übersetzungen unserer Musik. Wir verschieben Schichten von Sounds und Rhythmen. Diese starke Bildsprache zielt darauf ab, Reaktionen hervorzurufen. Angenehm athmosphärische Backgroundmusik ist nicht unser Ding. Es ist doch viel aufregender, eine wunderschöne Büste zu betrachten aus der seltsame, undefinierte Flüssigkeit tropft. Das bis zur Perfektion modellierte Gesicht hat man ja schon in der Renaissance hinbekommen."
    Ein Cover mit apokalyptischen Zügen
    Das Cover des neuen Yeasayer-Albums "Amen & Goodbye" ähnelt einem Gemälde des apokalyptischen Malers Hyronimus Bosch. Wir sehen Models und Athleten, daneben Fratzen und deformierte Körper inmitten einer modernen Wohnlandschaft. Das Cover stammt von dem kanadischen Künstler David Altmejd – ein Spezialist für menschenähnliche Kreaturen. Die Band tauscht sich schon länger mit dem Bildhauer aus:
    "Einmal stand plötzlich sein Assistent vor unserem Studio. Er hatte eine Schachtel dabei. In dieser Schachtel befanden sich drei abgeschnittene Köpfe und es waren unsere modellierten Köpfe, auf die wir da starrten. Sie waren gespickt mit Kristallen. Wir nahmen dankend an, ließen uns davon inspirieren und sendeten Notizen zu unseren Songs zurück. So entstand allmählich das Coverbild."
    Die Musik von Yeasayer klingt genau so bemüht, wie sie gemeint ist. Das Trio rund um Sänger und Texter Chris Keating vermengt seit der Bandgründung vor acht Jahren Progressive-Rock mit tribalen Rhythmen und den Retorten-Sounds der Achzigerjahre. So wurden Yeasayer zu einer der innovativsten und gefragtesten Bands aus Brooklyn.
    Yeasayer, die wahren "Bildhauer des Pop"
    "Amen & Goodbye" ist das vierte Yeasayer-Album. Die Entstehungsgeschichte ist typisch für eine Band, die es sich nicht einfach machen will. Die Songs wurden in einer Farm in Upstate New York auf Tonband aufgenommen und in Kisten gelagert. Bei einem Sturm ging ein Großteil des Materials verloren. Die Band brachte daraufhin den verbliebenen Rest ins Studio, zerschnippelte die Bänder und mischte die Stücke mithilfe eines Produzenten neu ab:
    "Am Ende erwies sich der Unfall als Glücksfall. Durch die Digitaltechnik gibt es heute in den Studios kaum noch große Aufnahmeräume. Ich finde, dass man das hören kann; alles klingt komprimierter. Wir mussten nun unsere analogen Tonbänder neu arrangieren und zwar mit der Schere. Das war zwar mühsam, hatte aber den Vorteil, dass wir durch diese gute alte Cut-Up-Technik mehr Räumlichkeit erzeugen konnten."
    Ein Missgeschick für die Weiterentwicklung der Sound-Modellierung nutzen? Yeasayer sind die wahren "Bildhauer des Pop"! Trotzdem machen sich die Unpässlichkeiten am Endprodukt bemerkbar. Viele Stücke auf "Amen & Goodbye" sind kurze Instrumentals, die wie Füllmaterial wirken. Offensichtlich sind beim Sturm doch zu viele Bänder verloren gegangen. Die Qualität der verbliebenen Songs ist jedoch gewohnt hoch.
    Am Ende war sogar noch ein Kommentar zum aktuellen US-Wahlkampf drin. Wenn man das Albumcover genau betrachtet, erkennt man den gespaltenen Kopf von Donald Trump. Vielleicht haben Yeasayer ja deshalb ihr Album "Amen und Aufwiedersehen" genannt.
    Das neue Album von Yeasayer erscheint am 1. April auf Mute-Records, der neuen Heimat der Band aus Brooklyn. Im Juni stellen Yeasayer dieses Album dann live in Deutschland vor.