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Ukraine
Kompliziertes Erinnern

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew wird an diesem Samstag das Finale im Eurovision Song Contest (ESC) ausgetragen. Schon jetzt feiern ESC-Fans das Ereignis. Die Partystimmung wird allerdings von einer Diskussion über das Erinnern an den Zweiten Weltkrieg überschattet. Und dabei geht nicht allein um eine Datumsfrage.

Von Markus Sambale | 09.05.2017
    Frauen machen ein Selfie vor dem Eurovision Song Contest Logo auf dem Maidan in Kiew.
    In Kiew geht es in diesen Mai-Tagen neben der Feierstimmung auch um Kriegserinnerungen und heikle politische Debatten. (picture alliance / Jussi Nukari/Lehtikuva/dpa)
    Der Kontrast ist groß in dieser Woche im Mai: Während auf dem geschmückten Prachtboulevard im Zentrum von Kiew die ESC-Fans feiern, geht es ein paar Kilometer weiter um Kriegserinnerungen.
    Mehr als 60 Meter hoch thront die Statue "Mutter Heimat" auf einem Hügel. Eine Frauenfigur, die ein riesiges Schwert in den Himmel streckt und an die Helden und Opfer des Zweiten Weltkriegs erinnert. Präsident Poroschenko sagte hier gestern bei einer Zeremonie:
    "Es ist wichtig zu verstehen, dass dies der Tag der Erinnerung und der Versöhnung ist - und die Verbindung dazwischen ist unzertrennlich."
    Ukraine will den 8. Mai als Feiertag etablieren
    Die Erinnerung, von der Poroschenko spricht, ist kompliziert geworden in der Ukraine. Jahrzehntelang wurde - wie überall auf dem Gebiet der Sowjetunion - am 9. Mai der Sieg über Nazi-Deutschland gefeiert. Traditionell einen Tag später als in Westeuropa, wo der 8. Mai als Tag der Kapitulation gilt.
    8. oder 9. Mai? Was also ist sozusagen der "richtige" Feiertag? Die ukrainische Führung, die sich von Russland abgrenzt, wo es nur geht, will den 8. Mai etablieren. Dieser Soldat, der zur Gedenkstätte gekommen ist, sieht das als wichtiges Signal:
    "Wir sind ein Teil Europas und das geografische Zentrum Europas, und wir leben europäisch. Das war vielleicht eine Laune von Moskau, am 9. Mai zu feiern – und nicht wie ganz Europa am 8. Mai."
    Der Mann hat nicht nur den Zweiten Weltkrieg als historisches Ereignis vor Augen. Sondern auch den aktuellen Krieg im Osten der Ukraine, in dem er selbst gekämpft hat. Und sich deshalb gegen alles stellt, was aus Moskau kommt.
    Die Datumsfrage spaltet die ukrainische Bevölkerung
    Wie so viele Themen derzeit, spaltet die Datumsfrage die ukrainische Bevölkerung. Den 9. Mai samt der Militärparade, die es früher auch in Kiew, gab, abzuschaffen – das findet Anna, eine junge Frau, die zur Gedenkstätte gekommen ist, nicht in Ordnung:
    "Vielleicht hat das mit den aktuellen Ereignissen in der Ukraine zu tun, aber ich finde das nicht richtig. Der 9. Mai ist doch ein fester Teil der ukrainischen Geschichte und der Weltgeschichte, deshalb muss der 9. Mai als Feiertag bleiben."
    Die Militärparade in Kiew werde sie vermissen, meint Anna dann noch. Doch die ukrainische Führung hat sich dagegen entschieden, wie noch bis vor einigen Jahren üblich, im Stadtzentrum schweres Kriegsgerät zu präsentieren. Stattdessen soll der Schwerpunkt auf dem Gedenken liegen. Präsident Poroschenko stellte die Kämpfe vor mehr als 70 Jahren in eine Reihe mit dem Kampf der ukrainischen Soldaten im Osten des Landes:
    "Unser Heimatland schützen heute die Nachfolger der Soldaten der Roten Armee und der ukrainischen aufständischen Armee. Die Vorfahren, die damals gestorben sind, sind bestimmt stolz auf die heutige Generation der Verteidiger der Heimat."
    Es geht in diesen Mai-Tagen in Kiew also auch um Kriegserinnerungen und heikle politische Debatten – neben der Feierstimmung rund um den Eurovision Song Contest.