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Ukraine-Gipfel in Berlin
Schwierige Entmilitarisierung im Donezkbecken

Auf dem Gipfeltreffen zum Ukraine-Konflikt in Berlin soll es heute Abend vor allem um die Umsetzung der Minsker Friedensvereinbarungen gehen. Denn anders als schon vor Monaten beschlossen befindet sich im Osten der Ukraine noch immer schweres Kriegsgerät.

Von Florian Kellermann | 19.10.2016
    Eigentlich sollte das schwere Kriegsgerät schon vor über einem Jahr abgezogen werden, so hatten es die Konfliktparteien in Minsk vereinbart. Geschehen ist lange nichts. Vor einem Monat dann einigten sie sich zumindest auf drei Punkte in den Regionen Donezk und Luhansk, die demilitarisiert werden sollen. Und tatsächlich: Bei den Orten Solote und Petriwske haben sich die ukrainische Armee und die prorussischen Kämpfer gleichzeitig zurückgezogen. Dort sind seitdem keine Todesopfer mehr zu beklagen.
    Trotzdem gab es Anfang der Woche einen Rückschlag: Eine Patrouille der OSZE geriet bei Solote in einen Schusswechsel. Die Beobachter zählten 60 Explosionen. Der stellvertretende Leiter der OSZE-Beobachtermission Alexander Hug berichtet:
    "Die Beobachter haben gehört, wie Schüsse aus einem schweren Maschinengewehr direkt ihren Beobachtungsposten getroffen haben. Die Patrouille hat die Region daraufhin verlassen. Der Vorfall zeigt wieder einmal, dass die OSZE die Lage nur dann kontrollieren kann, wenn sie daran nicht gehindert wird. Inzwischen sind die Patrouillen in die entmilitarisierte Zone bei Solote zurückgekehrt. Sie bleiben so lang, wie die Sicherheitslage es erlaubt."
    "Die Zivilisten in der Region brauchen die Entmilitarisierung dringend"
    Doch beiden Seiten fehlt weiterhin das Vertrauen. Sie fürchten, der jeweilige Gegner werde ein entmilitarisiertes Gebiet bei der nächsten Gelegenheit besetzen. Selbst einige Bewohner der Region, die unter den Schusswechseln leiden, fürchten einen Abzug der Waffen in ihrem Ort. Bei Protesten in der Stadt Stanitsja Luhanska sagt eine Frau:
    "Wenn die ukrainische Armee hier abzieht, wird es drei Tage dauern, dann sind die prorussischen Kämpfer hier."
    Und ein Mann erklärt:
    "Diesen üblen Typen darf man nicht trauen. Auf uns, auf ukrainische Patrioten hier in der Stadt, haben sie es besonders abgesehen."
    Stanitsja Luhanska ist der dritte Ort, für den die Konfliktparteien eine Entmilitarisierung beschlossen haben. Gerade hier sei sie besonders wichtig, sagt Alexander Hug von der OSZE:
    "Es ist äußerst wichtig, dass die Zivilisten in der Region endlich einen Übergang über die Frontlinie bekommen, wo sie keinem Risiko ausgesetzt sind. Wir sehen jeden Tag 1.000 Zivilisten auf beiden Seiten der Brücke in Stanitsa Luhanska, die darauf warten, den Übergang passieren zu können. Sie brauchen die Entmilitarisierung dringend."
    Besonders angespannte Lage im Süden der Ostukraine
    Skeptiker wenden ein: Selbst wenn die Waffen in Stanitsja Luhanska, in Solote und Petriwske abgezogen werden, bleiben immer noch hunderte von Kilometern Frontlinie, wo jederzeit Kämpfe ausbrechen können. Besonders angespannt ist die Lage im Süden, in der Nähe der Stadt Mariupol. Fast jeden Tag meldet die ukrainische Armee gefallene Soldaten.
    Für Nervosität sorgt auch die Lage in den Separatistengebieten. In Donezk wurde am Wochenende der berüchtigte Bataillonskommandeur Arsen Pawlow, der sich "Motorola" nannte, umgebracht. Im Aufzug seines Hauses zündete eine Bombe. Der Anführer der sogenannten Donezker Volksrepublik Alexander Sachartschenko machte dafür ukrainische Agenten verantwortlich und drohte:
    "Dieser Tod fordert unsere ganze Republik heraus. Ich wende mich an die Offiziere der ukrainischen Armee und ihre Familien: Ihr sollt in Angst leben, nicht nur hier, sondern auch in Schytomyr, in Kiew, in Charkiw, in Dnipro. Wenn wir zu Euch nach Hause kommen, werden wir keine Gnade walten lassen. Der ukrainische Präsident Poroschenko hat uns den Krieg erklärt, jetzt ist Schluss mit Reden."
    Ukrainische Offizielle wiesen die Beschuldigungen zurück. Vielmehr hätten Fehden unter den Separatisten zum Tod von Motorola geführt. Mutmaßlichen Konflikten unter den Kämpfern fielen im vergangenen Jahr bereits mehrere Kommandeure der Luhansker Volksrepublik zum Opfer.
    Ukraine will erst nach Waffenstillstand über Kommunalwahlen verhandeln
    Angesichts der Lage an der Front und in den Separatistengebieten erklärte der ukrainische Präsident Poroschenko vor dem heutigen Treffen in Berlin:
    "Unsere Diplomaten stehen auf dem Standpunkt: Bevor es Schritte geben kann, eine politische Lösung des Konflikts umzusetzen, muss es einen offensichtlichen, unumkehrbaren Fortschritt bei der Sicherheitslage geben."
    Mit anderen Worten: Solange geschossen wird, will die Ukraine über Kommunalwahlen im Donezkbecken nicht einmal verhandeln. Russland argumentiert dagegen: Nur politische Fortschritte, wie die Vorbereitung von Kommunalwahlen, könnten die militärische Lage beruhigen.