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Überschuldung in Deutschland
Verdopplung der Privatinsolvenzen für 2021 erwartet

Die Zahl überschuldeter Verbraucher ist laut einer Studie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform zurückgegangen. Doch nachhaltig ist das nicht. Besonders gefährdet sind laut Patrik-Ludwig Hantzsch von Creditreform diejenigen, die sowieso schon wenig verdienen - und in Zeiten von Corona kaum sparen können.

Von Moritz Küpper | 10.11.2020
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Durch die Corona-Pandemie ist das Thema Überschuldung zeitweise vertragt worden, erklärt der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, Hantzsch (dpa-Zentralbild)
"Wir hatten 6,85 Millionen überschuldete Deutsche. Das sind 69.000 weniger als wir im Hochkonjunktur-Jahr 2019 hatten." Sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Die Wirtschaftsauskunftei erstellt jährlich den sogenannten Schuldneratlas für Deutschland:
"Die Überschuldungsquote beträgt 9,87 Prozent, das bedeutet übersetzt: Jeder zehnte Erwachsene in Deutschland ist überschuldet. Das klingt zunächst dramatisch, aber tatsächlich ist das ein Rückgang gegenüber 2019." Dabei, so Hantzsch, liege dieser statistisch positive Trend auch und gerade an der Pandemie, zeigten sich nämlich Corona-Sondereffekte:
"Die Sparneigung der Verbraucher hat zugenommen. Das heißt, die Unsicherheit hat befeuert, dass die Leute weniger konsumiert haben, die haben eher gespart, das heißt, sie hatten mehr in der Tasche, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Deswegen ist das Thema Überschuldung zeitweise vertagt worden."
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Wohl tatsächlich überschuldet: 7,3 Millionen Menschen
Gerade die staatlichen Maßnahmen wie das Kurzarbeitergeld, aber auch die Aussetzung der Insolvenz-Antragspflicht oder die Hilfen für Klein-Unternehmen und Solo-Selbstständige hätten sich bemerkbar gemacht. Dennoch, diese Zahlen, so Hantzsch, würden den Blick auf das aufkommende Problem verstellen, denn:
"Mithilfe von repräsentativen Umfragen haben wir den subjektiven Schuldenstress erfasst und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass insgesamt 7,3 Millionen Menschen eigentlich wirklich überschuldet sind, tatsächlich. Und das wird sich im nächsten und übernächsten Jahr in Form von Privatinsolvenzen auch in die Statistiken niederschlagen. Derzeit gehen wir davon aus, je nachdem wie schwer die Pandemie noch wütet, dass wir eine Verdoppelung auf rund 110.000 Fälle für das Jahr 2021 beim Thema Privatinsolvenzen prognostizieren."
Ein Stempel mit Aufschrift Überschuldung vor Geldscheinen.
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Angestellte im Niedriglohnsektor besonders gefährdet
Es ist also eine Ruhe vor dem Sturm – zumal sich auch die Spreizung zwischen arm und reich weiter ausprägt:
"Corona bewirkt, dass diejenigen, die sowieso schon wenig verdienen, mehr unter der Krise leiden, weniger zurücklegen können und eher in eine Überschuldungsspirale geraten, wohingegen diejenigen, die sowieso schon Vermögen haben oder auch ein gutes Einkommen, die können diese Ausfälle kompensieren, die zum Beispiel die Kurzarbeit mit sich bringt oder aber der Arbeitsplatzverlust, zumindest für eine gewisse Zeit." Dadurch sei beispielsweise auch die Mittelschicht besonders gefährdet, so Hantzsch.
Und: "Wir haben ausländische Mitbürger, die oft in Niedriglohnsektor arbeiten, der zum Beispiel in der Gastronomie, in der Event- und auch in anderen Branchen jetzt wegfällt. Und natürlich auch junge Menschen, wie zum Beispiel auch Studenten, die auf 450-Euro-Jobs jetzt reihenweise weggefallen sind. All die trifft Corona besonders und der Lockdown im besonderen Maße und wir werden hier Zuspitzungen im nächsten Jahr sehen."