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Ukraine-Konflikt
Bürger im Osten kommen kaum noch an Geld

Im Osten der Ukraine funktioniert das Finanzsystem kaum noch. Banken sind geschlossen, Geldautomaten abgeschaltet. Die Menschen kommen dadurch in Schwierigkeiten, zumal sie ohnehin immer weniger Geld verdienen. Die Regierung in Kiew hat ihre Unterstützung für öffentliche Einrichtungen und Staatsmitarbeiter weitgehend eingestellt.

Von Florian Kellermann | 13.12.2014
    Auf einem Tisch liegen ein Dutzend Geldscheine der ukrainischen Währung Hrywnja, vor allem 1-, 20- und 100-Hrywnja-Scheine.
    Geldscheine der ukrainischen Währung Hrywnja (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    "Ist das die Schlange zur Kasse", ruft eine ältere Dame. "Nein, hier stehen die Leute zum Schalter an", bekommt sie als Antwort aus der Menge.
    Eine chaotisch anmutende Menschentraube hat sich um den Eingang einer Bank gebildet, es regnet und die Wartenden sind müde. Über eine Stunde sind sie früh am Morgen mit dem Bus hierher gefahren, nach Artemiwsk. Nur, um ein Konto zu eröffnen oder Geld abzuheben, sagt Elena, eine 40-Jährige.
    "Wo ich herkomme, ist Krieg, da sind die Banken geschlossen und die Geldautomaten abgeschaltet. Die Reise hierher ist für mich wie eine Reise in die Zivilisation, hier sind die Straßen sauber und die Häuser unbeschädigt. Bei uns in Horliwka ist es jetzt seit drei Tagen ruhig, aber bis dahin gab es wochenlang jeden Tag Artilleriefeuer."
    Die Waffenruhe in der Ostukraine scheint einigermaßen zu halten, aber normal ist das Leben dort noch lange nicht. Elena bekommt seit fünf Monaten kein Gehalt mehr. Nun haben ihr Bekannte 200 Hrywna überwiesen, das sind umgerechnet zehn Euro. Die will sie nun abheben.
    Artemiwsk liegt 40 Kilometer von dem Gebiet entfernt, das die Separatisten kontrollieren. Elena wäre ja gerne hierher gezogen, um den Bomben zu entgehen. Aber ihre Mutter ist krank, kann sich nicht bewegen und braucht Pflege. Für die Familie ein doppeltes Unglück: Die Rentner aus dem Separatisten-Gebiet müssen persönlich auf die - wie die Menschen hier sagen - "ukrainische" Seite kommen, um hier ihre Rente neu zu beantragen. Elena versuchte vergeblich, in Artemiwsk die Rente für ihre Mutter zu bekommen - und ist bitter enttäuscht.
    "Ich will, dass bei uns die Volksrepublik Donezk bleibt, ich habe genug von der Ukraine. Die Armee bombardiert uns und lässt uns ohne Geld sitzen. Meine Mutter hat 54 Jahre gearbeitet, erst in der Sowjetrepublik Ukraine, dann in der unabhängigen Ukraine. Dieses Land beraubt uns schon wieder - wie damals, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als sich unsere Ersparnisse in Luft auflösten."
    Keine Renten mehr im Osten der Ukraine
    Renten bekommen die Menschen in den besetzten Gebieten schon seit Monaten nicht mehr. Vor wenigen Wochen hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko auch Staatsbediensteten den Hahn zugedreht. Er stellte die Finanzierung auch von Schulen und Krankenhäusern ein. Glück haben da noch die Universitäten. Sie sollen in andere Regionen umziehen. Auch die Französisch-Dozentin Julia steht deshalb in der Schlange, ihre Sprachenuniversität wurde aus Horliwka nach Artemiwsk verlagert. Zumindest auf dem Papier, Räume gibt es hier noch nicht.
    "Einstweilen mache ich Fernunterricht. Ich verabrede mich mit den Studenten zu Video-Konferenzen im Internet, das ist besser als nichts. Aber nach und nach sollen wir alle hierher nach Artemiwsk umziehen."
    Die Welt der Menschen in der Ostukraine ist aus den Fugen geraten - auch bei denjenigen, die keine Todesopfer in der Familie zu beklagen haben. Das Leid hindert aber findige Geschäftsleute nicht, aus der Lage auch noch Kapital zu schlagen: Eine Rentnerin in der Schlange erzählt, dass sie mit ihrem Konto unbedingt zu dieser Bank wechseln will. Ihre alte Bank ließ sie, ohne dass sie es merkte, eine Lebensversicherung abschließen. Sie hatte vor Aufregung einfach nicht genau hingeschaut, was sie bei der Kontoeröffnung alles unterschrieb. Dabei brauche sie die umgerechnet 100 Euro Rente im Monat doch dringend zum Leben, sagt die Frau.