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Ukraine
"Beide Seiten könnten mehr tun"

Nachdem Staatschef Poroschenko die Waffenruhe für beendet erklärt hat, rechnet CDU-Außenpolitiker Röttgen mit neuen EU-Sanktionen gegen Russland. "Eine absurde Idee", sagte Stefan Liebich, Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, im DLF. Damit komme man einer Verhandlungslösung keinen Schritt näher.

Stefan Liebich im Gespräch mit Gerd Breker | 01.07.2014
    Der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich unterhält sich am 09.10.2013 während der Mittagspause vor einem Hotel in Bersteland (Brandenburg).
    Der Linken-Abgeordnete Stefan Liebich ist Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. (dpa picture alliance / Hannibal Hanschke)
    Russland habe sich im Konflikt "völkerrechtlich falsch verhalten", doch der Rückzug russischer Truppen sei ein gutes Signal von Präsident Putin. Deshalb wäre es jetzt der falsche Zeitpunkt, wenn Europa mit einer Verschärfung der Sanktionen reagiere.
    "Beide Seiten könnten mehr tun, um zu einem Frieden zu kommen. Leider bewegen sich beide zu wenig", betonte Liebich. Dennoch habe Russland auch keinen uneingeschränkten Einfluss auf die Separatisten in der Ost-Ukraine.
    Jetzt heiße es, zuerst an die vielen Menschen zu denken, die wegen des Konflikts in der Ost-Ukraine auf der Flucht seien.

    Das Interview in voller Länge
    Gerd Breker: Brüchig war die Waffenruhe in der Ukraine, aber es war eine Waffenruhe. Damit ist nun Schluss. Waren sich gestern noch die Präsidenten Russlands und der Ukraine einig, dass die Waffenruhe verlängert werden sollte, so entschied sich Poroschenko in der Nacht anders. Die sogenannte Anti-Terror-Aktion gegen die Separatisten im Osten der Ukraine, sie wird fortgesetzt. Obwohl Poroschenko an seinem Friedensplan festhalten will, bedeutet das weiterhin Blutvergießen.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Stefan Liebich, er ist Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Tag, Herr Liebich.
    Stefan Liebich: Schönen guten Tag, Herr Breker.
    Breker: Sind Sie auch der Ansicht, Herr Liebich, dass man nun die Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise verschärfen soll?
    Liebich: Der Sachverhalt ist ja so – und das hat Ihr Beitrag eben deutlich gemacht -, dass Herr Poroschenko von Frau Merkel, von Herrn Hollande gebeten wurde, die Waffenruhe zu verlängern. Er hat sich nun einseitig entschieden, diese Waffenruhe nicht zu verlängern, und als Reaktion darauf sollen Sanktionen gegen Russland verhängt werden. Ich halte das für eine absurde Idee. Ich glaube, dass mit einer weiteren Zuspitzung, mit einer Rechtfertigung des Militäreinsatzes der ukrainischen Armee, wie es leider unser Ausschussvorsitzender, Herr Röttgen, heute Morgen gemacht hat, dass man mit Sanktionen und all diesem keinen Schritt einer Verhandlungslösung näher kommt. Deswegen halte ich davon gar nichts.
    Breker: Bliebe die Frage, wie man denn einer Verhandlungslösung näher kommen kann, Herr Liebich. Ist denn Poroschenkos Friedensplan für die Separatisten wirklich unannehmbar?
    "Jeder Vorschlag für den Frieden ist richtig Schritt"
    Liebich: Ich finde, jeder Vorschlag, der hier unterbreitet wird, um zu einem Frieden zu kommen, ist erst mal ein richtiger Schritt, auch der Vorschlag von Herrn Poroschenko, und ich halte es da ganz mit unserem Außenminister, Herrn Steinmeier, der gesagt hat, erst wenn die Waffen dauerhaft schweigen, hat eine Verhandlungslösung eine Chance. Das heißt, man muss zuerst einmal, denke ich, an die vielen Menschen in der Ukraine denken. Wir haben im Moment eine Situation, dass nach Angaben des UNHCR 110.000 Menschen aus der Ostukraine vor den Auseinandersetzungen zwischen diesen Separatisten und der ukrainischen Armee nach Russland geflohen sind, dass über 54,000 Menschen innerhalb der Ukraine nach einer sicheren Zuflucht suchen, und das muss doch das Erste sein, dass wir Sicherheit für die Menschen in der Ukraine schaffen und dann darüber verhandeln, welche Interessen hier wie miteinander abgewogen werden müssen.
