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Überraschung im ewigen Eis

Umwelt. - Die Gletscher von Grönland sind immer für eine Überraschung gut. Vor Jahren lieferten sie den Beweis, dass das Klima für unmöglich gehaltene Sprünge macht. Jetzt enthüllt das Gletschereis weitere Details über die Anatomie eines Klimawandels.

Von Dagmar Röhrlich | 20.06.2008
    Vor mehr als tausend Jahre erreichte Erik der Rote das Land, das die Wikinger Gunnbjörns Schären nannten. Er erkundete die Küste und machte sich auf, um Kolonisten für seine Insel zu werben. Dazu nannte er die Schären werbewirksam um: in Grönland – also Grünland. Ob das Land wirklich so einladend war oder ob Erik der Rote maßlos übertrieb, ist umstritten. Aber Bohrkerne aus dem Meer verraten, dass Grönland vor 125.000 und vor 400.000 Jahren seinen Namen tatsächlich verdiente:

    "Ich habe in Tiefseebohrkernen Pollen untersucht, die während früherer Warmzeiten von Grönland ins Meer geweht worden sind. Sie beweisen, dass während zweier Warmzeiten dort vor allem Fichten wuchsen. Es war damals milder als heute und die Gletscher hatten sich weit zurückgezogen. Zumindest Südgrönland war von so ausgedehnten und dichten Wäldern bedeckt wie heute Skandinavien."

    ...erklärt Anne de Vernal von der Québec-Universität in Montréal. Während der jetzigen Warmzeit sind die Bedingungen auf Grönland viel zu harsch, als dass Fichten dort bislang eine Chance hätten. Dabei begann die Warmzeit für die Fichten vielversprechend:

    "Wir haben Eisbohrkerne des NorthGRIP-Projekts aus dem Inneren Grönlands untersucht. Das Tolle an diesem Bohrkern ist, dass wir an ihm sogar ablesen können, was in den einzelnen Jahreszeiten geschah. Diesmal haben wir uns das Ende der jüngsten Eiszeit angesehen. Vor 14.700 erwärmte sich Grönland innerhalb kurzer Zeit um mehr als zehn Grad. Aber das währte nicht lange, und die Temperaturen stürzten erneut ab. Die Gletscher siegten – bis die Eiszeit vor 11.700 Jahren plötzlich endete. Das war der Übergang zu unserer Warmzeit."

    Die Wechsel waren so abrupt, als habe man einen Schalter umlegt, beschreibt Dorthe Dahl-Jensen vom Niels Bohr Institute der Universität Kopenhagen. Was genau passierte, verraten drei Indikatoren: Staub, Sauerstoff-Isotope und der schwere Wasserstoff:

    "Diese drei Parameter zeigen uns verschiedene Teile des Klimasystems. Der Staub aus den Eisbohrkernen stammt aus den Wüsten Asiens, zeigt also eine sehr weit entfernte Veränderung an. Die Sauerstoffisotopen stehen dafür, was vor Ort passiert, und der schwere Wasserstoff verrät die Temperatur des Meers, in dem das Wasser für den grönländischen Schnee verdunstete."

    Sune Olander Rasmussen vom Niels Bohr Institut. Vor einem Temperatursprung in Grönland setzten allmähliche Veränderungen im Staubgehalt der Luft ein. Dahinter steckt wahrscheinlich, dass sich zu Beginn der Warmzeiten der Monsun verstärkte, die Wüsten Asiens feuchter wurden und der Wind weniger Staub aufwirbeln konnte. Fünf Jahre später erreichten die globalen Veränderungen die Arktis: Wichtige Atmosphärenströmungen verlagerten sich plötzlich zum Pol hin, wärmere Luft- und Wassermassen drangen vor, ließen das Meereis schmelzen:

    "Dieser Wechsel läuft sehr schnell, über ein bis drei Jahre hinweg. Zuletzt erwärmt sich die Luft über dem Eis selbst. Über Grönland schlug die Luftzirkulation innerhalb eines Jahres von warm nach kalt um."

    Abrupte Temperatursprünge in der Arktis beginnen also in den Tropen oder Subtropen, erklärt Dorthe Dahl-Jensen:

    "Das Klima kann von Jahr zu Jahr umschlagen, wobei sich die Veränderungen allmählich aufbauen, bis irgendwann ein Grenzwert überschritten wird. Das passiert bislang nur in den Kaltzeiten, während der Warmzeiten ist das Klima stabil. Derzeit verändern wir das Klima jedoch so stark, dass wir vielleicht in einen neuen Zustand geraten, in dem solche schnellen Wechsel eine Rolle spielen."

    Die Forscher fürchten, dass durch den anthropogenen Treibhauseffekt das Klima in der jetztigen Warmzeit instabil wird. Sprunghafte Temperaturanstiege könnten die Lage schnell verschlimmern. Ob diese Sorge berechtigt ist, ist derzeit nicht einzuschätzen: Noch lassen sich schnelle Klimaumschwünge in Computermodellen nicht nachvollziehen. Auf jeden Fall wird es noch dauern, ehe in Grönland wieder die Wälder wachsen.

    http://neem.ku.dk/