Mittwoch, 24. April 2024

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500. Todestag Fernando Magellans
Ein problematischer Held und Abenteurer

Viele von uns plagt in diesen Tagen das Fernweh und die Sehnsucht nach Unbekanntem. Wie muss es gewesen sein, vor 500 Jahren als Erster mit dem Ziel aufzubrechen, die Welt zu umsegeln? Fernando Magellan kostete seine Abenteuerlust auf den Philippinen das Leben.

Von Ines Dettmann | 24.04.2021
Cover der besprochenen Titel im Beitrag
Kinder- und Jugendbücher, die von Fernando Magellans Leben erzählen, aber auch andere neue Welten entdecken lassen (Kindermann, Hörcompany, Gerstenberg, Kleine Gestalten, Boje, Thienemann Verlag)
Christine Schulz-Reiss erzählt in 14 Kapiteln anschaulich und kindgerecht von Fernando Magellans faszinierendem Leben: seiner Kindheit in der Pagenschule in Portugal, wo er nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern auch Kompass- und Kartenlesen lernte und ein Schiff nach den Sternen zu navigieren. Diese Fähigkeiten waren bei seinen ersten Fahrten mit der portugiesischen Flotte bis nach Indien nur wenig gefragt. Er war einer unter vielen und arbeitete sich in sieben Jahren auf hoher See langsam nach oben.
"Es gibt eine geheime Karte ..."
"Mit einem Sternenkundler vertieft sich Fernão in stundenlange Gespräche darüber, welcher Teil der Erde wem gehört. 1494 hatte Papst Alexander VI. die Erdkugel mit einem Federstrich aufgeteilt. Den Portugiesen sprach er alle Länder zu, die auf dem östlichen Seeweg zu erreichen sind, den Spaniern die gen Westen. Doch wo verläuft diese Grenze auf der anderen Seite der Erdkugel? […] Der sternenkundige Wissenschaftler raunt ihm zu: ,Es gibt eine geheime Karte, die eine Wasserstraße quer durch Amerika zeigt. Diese Passage führt von einem Ozean zu einem anderen.'"

Der westliche Seeweg

Am 10. August 1519 wird sein Traum Wirklichkeit: Für Spanien stellt Magellan eine Flotte aus fünf Schiffen zusammen und sticht in See, um den christlichen Glauben zu verbreiten und die Gewürzinseln in Südostasien auf dem westlichen Seeweg zu erobern. Die Passage, die durch Südamerika den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, wird seitdem Magellanstraße genannt.
Doch die Reise ist beschwerlich. Die San Antonio kehrt heimlich um, es tosen Stürme, und an Bord bricht Skorbut aus. Als sie im Frühjahr 1520 endlich Land sehen, verbreiten Magellans Männer die Botschaft, dass Gott unverwundbar mache, bis Magellan und einige seine Leute auf einer philippinischen Insel selbst Opfer eines widerständigen Häuptlings werden.
Klaus Ensikats Bilder illustrieren das Abenteuer detailreich: Es sind großartige Szenen von der aufbrechenden Flotte mit geblähten Segeln bis zu Magellans Kampf mit den philippinischen Ureinwohnern. Durch seinen altmeisterlichen Zeichenstil mit Stahlfeder auf Papier entstehen dramatische Bilder mit großer Tiefe. Der geradlinige Erzählstil von Christine Schulz-Reiss beleuchtet kritisch den großen Abenteurer und Helden Magellan. Ein großartiges Sachbilderbuch mit Leineneinband für alle Entdecker ab acht Jahren.

Volker Mehnert und Tim Köhler: "Magellan oder Sternstunden der Seefahrt". Gerstenberg

Für Jugendliche ab zwölf Jahren greift der Autor, Journalist und Reiseschriftsteller Volker Mehnert weiter in die Vergangenheit zurück und beleuchtet nicht nur Magellan als Entdecker und Seefahrer, sondern die Eroberung der Weltmeere durch die Seefahrernationen Portugal und Spanien. Eine komplexe Angelegenheit, die verständlich aufgearbeitet wird, ohne junge Jugendliche zu überfordern.
In sechs Hauptkapiteln werden die großen Seefahrer und ihre Entdeckungen beschrieben und in einer Chronik die Sternstunden der Seefahrt zusammengefasst. Magellans Reise bildet den Schwerpunkt des Buches und dient als Stichwortgeberin für kleine Einschübe mit Erklärungen zu wichtigen Begriffen oder Personen der Seefahrt. Als Magellans Flotte Kurs auf Brasilien nimmt, wird erklärt, wie Winde bis heute die Reiserouten bestimmen:
"Passatwind: Die zuverlässigste Antriebskraft für Segelschiffe auf dem Atlantischen Ozean ist der Passatwind. Auf der Nordhalbkugel weht er von Nordosten nach Südwesten, auf der Südhalbkugel von Südosten nach Nordwesten. Schon Kolumbus hat diesen Rückenwind Richtung Amerika ausgenutzt. Bis heute bringt er Segelschiffe zuverlässig von Europa direkt Richtung Karibik."

