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Überlegungen über einen zeitgemäßen Petrusdienst

In seiner Enzyklika "Ut unum sint" (Damit alle eins sind) hat Papst Johannes Paul II. dazu aufgefordert, über neue Formen nachzudenken, die Kirche zu leiten. Doch die schüchternen Anfänge der Diskussion sind stecken geblieben.

Matthias Gierth im Gespräch mit dem Theologen Otto Hermann Pesch | 16.01.2013
    Matthias Gierth: Lassen Sie uns noch einmal grundsätzlich auf das Papsttum schauen. Von seiner grundsätzlichen Anlage her, wie reformierbar ist das Papsttum?

    Otto Hermann Pesch: Also mal ganz mutig und eindeutig gesagt: Selbst wenn ich Matthäus 16, 18 ("Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen") wirklich auf ein weiterzugebendes Petrusamt des römischen Bischofs beziehe, selbst dann ist damit ja überhaupt kein Blankoscheck ausgestellt, dass alle Einzelheiten des heutigen Papsttums mit seiner römischen Kurie sozusagen unter der Bevollmächtigung durch Jesus Christus selbst steht. Abgesehen von der Funktion des römischen Bischofs als Garanten der Einheit in Lehre und in den Grundlagen der Kirchendisziplin, so wie es die römisch-katholische Kirche versteht, ist alles andere, was dann jetzt an institutionellen und bürokratischen Mitteln, um diese Funktion auszuüben, sich da angesammelt hat im Laufe der Geschichte – auch übrigens immer wieder geändert worden ist, manchmal gut und manchmal schlecht geändert worden ist – ist vollkommen der Entscheidung der Kirche, das heißt auch des Papstes selber überlassen und könnte, wenn notwendig, von heute auf morgen geändert werden.

    Gierth: Tatsächlich geht aber doch von Rom ein anderes Signal aus, als wäre das, was – wie Sie dargestellt haben – historisch gewachsen ist und sich entwickelt hat, in Stein gemeißelt.

    Pesch: Also, mal böse gesagt, das hätten manche in Rom vielleicht gerne, aber so ist es nicht. Der sprechendste Beleg dafür ist ja, dass auch die Kompetenzzuweisungen an der römischen Kurie sich gerade auch im Laufe der letzten Jahrhunderte immer wieder geändert haben. Das Sanctum officium unseligen alten Angedenkens ist trotz aller Fortsetzung in der Glaubenskongregation doch etwas ungeheuer Anderes gewesen als heute.

    Gierth: Nun war es ja Johannes Paul II., der mit der Enzyklika "Ut unum sint" selbst dazu aufgerufen hat, über ein zeitgemäßes Verständnis des Petrusdienstes nachzudenken. Warum ist dieser Ansatz stecken geblieben?

    Pesch: Das hat einen sehr einfachen Grund. Das ist die berühmte Nummer 95, wo der Papst diese Einladung ausspricht und hinzufügt – eigentlich nicht über das Petrusamt als solches, sondern um den Stil der Ausübung dieses Amtes unter Beibehaltung des Wesentlichen dieser Sendung, schreibt er sybillinisch. Guckt man in der Bibel nach, dann ist das ganz wenig. Kaum wird Petrus mal den anderen Jüngern gegenübergestellt. Eigentlich ist es nur eben der Glaube des Petrus, das Bekenntnis des Petrus und die ihm zugewiesene Rolle als Sprecher für den gesamten Jüngerkreis. Daraus hat sich dann das andere entwickelt. Wenn das das Wesentliche der Sendung ist, kann man ja gut drüber reden. Aber in der vorausgehenden Nummer hat der Papst dann das Wesentliche dieser Sendung selbst beschrieben. Und zwar mit folgenden Worten: Das Wesen dieser Sendung besteht darin, darüber zu wachen, dass durch die Stimme der Hirten – der Bischöfe – die Stimme des einen Hirten Jesus Christus überall in der Welt erklingt. Da hat er also ein Jurisdiktions- und Lehrprimat in einer so unzweideutigen Weise festgeschrieben, dass nur noch über Stilfragen, aber nicht mehr über die Sache geredet werden sollte. Und dann kann man verstehen, dass weder von der orthodoxen Kirche noch von den protestantischen Kirchen sich jemand bereit gefunden hat, in dieses Gespräch mit dem Papst einzutreten. Nein, da muss dann schon mehr zur Debatte stehen dürfen als eben nur Stilfragen.

    Gierth: Lassen Sie uns darüber reden. Was müsste zur Debatte sehen dürfen? Wie müsste ein zeitgemäßer Petrusdienst aussehen, der auch von anderen christlichen Konfessionen akzeptiert werden könnte?