    Breker: Hat denn der ukrainische Präsident unrecht, wenn er das Gewaltmonopol für den Staat einfordert?
    Liebich: Wir hatten diese Diskussion bei uns im Auswärtigen Ausschuss auch schon. Natürlich hat der Staat das Gewaltmonopol. Aber wo kommen wir denn hin, wenn wir als Reaktion auf Verbrechen, auf kriminelle Handlungen nach einem Einsatz, und zwar einem massiven Einsatz – Sie haben ja darüber berichtet – der Armee verlangt. Ich glaube, dass das Gewaltmonopol des Staates zum Beispiel in unserem Land aus gutem Grund bei der Polizei liegt und nicht bei der Armee. Bei uns ist das sogar ausgeschlossen, dass die Bundeswehr im Inneren des Landes eingesetzt wird, und das ist auch gut so. Nach so einer Lösung zu rufen, kann nie ein guter Weg sein. Das Militär im eigenen Land einzusetzen, ist falsch.
    Breker: Bliebe die Frage, Herr Liebich, wie kommen denn die Aufständischen eigentlich an die vielen schweren Waffen und an die Munition dafür? Die Grenze zu Russland ist offensichtlich nicht dicht.
    Frage nach der Verantwortung Russlands und Putins
    Liebich: Diese Frage ist vollständig berechtigt. Ich halte es auch absolut für nachvollziehbar und für logisch, hier nach der Verantwortung Russlands und Putins zu fragen. Es war so, dass Russland sich von Beginn an in dieser Krise völkerrechtswidrig und falsch verhalten hat. Umso besser ist es aber, wenn Russland jetzt seine Position offenkundig ändert, wenn auch zu langsam und wenn da auch immer mehr passieren könnte, dann muss man das doch als positives Signal aufgreifen. Sie haben es ja dargestellt: Der völkerrechtswidrige Beschluss des russischen Föderationsrates über den Einsatz russischer Truppen auf ukrainischem Territorium ist zurückgenommen worden. Ich halte das für einen wichtigen und notwendigen Schritt. Es gab auch ein Zurückziehen von russischen Soldaten von der ukrainischen Grenze und die Bereitschaft, dass auf russischem Territorium ukrainische Grenzbeamte tätig sein können. Das sind alles wichtige Signale. Ich verstehe jeden, der sagt, Putin muss hier mehr tun, und das stimmt auch. Aber auf solche Signale mit einer Verschärfung vonseiten der Europäischen Union zu reagieren, ist aus meiner Sicht falsch.
    Breker: Sie haben selbst gesagt, Herr Liebich, dass Russland zu langsam reagiert, zu langsam eingeht auf die Forderungen. Könnten da Sanktionen nicht helfen, diesen Prozess zu beschleunigen?
    Liebich: Ich halte von einem Vorgehen, das sagt, wer nicht hören will, muss fühlen, gar nichts. Man muss vom Ende her denken und ich glaube nicht, dass es am Ende mehr bringt. Außerdem fehlt mir bei all diesen Diskussionen die Forderung, die wir auch an die ukrainische Regierung stellen müssen. Es war ja so, dass erfreulicherweise bei den Präsidentschaftswahlen die Kandidaten der rechtsradikalen Swoboda nur relativ wenige Stimmen bekommen haben und die des rechten Sektors auch, und trotzdem haben wir immer noch Minister von dieser Partei in der Regierung. Ist es denn zu viel verlangt, dass Herr Poroschenko ein klares Signal aussendet, nicht nur in Richtung Russland, sondern auch übrigens in Richtung Europa – wir finden es auch nicht richtig, dass die Swoboda dort in dieser Regierung sind – und diese Minister aus der Regierung entlässt? Ich finde, beide Seiten könnten wirklich mehr tun, um zu einem Frieden zu kommen. Leider bewegt sich da zu wenig.
    Breker: Wer hat eigentlich aus Ihrer Sicht, Herr Liebich, Einfluss auf die Separatisten?
