Dienstag, 16. April 2024

Ukraine
Kalter Krieg 2.0

Die Krise in der Ukraine spielt im Europa-Wahlkampf kaum eine Rolle. Dabei trägt die Europäische Union eine Mitverantwortung für die aufgeheizte Atmosphäre.

Von Rainer Burchardt | 11.05.2014
    Eine Kaffeetasse in den Farben der Europaflagge
    Soll man diese Ignoranz vor allem der "großen" Parteien hierzulande nun Realitätsverlust, Positionsphobie oder Kurzsichtigkeit nennen? Egal: Es ist in der Summe beschämend, dass sich vor allem der Europawahlkampf in Deutschland um die "drängenden Fragen" der Eurokrise, der Steuerpolitik, des Wachstums und der "Chance für Europa" dreht, während sich nebenan im Osten ein martialischer Bürgerkrieg entwickelt, der schon jetzt globale Auswirkungen hat. Von einem "Kalten Krieg 2.0" ist schon die Rede. Ausgang ungewiss - und das genau 100 Jahre nachdem die "Schlafwandler Europas" in den Ersten Weltkrieg geschlittert waren.
    Nicht zu Unrecht hat der gegenwärtig beachtlich an Statur gewinnende deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon von einem gefährlichen Irrsinn gesprochen - seine immer wieder geäußerte Hoffnung auf eine diplomatische Lösung ist ehrlich gemeint; bei anderen, etwa Putin und Obama, darf man inzwischen nicht mehr ganz so sicher sein. Sie sind zu Hause von bellizistischen Falken umgeben.
    Allgemeinplätze von den Spitzenkandidaten
    Schon bei dem TV-Duell vom letzten Donnerstag zwischen den Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, und der Sozialdemokraten, Martin Schulz, war den Diskutanten die Krise in der Ukraine nur ein paar - zudem erwartbare – Allgemeinplätze wert. Konkrete Lösungsvorschläge? Fehlanzeige! Stattdessen europapolitische, verbale Handelsware, die niemand vom Hocker haut.
    Das ist erbärmlich. Alle Welt berichtet täglich stets an erster Stelle über die Ukraine, doch der Politik scheint das EU-Flickenhemd näher als die inzwischen ziemlich zerschlissene Hose internationaler Konfliktlösung. Beide, Juncker und Schulz, wollen Kommissionspräsident werden - letztlich von Gnaden der Regierungen übrigens; das letzte Wort wird wohl die deutsche Kanzlerin haben. Das ist europäische Demokratie!
    Europäer haben Anteil an der Krise
    Die Liberalen präsentieren mit Alexander Graf Lambsdorff einen Namen des guten Rufs, zumindest in der Wirtschaft; die Grünen polemisieren gegen Genmais, bis der Arzt kommt; die AfD will den Euro abschaffen, und die Linke hat den Putin dann doch irgendwie lieb.
    Keine Frage, der Ukraine-Konflikt hat die Europäer auf dem falschen Fuß erwischt. Dabei haben sie mit ihrer fatalen Erweiterungspolitik, die Russland nicht unberührt lassen kann, durchaus ihren Anteil an der Krise, deren Entwicklung unabsehbar ist und viele Menschen auf dem Kontinent ängstlich umtreibt. Das ist das große Thema dieser Tage - da wartet man zu Recht auf Lösungsvorschläge im europäischen Wahlkampf. - Auch und gerade in Deutschland.
    Rainer Burchardts Kolumne "Kalter Krieg 2.0" zum Nachhören