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Überwindung der Blut-Hirn-Schranke
Sesam-öffne-dich fürs Gehirn

Forscher der Harvard-Universität hatten sich vor einigen Jahren ein neues Verfahren einfallen lassen, um gezielt Medikamente ins Hirn zu bringen. Sie wollten die Blut-Hirn-Schranke mit Hilfe von Ultraschall durchlässig machen. Erste Tierversuche 2008 verliefen vielversprechend. Inzwischen werden auch Menschen behandelt, allerdings noch in einer ersten Testphase.

Von Frank Grotelüschen | 21.04.2015
    Computergrafik des menschlichen Gehirns von der Seite.
    Das menschliche Gehirn. (imago / Science Photo Library)
    Es erinnert an die Geschichte von Ali Baba. Dem war es einst mit seinem "Sesam-öffne-dich" gelungen, das Felsentor einer Schatzkammer zu öffnen. Ähnliches plante das Team um Nathan McDannold von der Universität Harvard. Durch einen verblüffenden Trick wollte es die Blut-Hirn-Schranke öffnen und so für Medikamente passierbar machen.
    "Wir verwenden Ultraschall in Kombination mit einem Kontrastmittel, das aus kleinen Gasbläschen besteht und das man routinemäßig für Ultraschalluntersuchungen nutzt. In dem Bereich des Gehirns, auf den wir unseren Ultraschall bündeln, öffnet sich die Schranke für ein paar Stunden. Und das gibt uns ein Zeitfenster, um dort gezielt ein Medikament einzuschleusen."
    Bis auf die Injektion des Kontrastmittels wäre das Verfahren nichtinvasiv - und damit schonender als die bisherigen Methoden, mit der Ärzte die Blut-Hirn-Schranke überwinden wollen: Dabei injizieren sie die Arznei mit einer feinen Nadel direkt ins Gehirn, oder sie pflanzen eine Art Medikamentenspender ins Hirn ein, der den Wirkstoff im Laufe der Zeit dosiert abgibt. Nur: Warum der Trick mit dem Ultraschall überhaupt funktioniert - die Forscher wissen es noch nicht. Entweder liegt das daran, dass die Kontrastmittel-Bläschen durch den Ultraschall in Schwingungen versetzt werden und die an sich festen Bindungen zwischen bestimmten Zellen ein wenig lockern. Dadurch entstehen Lücken im Schutzwall, durch die ein Wirkstoff dann schlüpfen kann. Doch ebenso denkbar ist, dass die vibrierenden Bläschen die Zellen direkt anspornen, sich für den Wirkstoff zu öffnen und damit zur Schleuse zu werden. Wie dem auch sei - das Verfahren funktioniert, sagt McDannold.
    Ein erster Schritt scheint nun getan
    "Wir haben in vielen Tierversuchen gezeigt, dass wir die Technik sicher anwenden können und auch so viel Wirkstoff durch die Blut-Hirn-Schranke bekommen, dass sich ein therapeutischer Effekt einstellt, insbesondere bei Tumoren. Die große Frage ist nun, ob sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen."
    Oft genug schon haben neue Verfahren im Tierversuch geklappt, beim Menschen dann aber versagt. Also wollten auch McDannold und seine Leute die Nagelprobe wagen und ihr Verfahren am Menschen erproben. Aber:
    "Leider waren die Fortschritte langsamer als erwartet. Ursprünglich hatten wir gedacht, wir würden heute längst mit Patienten arbeiten. Der Grund, warum das noch nicht geklappt hat, hat nichts mit unserem Verfahren zu tun. Das Problem lag vielmehr darin, das Geld für eine solche klinische Studie zusammenzubekommen."
    Die Sache sei deshalb so aufwendig, weil es sich bei dem Verfahren um eine Kombination handelt, sagt McDannold. Eine Kombination aus einem medizintechnischen Apparat, dem Ultraschallgerät, und einem Medikament, etwa einem Wirkstoff, der einen Hirntumor attackieren soll. Und das bedeutet: Für eine klinische Studie müssen die Forscher gleich zwei Industriepartner ins Boot holen - einen Medizingeräte-Hersteller und ein Pharmaunternehmen. Und das gestaltete sich weit mühseliger als erwartet. Ein erster Schritt aber scheint nun getan. In Kanada wird nun zumindest eine kleine Phase-1-Studie mit Menschen starten, bei der es um die Sicherheit des Verfahrens geht. Und ein Unternehmen in Frankreich erprobt bereits eine ähnliche Methode, die allerdings nicht ganz so schonend ist wie das Verfahren aus Boston.
    McDannold sieht ein großes Potenzial für seine Methode
    "Diese Firma arbeitet mit Patienten, die bereits eine Hirnoperation hinter sich haben. Dabei wird ein kleines Stück des Schädels durch einen Ultraschallsender ersetzt, der die Blut-Hirnschranke im Laufe der Zeit immer wieder öffnen soll, um Medikamente gegen Hirntumore zu verabreichen. Die klinischen Versuche haben bereits begonnen und laufen jetzt."
    Auf die Ergebnisse wartet auch Nathan McDannold gespannt. Denn nach wie vor sieht er ein großes Potenzial für seine Methode, nicht nur bei der Behandlung von Krebs, sondern auch bei der Therapie von Parkinson und Alzheimer.
    "Wir konzentrieren uns zwar auf Hirntumoren, denn da gibt es in vielen Fällen keine wirklichen Behandlungsmöglichkeiten. Doch andere Forscher untersuchen weitere Einsatzfelder, etwa für die Behandlung von Parkinson oder von Alzheimer. Da gab es eine sehr interessante Studie, in der man versuchte, per Ultraschall einen Antikörper ins Hirn zu schleusen, der dann die alzheimertypische Plaque auflösen soll. Überraschenderweise zeigte sich aber auch bei den Mäusen, die als Kontrollgruppe einfach nur mit Ultraschall behandelt wurden, ein Effekt. Offenbar hatte schon die Störung der Blut-Hirn-Schranke durch den Ultraschall gereicht, um Plaque abzubauen. Das klingt nach einem sehr viel versprechenden Ansatz für eine Alzheimertherapie."