Seemonster und ein wogender Ozean

Die zahlreichen Illustrationen von Tim Köhler untermalen die vielen Informationen detailreich. Es tauchen Seemonster auf, historische Persönlichkeiten bekommen ein Gesicht, und der Ozean wogt am Seitenende. Der freischaffende Illustrator hat sogar eine Recherchereise nach Spanien gemacht, um die Orte zu sehen, von denen aus Magellan seine Reise antrat.
In einem Register können Schlagworte nachgeschlagen und einzelne Informationen nachgelesen werden. "Magellan oder Sternstunden der Seefahrt" ist ein Sachbuch für alle, die Fernweh haben und sich die Zusammenhänge der europäischen Seefahrtsgeschichte noch einmal klarmachen wollen.

Anton Hallmann: "Entdecke die Welt". Kleine Gestalten

Für alle, die jetzt, 500 Jahre nach Entdeckung der Magellanstraße, ihren eigenen Abenteuergeist entdeckt haben, ist Anton Hallmanns Sachbilderbuch perfekt.
"Wir alle entdecken jeden Tag etwas Neues: Sei es ein Gericht, das wir vorher noch nie gegessen haben, ein für uns unbekanntes Insekt, das draußen auf einer Blume sitzt, ein Film, der uns begeistert, oder eine neu eröffnete Eisdiele, bei der es die leckersten Sorten gibt […]. Wer ein neues Eiscafé ausfindig macht, wird wahrscheinlich nicht als große Entdeckerin oder Entdecker gefeiert. In der Geschichte werden Menschen Entdecker genannt, die eine Region auf der Erde als Erste für andere, die diese Region nicht kannten, mit Reiseberichten und Karten beschrieben haben."

Dunkle Kapitel nicht ausgespart

Es ist nicht nur eine Geschichte von Entdecker- und Heldentaten, die Anton Hallmann beschreibt und illustriert, sondern auch eine Geschichte, die mit viel Leid verbunden gewesen ist. Die dunklen Kapitel dieser Entdeckungen und Eroberungen werden nicht ausgespart, wie die Verdrängung der australischen Aborigines oder der Ureinwohner Amerikas.
Die bunt gestalteten Seiten machen neugierig, und auch Kinder ab sieben Jahren, die noch nicht so viel lesen können, werden Freude an dem Buch haben. In kleinen Portionen werden große Informationen verarbeitet. Umfangreiches Wissen über Meere und Kontinente, Klima, Tier- und Pflanzenwelt unseres Planeten hat der Autor und Illustrator auf 60 Seiten versammelt.
"Entdecke die Welt" ist eine Einladung an alle, die Lust haben, unsere heutige Zeit mit anderen Augen zu sehen: mit Wikingern über die Meere zu segeln, Sherpas zu treffen, die den Mount Everest bestiegen haben, oder Astronauten kennenzulernen, die sich über die Grenzen der Erde hinaus bis in den Weltraum gewagt haben.

Michael Engler und Susan Batori: "Humboldt und Beaufort." Boje

Entdeckerfreude und Abenteuerlust, Fernweh und Zuversicht treiben in Michael Englers neuem Bilderbuch auch den Pinguin Humboldt und den Wal Beaufort an, die sich wie ihre Namensvetter auf eine Reise durch die Weltmeere machen. Humboldt sammelt nämlich Steine, aber alle Steine in Antarktika sind rund. Doch Humboldt träumt von einem eckigen Stein, den noch kein Pinguin gesehen hat. Aber seine Freunde lachen ihn aus, bis auf den Wal Beaufort, der schon durch alle Weltmeere geschwommen ist:
",Warum siehst du so traurig aus?', fragte der Wal. Zögernd erzählte Humboldt von seinem Traum und den anderen Pinguinen. Am Ende sagte er: ,Und wenn du jetzt auch nichts mehr mit mir zu tun haben willst, dann ist das eben so.'
,Ich kenne die ganze Welt. Und auf dieser Welt gibt es nichts, was es nicht gibt. Dann wird es wohl auch eckige Steine geben.'
,Glaubst du wirklich?', fragte Humboldt voller Hoffnung.
,Ich glaube sogar, dass ich schonmal einen gesehen habe.'"

