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Ukraine
Ärger um neues Bildungsgesetz

Ein neues Bildungsgesetz in der Ukraine soll den Unterricht in Minderheitssprachen deutlich einschränken. Die Empörung ist groß - nicht nur bei der russischen und ungarischen Minderheiten, sondern auch bei den Nachbarn in der europäischen Union.

Von Florian Kellermann | 19.09.2017
    Szene einer ukrainischen Sprachschule in Kiew.
    Künftig soll der Unterricht in der Ukraine mit wenigen Ausnahmen nur noch in Ukrainisch stattfinden - und nicht wie bisher auch auf Russisch und Ungarisch (imago / ITAR-TASS)
    Solche Worte bekommt die Ukraine selten aus dem Nachbarland Ungarn zu hören: Das beschlossene Bildungsgesetz sei eine "Schande", erklärte der Außenminister Peter Szijjarto in Budapest. Und er wies ungarische Diplomaten an, Initiativen der Ukraine in internationalen Organisationen ab sofort nicht mehr zu unterstützen.
    Vor allem im ukrainischen Karpaten-Vorland gibt es eine starke ungarische Minderheit, die etwa 150.000 Mitglieder zählt. Emesche Scheltwaj-Weschdel, Lehrerin an einer Minderheitenschule dort:
    "Die Schüler sollten auch Biologie, Physik und Chemie in ihrer Muttersprache lernen. Deswegen können sie doch nicht schlechter Ukrainisch."
    Genau das sieht die ukrainische Regierung anders. Künftig sollen Kinder an den Schulen der Minderheiten nur bis zur vierten Klasse hauptsächlich in ihrer Muttersprache unterrichtet werden dürfen. Danach soll die Unterrichtssprache Ukrainisch sein. Mit einigen Ausnahmen: Die zugehörige Literatur darf weiter in der jeweiligen Minderheitensprache unterrichtet werden, außerdem die Geschichte des Landes, aus dem die Minderheit stammt.
    "Unsere Nachbarn müssen sich daran gewöhnen, dass wir unsere Interessen vertreten"
    Ebenso heftig wie in Ungarn fiel der Protest im nordöstlichen Nachbarland aus, in Russland. Die russische Sprache werde aus den Schulen vertrieben, titelte die staatliche Nachrichtenagentur Ria. An anderer Stelle beklagt die Nachrichtenagentur eine "totale Ukrainisierung" der Schüler.
    Solchen Stimmen dürfe sich die Ukraine nicht beugen, meint der einflussreiche Parlamentsabgeordnete Mustafa Najem von der prowestlichen Partei Demokratische Allianz:
    "Unsere Nachbarn, vor allem die Russische Föderation, glauben seit vielen Jahren, dass die Ukraine, wenn sie im eigenen Land ihre eigenen Interessen verteidigt, das mit ihnen abstimmen müsste. Das gilt für die Verfassung, das Militär und auch für die Sprache. Unsere Nachbarn müssen sich daran gewöhnen, dass wir unsere Interessen vertreten."
    Das Hauptargument für die Reform: Viele Absolventen der Minderheitenschulen könnten nicht ausreichend gut Ukrainisch. Sie hätten deshalb schlechte Chancen, die Aufnahmeprüfungen für Universitäten zu bestehen. Allerdings ist es kein Geheimnis, dass es vielen Abgeordneten, die für das Gesetz stimmten, auch um etwas anderes ging: Sie wollten die russische Sprache zurückdrängen, die ja auch viele Ukrainer sprechen. Denn, so meinen sie, die Dominanz der russischsprachigen Kultur gebe Moskau einen Hebel, um Einfluss auf die Ukraine auszuüben.
    Auch kritische Stimmen unter den Abgeordneten
    Es gibt jedoch auch Abgeordnete, die nur unter Bauchschmerzen für das Gesetz gestimmt haben. So Anton Heraschtschenko von der Partei Volksfront:
    "Die Reform insgesamt ist gut, aber nicht die Regelung der Unterrichtssprache. Allerdings wird die Strenge der ukrainischen Gesetze ja bekanntlich dadurch gemildert, dass sie schlicht nicht angewandt werden. So oder so wird im Süden und im Osten des Landes weiter auf Russisch unterrichtet. Und kaum jemand wird Strafen verhängen, um das zu ändern."
    Mit dieser Auskunft werden sich die Nachbarländer aber kaum beruhigen lassen. Sie rufen Präsident Petro Poroschenko auf, das Gesetz nicht zu unterschreiben.
    Inzwischen signalisiert die Regierung in Kiew Kompromissbereitschaft. Außenminister Pawlo Klimkin:
    "Die Diskussion mit unseren Nachbarn wird zu einer Verständigung führen. Wir nehmen die Sache sehr ernst. Es geht uns nur darum, dass jeder ukrainische Bürger die ukrainische Sprache voll und ganz beherrscht."
    Die Bildungsministerin kündigte an, das Gesetz den Experten des Europarats zur Beurteilung vorzulegen. Diese sollten überprüfen, ob es internationalen Vereinbarungen widerspreche.