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"Überwachungskonzert"
Drohnen und Fesselballons in Darmstadt

Im Rahmen der "Internationalen Ferienkurse für Neue Musik" inszenierte das belgische Experimentalkunst-Ensemble "Nadar" politischen Protest gegen Totalüberwachung aus der Luft als Musik- und Optik-Spektakel - inklusive Fesselballons und Drohnen.

Von Ludger Fittkau | 06.08.2014
    Eine Überwachungsdrohne der Polizei.
    Auch Überwachungsdrohnen spielten bei dem Konzert in Darmstadt eine Rolle. (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    Der Büchner-Platz in Darmstadt ist angesagt. Ein Treffpunkt von jungen Leuten, die gerne mit der Gitarre und ein paar Dosen Bier auf dem leicht abfallenden großen Viereck sitzen, das die Fußgängerzonen der Innenstadt vom Betonklotz des Staatstheaters trennt. Selten jedoch wird auf dem Platz vor dem Theatergebäude wirklich Theater gespielt, obwohl er ideal dafür wäre. Thomas Schäfer, der Leiter der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt will das ändern:
    "Ein wunderbarer Platz, ich liebe ihn sehr. Aber er wird in der Tat sehr wenig theatral bespielt. Das wollen wir jetzt ändern. Und man sieht heute Abend, es sind ganz viele Menschen hier, die mit den Ferienkursen eigentlich nicht viel zu tun haben und das ist genau das Richtige."
    Auseinandersetzung mit dem Thema Überwachungstechnik
    Am Dienstagabend fanden sich rund 800 Menschen auf dem Büchnerplatz ein, um ein von Thomas Schäfer organisierte Spektakel der besonderen Art zu sehen: Ein Konzert neuer Musik, in dem vier Fesselballons und kleine Propeller-Drohnen über den Köpfen der Menschen in ein Klangereignis eingebaut wurden, das sich politisch mit dem Thema Überwachungstechnik auseinandersetzen wollte. Der Darmstädter Michale Siebert war einer der Zuschauer:
    "Das ist das Rauschen im Äther, das uns hier in wechselnden Rhythmen im Visier hat. Das von allen Seiten wieder auf uns rein strömt. Und dann das Gezirpe der Satelliten. So eine Atmosphäre strahlt das hier im Grunde aus."
    Audiovisuelles Erlebnis für die Zuschauer
    In der Mitte des Platzes wurden per Videobeamer Luftaufnahmen aus Fesselballons auf alle Seiten eines mehrere Meter Durchmesser großen Kubus geworfen. Die vier realen Ballons, die an den Ecken des Platzes mit heißer Luft aufgeblasen wurden, blieben während der Kunstaktion am Boden.
    Doch bei Einbruch der Dunkelheit steuerten sie nicht nur durch die regelmäßigen lauten Feuerstöße in das Balloninnere einen besonderen akustischen Beitrag zum Klang- Gesamtkunstwerk bei. Auch optisch waren die immer wieder von innen beleuchteten Heißluftballons für viele ein besonderes Erlebnis:
    "Ich wollte das jetzt nicht jeden Tag, aber es ist schon interessant, ja."
    "Es ist alles so neu, war alles gut."
    "Ja auf jeden Fall, gefällt mir sehr gut. Klingt komisch, aber wenn an sich erst mal drauf einlässt, ist es gut. Auch mit den optischen Elementen, den Heißluftballons zum Beispiel."
    Neue Musik à la Karl-Heinz Stockhausen oder John Cage ist nicht für jeden genießbar - daran ändert auch das Überwachungs-Konzert auf dem Darmstädter Büchnerplatz nichts. Doch die ungewöhnliche Klangkulisse war in Verbindung mit Videoprojektionen und den Ballons öffnet der oft elitär wirkenden Musik einen Zugang zu einem Publikum, das sonst nie in ein Konzert neuer Musik gehen würde.
    Drohnen über den Köpfen des Publikums
    Irgendwann tauchten mehrere kleine Überwachungsdrohnen über den Köpfen der Menschen auf dem Platz auf - sie symbolisierten die Totalüberwachung, in die aus Sicht vieler Bürger unsere Gesellschaft gerade abrutscht. Auf dem Videoprojektionswürfel verlasen junge Amerikaner Ausschnitt aus einem US-amerikanischen Anti-Terrorgesetz.
    Dennoch war jederzeit klar: Das hier ist alles nur Inszenierung, letztlich ein modernes Musiktheater. In der Realität ist Luftüberwachung mittels Drohnen oder auch Fesselballons eine Begleiterscheinung des Krieges. Der Darmstädter Michael Siebert:
    "Ich habe mal so einen Ballon in Israel gesehen, wo die als dem Ballon raus die Palästinensergebiete überwacht haben. Das sah, obwohl der viel weiter weg war, viel gefährlicher aus."
    Kultur gehört auf die Straße
    Vielleicht war das Spektakel, das von Belgischen Ensemble "Nadar" inszeniert wurde, am Ende auch ein bisschen langatmig, hatte etwa zu viele Musik- und Klangpausen im Programmablauf. Doch andererseits beweist es auch: Gerade im Sommer gehört Kultur auch auf die Straße. Und Inszenierungen wie die am Dienstagabend in Darmstadt bieten auch die Chance, Menschen für Kunstprojekte zu interessieren, die normalerweise nicht regelmäßig in Theater oder Konzertsäle gehen.