    Es gibt Signale
    Liebich: Na ja, ich kann das auch nur aus der Ferne beobachten. Es gibt Signale. Wenn man zum Beispiel sagt, lasst die OSZE-Beobachter frei, und man sagt in Richtung Russland, tragt etwas dazu bei, dann werden sie frei gelassen, dann wird das im nächsten Atemzug gleich wieder gegen Russland gewandt und man sagt, hier ist ja der Beweis, ihr habt Einfluss auf die Leute, also seid ihr auch Schuld an dem, was die dort tun. Ich habe inzwischen aber schon wahrgenommen, dass die russische Regierung und auch Herr Putin nicht mit allem einverstanden sind, was diese Separatisten tun, und umgekehrt. Denken Sie daran, dass die Separatisten selber sich von Putins Entscheidungen in der Vergangenheit distanziert haben und gesagt haben, das finden wir nicht richtig. Also ich denke, es gibt dort einen Zusammenhang, aber der ist sicher nicht so unmittelbar, wie man es uns glauben lassen möchte.
    Breker: Und wer könnte nun mit wem über was verhandeln?
    Liebich: Es gibt zwei Ebenen. Die eine Ebene ist die, dass es innerhalb der Ukraine einen Dialog geben muss, weil der erste Punkt ist ja, dass die Menschen in der Ukraine selbst entscheiden müssen, was ihre Zukunft betrifft. Da gab es ja mal die guten Vorschläge der Runden Tische. Da erinnere ich mich an die Wendezeiten der DDR. Da muss man mit denjenigen reden, die das Problem sind. Da kann man nicht von vornherein sagen, wir reden nur mit denen, die schon das Gleiche finden wir. Diese Runden Tische auf zentraler und regionaler Ebene sind ein wichtiger Schritt.
    Es kann aber leider nicht dabei bleiben. Es wäre schön, das zu sagen, dass die Menschen in der Ukraine das alles allein entscheiden können. Aber es ist ja so, dass es Interessen und auch Einflüsse von außen gibt, vonseiten zwar vonseiten Russlands, das ist deutlich zu erkennen, vonseiten auch vonseiten der Europäischen Union. Und was wir hier nicht vergessen wollen: auch vonseiten der Vereinigten Staaten von Amerika. Deshalb hilft es nichts: All diese Kräfte müssen miteinander sprechen, was die Zukunft der Ukraine ist. Meine romantische Vorstellung ist nach wie vor, dass die Ukraine die Chance hätte, eine Brücke zwischen Ost und West zu sein für Handel, für Reisen. Ich glaube auch, dass Visafreiheit für Russland und für die Ukraine ein richtiges Signal wäre. Aber im Moment klingt das alles wie Zukunftsmusik.
    Breker: Haben Sie eine Erklärung dafür, Herr Liebich, warum Russland an einer instabilen Ukraine interessiert ist?
    "Letztlich ist auch Russland auf vernünftige Beziehungen zu Nachbarn angewiesen"
    Liebich: Ich glaube das gar nicht. Ich glaube, dass am Beginn in der Tat Russland Signale der Stärke setzen wollte, bezogen auf die widerrechtliche Annexion der Krim. Ich glaube, dass das falsch war. Ich glaube, dass man dem auch entgegentreten muss. Aber ich glaube nicht, dass die russische Regierung oder der russische Präsident dauerhaft ein Interesse an einer instabilen und vielleicht auch zerfallenden Ukraine hat oder haben kann. Letztlich ist auch Russland darauf angewiesen, dass es vernünftige Beziehungen zu seinen Nachbarn und auch zur Europäischen Union geben muss und auch umgekehrt. Genauso haben wir ein Interesse daran. Das sage ich auch manchmal meinen amerikanischen Kollegen, wenn die sagen, agiert doch mit mehr Härte und mehr Sanktionen, mit mehr Schärfe. Russland ist ein starker und wichtiger Nachbar. Wir können uns unsere Nachbarn nicht immer aussuchen und wir müssen mit ihnen ein vernünftiges Umgehen finden, und deshalb halte ich von der Politik der Eskalation relativ wenig und bin deshalb auch nicht mit dem einverstanden, was Herr Röttgen gesagt hat. Wer als Außenpolitiker sagt, die Chance auf eine friedliche Lösung ist vertan worden, der hat aus meiner Sicht seinen Beruf verfehlt.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Stefan Liebich, er ist Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Herr Liebich, ich danke für dieses Gespräch.
    Liebich: Gern geschehen. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.