Donnerstag, 18. April 2024

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Überschwemmungen in Südasien
"Nepal hat am meisten darunter zu leiden"

40 Millionen Menschen sind in Südasien von Überschwemmungen betroffen. Am schlimmsten treffe die Katastrophe Nepal, sagte der Südasien-Experte Christian Wagner im Dlf. Dort habe es besonders an Vorbereitung und administrativen Strukturen gemangelt. Zudem fehle es an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Indien.

Christian Wagner im Gespräch mit Stefan Heinlein | 31.08.2017
    Ein Bauer watet am 24. August 2017 mit seiner Kuhherde in Malda im indischen Staat West Bengal durch das hüfthohe Wasser.
    Viele Bauern haben durch die Überschwemmungen in Südasien ihre gesamte Ernte verloren. (AFP / Diptendi Dutta)
    Stefan Heinlein: Am Telefon ist nun der Südasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christian Wagner. Guten Abend, Herr Wagner.
    Christian Wagner: Guten Abend.
    Heinlein: 40 Millionen Menschen sind in den drei Ländern Nepal, Bangladesch und Indien betroffen von dieser Katastrophe. Wir haben es gerade gehört. Wie gewaltig ist eine solche Last für diese Länder? Kann man sie überhaupt tragen?
    Wagner: Ja, sie ist für die Länder natürlich eine sehr große Belastung. Am schlimmsten ist die Katastrophe vermutlich in ihren Ausmaßen in Nepal. Deutlich weniger davon betroffen ist Indien. Selbst in den indischen Medien ist das Thema eigentlich keine Schlagzeile, sondern nur eines von vielen Themen. In Bangladesch ist es sicherlich auch eine größere Katastrophe, aber dort haben wir in den letzten Jahren auch vieles an Vorbereitungen gesehen. Das Land ist ja in der Vergangenheit auch immer wieder von Wirbelstürmen heimgesucht worden. Hier gab es eine Reihe von Verbesserungen. Von den Drei Ländern, die jetzt davon betroffen sind, ist sicherlich Nepal das Land, das am meisten darunter zu leiden hat.
    Fehlende grenzüberschreitende Zusammenarbeit
    Heinlein: Nepal, Bangladesch, das sind ja arme Länder, Entwicklungsländer. Da kommt der Monsun jedes Jahr. Ist dieser Monsun, dieser gewaltige Monsun-Regen damit auch ein Hemmschuh für die nachhaltige Entwicklung dieser Region?
    Wagner: Ja. Der Monsun ist natürlich zunächst mal überlebensnotwendig, denn die Landwirtschaften dieser Länder sind in einem hohen Maße einfach von den jährlichen Regenfällen abhängig. Das heißt: Würde der Monsun nicht kommen, wäre es eine noch größere Katastrophe, was die Nahrungsversorgung in den Ländern anbelangt. In dem Sinne ist der Regen natürlich notwendig. Aber man hat natürlich nicht sehen können, dass der Monsun dieses Jahr wieder so heftig ausfällt.
    Es fehlt da vor allem dann auch an der Vorbereitung bei der Eindämmung der Fluten. Das ist wie gesagt in Nepal ein größeres Problem. In Indien gibt es hier eine Reihe von Maßnahmen. Aber gerade an der gemeinsamen Grenze zu Nepal fehlt dann auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit dem Nachbarstaat.
    Schwache staatliche Strukturen
    Heinlein: Kann man sich überhaupt schützen vor diesen Katastrophen? Sie haben die mangelnden Vorbereitungen angesprochen. Denn selbst ein hoch entwickeltes Land wie die USA ist ja, wie man aktuell gerade sieht, dazu offenbar nicht in der Lage, Hochwasser in dieser Form einzudämmen.
