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Uhren statt Autos

Die Autostadt Detroit gilt als Sinnbild für den Niedergang von Industriestädten in den USA. Mittlerweile gehört sie zu den fünf am schnellsten wachsenden Hightech-Städten. Junge Kreative bewirken einen Gründerboom. Der Firmengründer Jacques Panis baut in seiner Manufaktur zum Beispiel: Uhren.

Von Miriam Braun | 19.06.2013
    Ein blauer Plastikschutz für die Schuhe, ein durchsichtiger für die Haare. Wer die Manufaktur des Uhrenbauers "Shinola" in Detroit besuchen möchte, darf keine Dreck-Partikel mit sich bringen. Brian Ambrozy:

    "Sie haben gemerkt, wenn man reingeht, kommt einem Luft entgegen, das liegt an dem Überdruck, der dort herrscht. Auf diese Weise kontrollieren wir Staub, Nässe und Luftfeuchtigkeit. Die kleinsten Partikel müssen vermieden werden, weil die Uhrenmechaniken so fein sind."

    An werkbankgroßen Produktionsstraßen arbeiten rund 15 Leute mit kleinsten Werkzeugen und Lupen. Hier in Detroit produziert "Shinola" seit rund zwei Jahren Qualitätsuhren nach Schweizer Vorbild. Momentan werden 45.000 Stück pro Jahr gefertigt, bei voller Auslastung ist mehr als das zehnfache möglich. Zwar kämpft Detroit mit der drohenden Insolvenz, aber für Firmengründer Jacques Panis gibt es keinen besseren Ort für seine Manufaktur als die Motor-City:

    "Als wir uns umgeschaut haben nach einem zu Hause für Shinola, haben wir einen Ort gesucht, der eine starke industrielle Vergangenheit hat. Das Erbe der verarbeitenden Industrie trägt. Auch wir machen Motoren, Motoren für unsere Uhren. Und für die Produktion von Motoren gibt es keinen besseren Ort als Detroit."

    So wie Panis sehen es viele junge Unternehmensgründer und zeichnen ein neues Bild von Detroit. Lange galt die Autostadt mit den schweren Schuldenproblemen als Sinnbild der wirtschaftlichen Sorgen Amerikas. Seit 1950 ist die Bevölkerung von 1,9 Millionen auf 700.000 geschrumpft, jedes vierte Haus steht leer. Aber junge, enthusiastische und talentierte Fachleute, die die Stadt wieder aufbauen wollen, gibt es genug. Und sie bevorzugen Detroit vor den Technologie-Hochburgen Silicon Valley oder New York. Josh Linkner, vom Detroit Venture Partners investiert in Unternehmensgründungen:

    "Wer ins Silicon Valley geht, folgt der Herde. Dort ist der Wettbewerb um Ressourcen und Talente hart. Es ist unklug, dorthin zu gehen, wo die Massen hingehen. Wer etwas Wagemutiges starten will, dann lieber hier in Detroit. Wir sind wettbewerbsfähig nicht nur wegen der Kosten."

    Und der Wandel ist sichtbar: Seit dem Jahr 2000 ist die Einwohnerzahl unter 35 mit einem College-Abschluss um knapp 60 Prozent gestiegen. Detroit zählt zu den fünf am schnellsten wachsenden Hightech-Städten.

    "Wir investieren in Firmen und Gründer, so wie andere an der Ost- und Westküste der USA. Aber wir machen das ganz sonderbar in Detroit. Unser Ziel ist nicht nur Gewinne zu machen, sondern Detroit durch den Gründerboom wieder aufzubauen. Wir stützen leidenschaftliche Unternehmensideen und wollen damit ein lebhaftes Arbeitsumfeld kreieren, die leeren Häuser wieder füllen und die jungen Menschen dazu bringen hier zu bleiben."

    Denn Detroits Hauptargument scheint mit wirtschaftlichen Zahlen und Fakten nicht zu beschreiben: Es ist die Atmosphäre, der "Vibe", wie man im Englischen sagt, der die Stadt erfasst hat. Jacques Panis von der Uhrenmanufaktur Shinola:

    "Die Menschen hier zeigten uns ihre Leidenschaft, ihre Liebe, ihren Antrieb und den Drang Detroit wieder zu dem zu machen, was es mal war: das Paris des Mittleren Westen. Shinola ist nur ein Teil. Ein Farbklecks auf einer bunten und rund 350 Quadratkilometer großen Leinwand. Und diese Leinwand heißt Detroit."