Für große und kleine Abenteurer

Und so machen sich die beiden Freunde auf eine große Reise: Ob Humboldt den eckigen Stein findet, wie die beiden Freunde nach Hause kommen und was die anderen Pinguine nach ihrer Rückkehr sagen, muss jeder selbst lesen. Ein schönes Bilderbuch für große und kleine Abenteurer ab vier Jahren, mit lustigen Bildern der ungarischen Illustratorin Susan Batori, die Michael Englers Geschichte eine wunderbare zweite Ebene geben und die Gefühle des Pinguins Humboldt kindgerecht visualisieren.

Davide Morosinotto: "Der Ruf des Schamanen". Thienemann

Im letzten Teil seiner losen Fluss-Trilogie reist der italienische Autor an den Amazonas. Der historische Abenteuerroman spielt in Peru 1986: Die 13-jährige Laila erhält die Diagnose einer unheilbaren, neurodegenerativen Erkrankung. Sie ist eine verwöhnte Diplomatentochter, die gerne liest und Skateboard fährt, doch die Gewissheit, blind zu werden, und ein geheimnisvolles Tagebuch wecken neue Lebensgeister in ihr. Gemeinsam mit dem Jungen El Rato macht sie sich auf die Suche nach einer geheimnisvollen Blume, der heilende Kräfte gegen Wahnsinn nachgesagt werden.
"Der Ruf des Schamanen" ist weit mehr als eine Abenteuergeschichte. Zwischen El Rato und Laila, die die Geschichte abwechselnd aus ihrer Perspektive erzählen, entwickelt sich nicht nur eine Liebesgeschichte. Die beiden suchen auch nach dem Sinn des Lebens. Gemeinsam reisen sie von Lima in die Anden, am Amazonas entlang in den peruanischen Urwald bis ins Dorf eines Schamanen, dessen Ritual Laila vor die Entscheidung ihres Lebens stellt:
",Das erste Geschenk ist die Rassel, die du in den Händen hältst. Sie ist deine Geschichte.' […]
,Ich danke dir, Sachamama', erwiderte ich. ,Das ist ein wunderbares Geschenk.'
,Warte, du musst noch das zweite Geschenk kennenlernen. Es ist ebenfalls wertvoll. In der Welt, die du als reale Welt bezeichnest, muss Laila an einer furchtbaren Krankheit sterben. Doch du bist nicht gezwungen in die Welt zurückzukehren. Du kannst zu einem Geist werden und für immer in derjenigen Wirklichkeit bleiben, in der ich auch lebe.'"

Eine einzigartige Reise

Die Wahl, vor die der Schamane Laila stellt, ist so einzigartig wie ihre Reise und vergleichbar mit den Entscheidungen, die Entdecker wie Magellan in ihrer Zeit treffen mussten.
Viele historische Ereignisse verwebt der 1980 geborene, mehrfach preisgekrönte Autor Davide Morosinotto zu einem großen, spannenden Roman für Jugendliche ab zwölf Jahren, der nicht nur über 400 Seiten dick, sondern auch unheimlich vielschichtig und atmosphärisch ist.
Die aufwändige Gestaltung des Buches macht es zu einem unvergesslichen Leseerlebnis, das sicherlich mehr Fernweh und Neugier weckt, als Sehnsucht stillt. Trotz der Tragik, die Lailas Geschichte, wie jede Expeditionsgeschichte, hat.
Christine Schulz-Reiss, Klaus Ensikat (Ill.): "Fernando Magellan – einmal um die ganze Welt"
Kindermann Verlag, Berlin. 36 Seiten, 18 Euro, ab 8 Jahren.
Hörbuch gelesen von Gerhard Garbes
Hörcompany, Hamburg. Gekürzte Fassung ca. 52 min, 9,95 Euro.
Volker Mehnert, Tim Köhler (Ill.): "Magellan oder Sternstunden der Seefahrt"
Gerstenberg Verlag, Hildesheim. 96 Seiten, 25 Euro, ab 12 Jahren.
Anton Hallmann: "Entdecke die Welt"
Verlag Kleine Gestalten, Berlin. 56 Seiten, 19,90 Euro, ab 8 Jahren.
Michael Engler, Susan Batori (Ill.): "Humboldt und Beaufort"
Boje Verlag, Köln. 32 Seiten, 14,90 Euro, ab 4 Jahren.
Davide Morosinotto: "Der Ruf des Schamanen"
Aus dem Italienischen von Cornelia Panzacchi
Thienemann Verlag, Stuttgart. 432 Seiten, 18 Euro, ab 12 Jahren.