    Wagner: Ich glaube, man wird sich nicht wirklich dagegen schützen können. Länder wie Indien und Bangladesch haben sicherlich mehr an Vorbereitung getroffen. In Indien gibt es mittlerweile eine eigene Truppe gegen nationale Katastrophen, eine eigene technische Einsatzgruppe, die jetzt natürlich im Hocheinsatz ist. Bangladesch hat aufgrund seiner Erfahrungen mit Wirbelstürmen in den letzten Jahren sehr viel investiert in den Hochwasserschutz. Vor 25 Jahren sind bei Wirbelstürmen in Bangladesch zum Teil noch über 100.000 Menschen ums Leben gekommen. Diese Zahlen sind deutlich zurückgegangen.
    Nepal hat wie gesagt am meisten darunter zu leiden. Denken wir daran: Das Land hat ja erst vor zwei Jahren das schwere Erdbeben erlebt. Dieser Wiederaufbau ist noch nicht richtig in Gang gekommen. Das hat damals vor allem die Bergregionen getroffen. Jetzt trifft das Hochwasser die fruchtbare Ebene an der Grenze zu Indien. Dort gibt es auch die schwächsten staatlichen Strukturen. Wir haben noch immer keine Lokalverwaltung in Nepal. Das heißt, hier fehlt es einfach an den administrativen Strukturen, um hier gegen solche Katastrophen gefeit zu sein.
    Heinlein: Ein Teil dieser Katastrophe ist auch hausgemacht durch mangelnde Vorbereitung, durch eine nicht effiziente Verwaltung, vielleicht sogar durch eine verfehlte Umweltpolitik, durch Abholzung und andere Dinge?
    Wagner: Das trägt natürlich alles dazu bei. Wir bewegen uns ja in allen drei Ländern in Gesellschaften, die sich eher durch schwache staatliche Strukturen auszeichnen. Selbst wenn Indien hier unter den drei sicherlich noch die beste Ausstattung hat, muss man ehrlicherweise sagen, ist Indien natürlich im internationalen Vergleich auch unterfinanziert, auch unterverwaltet. Das heißt, es fehlt hier natürlich auch an entsprechenden effektiven Maßnahmen. Das haben wir jetzt auch wieder bei der Überflutung in Mumbai gesehen. Die Landesregierung hat nach dem letzten Hochwasser von 2005 hier zwar massiv investiert, aber vieles konnte nicht umgesetzt werden, vieles versickerte im Sumpf der Korruption. Hier gibt es dann einfach auch eine Reihe an strukturellen Mängeln, die eine nachhaltige Vorsorge hier vergleichsweise schwierig machen.
    Überschwemmungen in Texas finden auch in asiatischen Medien mehr Beachtung
    Heinlein: Herr Wagner, über Hurrikan Harvey, die sicherlich sehr schreckliche Katastrophe in den USA, in Texas, wird bei uns in den deutschen Medien seit Tagen sehr, sehr ausführlich berichtet. Über die Monsun-Katastrophe in Südasien mit 1500 Toten, 40 Millionen Menschen sind betroffen, wird bei uns dagegen nur am Rande berichtet. Was ist Ihre Erklärung für diese Diskrepanz?
    Wagner: Ich glaube, generell haben diese Länder immer ein geringeres Interesse in den Medien. Und gerade was solche Katastrophen anbelangt zeigt sich hier schon immer ein gewisser Zynismus, dass uns die Opfer und Verwüstungen in den USA dann doch irgendwie wichtiger erscheinen als ein deutlich höheres Leid, wie wir es in den Ländern Südasiens sehen.
    Auf der anderen Seite muss man aber ehrlicherweise auch zugeben, dass selbst in den südasiatischen Medien, in den indischen Medien auch die Katastrophe um Houston einen relativ hohen Stellenwert hat, wo hingegen die eigenen Überschwemmungen in den eigenen Bundesstaaten eigentlich nicht diese Beachtung finden. Auch da zeigt sich, dass vermutlich eine internationale Öffentlichkeit hier dann immer den Themen folgt und nicht immer dem menschlichen Leid.
    Heinlein: Der Südasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christian Wagner. Wir haben das Gespräch vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.