    Pesch: Ich will es mal etwas ganz groß geraten mit einem Bibelzitat zunächst einmal veranschaulichen. Da steht im 4. Kapitel der Apostelgeschichte über die ersten Christen in ihrer nicht-christlichen Umgebung: "Die aber zum Glauben kamen, hatten alles gemeinsam. Sie lobten Gott und waren bei allen beliebt". Bei den Nicht-Christen, wohlgemerkt. Man stelle sich mal vor, die katholische Kirche wäre in ihrem äußeren Auftreten und in ihren Aktionen und schlicht gesagt in ihrem Image ein Gegenstand der Beliebtheit bei alle Nicht-Katholiken. Das wäre doch mal ein Glaubenszeugnis. Nun muss man so hoch ja nicht klettern, aber wie werden wir in einer echt christlichen Weise vor der Welt so attraktiv und bewundert und verehrt geradezu, dass daraus ein Glaubenszeugnis wird? Das wäre der Maßstab zu überlegen, was man an den institutionellen Formen und Vorgehensweisen – gerade auch des römischen Papsttums – ändern könnte, um etwas mehr in diese Richtung zu gehen. Ein wichtiger Gesichtspunkt schiene mir zum Beispiel, dass man doch mal ernsthaft überlegen soll, wie viel an dem jetzt noch üblichen Pomp – vor allem bei offiziellen Anlässen – man ich Rom tunlichst aufgeben könnte zugunsten einer größeren Schlichtheit. Man sagt immer schon mal gerne etwas boshaft, was würde Jesus wohl denken, wenn er unangemeldet in ein Pontifikalamt des Papstes im Petersdom käme. Ein andere Punkt wäre, dass der Papst selber mal etwas täte, um nicht Diskussionen so schnell wie möglich abzuwürgen, wenn sie eventuell ein bisschen irritieren könnten, sondern geradezu zur Diskussion zu ermuntern. Das freie Wort in der Kirche zu fördern, weil sich immer in der Kirchengeschichte herausgestellt hat, dass die freie Diskussion in der Kirche, die beste Garantie war, dass – vielleicht unter zeitweiligen Verwirrungen – am Ende die Wahrheit sich herausgestellt hat. Daraus einen Maßstab zu gewinnen, das freie Wort in der Kirche nicht misstrauisch zu beachten, sondern zu ermuntern und zu sagen, nun diskutiert mal mit wirklich mit allen Argumenten, wir vertrauen darauf, dass der Heilige Geist auch im Streit wirkt, so wie er –Apostelgeschichte 15 – beim ersten Konzil durch den Streit hindurch die Wahrheit dann schließlich herausgebracht hat.

    Gierth: Wie würden Sie die Art und Weise skizzieren, in der der amtierende Papst Benedikt XVI. sein Amt ausübt?

    Pesch: Es ist schon das böse Wort aufgekommen, das böse Wort vom Teilzeit-Papst. Das heißt, er hat bis heute nicht den Professor abgelegt, der er war. Die notwendigen innerkirchlichen Reformen, die schon einen langen Stau bilden, die packt er nicht an. Ja, man müsste eine neuen Johannes XXIII. haben, der sich um kirchliche und politische Korrektheit nicht schert, gegebenenfalls wieder im Priesterkleid sich aus dem Vatikan schleicht und in Rom mit den Leuten redet. Jedenfalls alles tut, damit ihm die Wahrheit im Volke Gottes nicht vorenthalten wird.

    Gierth: Summa summarum, welche Desiderate gibt es für seinen Nachfolger?

    Pesch: Er müsste natürlich auf jeden Fall mal den Reformstau anpacken. Und zwar nicht nur immer in Bezug auf Zölibat und so etwas, das ist ja schon fast ein cantus firmus in allen solchen Vorschlägen, sondern wie geht es weiter zum Beispiel mit der Kollegialität der Bischöfe. Die Einrichtung der regelmäßigen Bischofssynoden alle fünf Jahre war ja mal gedacht, ursprünglich und auch von Paul VI. so konzipiert, dass die ein Organ der Kollegialität der Bischöfe mit dem Papst werden. Was herausgekommen ist, schon unter Paul VI. erst recht unter seinem Nachnachfolger, sind die Ablieferungen von vorgefertigten Statements und keine Diskussion untereinander, schon gar nicht mit dem Papst. Ein zweites: der Papst sollte etwas Ähnliches machen, wie man sich von Kardinal Döpfner in München erzählt. Der hat in regelmäßigen Abständen, so jeden Monat einmal, Leute aus der Öffentlichkeit, Wissenschaftler, Journalisten, Politiker, Wirtschaftler zum Abendessen eingeladen – unter der Bedingung, dass sie ihm ungefiltert sagen, wie die Lage und die Stimmung im Volke Gottes ist. Umgekehrt hört man immer wieder, dass schon die Vorsortierung der Post für den Papst mit sorgfältiger Auswahl dessen geschieht, was man dem Papst glaubt zumuten zu sollen und was nicht. Da müsste der Papst selber mal gegensteuern und müsste den Postsortierer unter Strafe der Exkommunikation verpflichten, dass er ihm auch die kritischen Briefe vorlegt. Also, dass der Papst irgendetwas unternimmt, damit er nicht in die Gefahr des Realitätsverlustes kommt, der sich leicht einstellen kann, wenn man 500.000 auf dem Petersplatz jubeln sieht und sich dann fragt, ja was wollen die paar Krakeeler nördlich der Alpen da noch, es läuft doch. Und dann wäre natürlich schon, und darin müsste er auch ein würdiger Nachfolger von Benedikt XVI. werden: ein Mann, der über theologische Kompetenz verfügt und auch in der Lage ist an die Adresse von Nachdenklichen und Intellektuellen den Glauben in seinen Verlautbarungen so zu formulieren, dass er ganz schlicht attraktiv wird, als Anfrage ernst genommen werden kann und nicht nur als Überbleibsel aus der Geschichte, das nach Meinung anderer ja sowieso in naher Zukunft aussterben wird.