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Ukraine-Konflikt
"Defensive Waffen sind geeignet"

Der CDU-Europapolitiker Michael Gahler hat sich für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Das Land habe das Recht, sich angemessen zu verteidigen, sagte Gahler im DLF. "Dazu gehört auch die Möglichkeit, sich Waffen zu besorgen." Damit widerspricht Gahler der Einschätzung von Bundeskanzlerin Merkel.

Michael Gahler im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.02.2015
    Michael Gahler, sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion.
    Michael Gahler, sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. (imago/Eibner)
    Gahler warb vor allem für Abwehrsysteme. Defensive Waffen seien geeignet, um Angreifer zurückzuschlagen, sagte der sicherheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion. Sie seien nicht dafür gedacht, ein Land zu erobern. "Manchmal braucht man Druck, um Frieden zu erzwingen."
    Die diplomatischen Verhandlungen könnten nur Erfolg haben, wenn die Ukraine gleichzeitig in die Lage versetzt werde, sich zu verteidigen, betonte Gahler. Russland glaube, seine aggressive Strategie fortsetzen zu können. "Es geht darum, ein Signal zu senden: Es geht so nicht weiter." Wer die Waffen bereitstellen soll, ließ Gahler bewusst offen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte gestern klargestellt, dass die Regierung weiterhin auf Verhandlungen setzt. In den vergangenen Tagen war über mögliche Waffenlieferungen der Vereinigten Staaten in die Ukraine diskutiert worden. Inzwischen erklärte die US-Regierung, Präsident Barack Obama plane dies derzeit nicht, sondern ziehe wirtschaftliche Sanktionen vor. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko zeigte sich dennoch überzeugt davon, dass sein Land vom Ausland - und insbesondere den USA - mit Waffen versorgt werden wird, um sich selbst zu verteidigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich sollte im Osten der Ukraine ja längst das Waffenstillstandsabkommen gelten, das in Minsk verabredet worden war, aber das steht nur auf dem Papier. Die Kämpfe sind offenbar so heftig wie nie zuvor. Die "New York Times", die hat zu Beginn der Woche berichtet, die amerikanische Regierung erwäge jetzt, deshalb Kiew mit Waffen zu versorgen, mit Panzerabwehrraketen zum Beispiel, auch wenn es von dort jetzt heißt, derzeit seien Sanktionen gegen Russland das Mittel der Wahl. Das Thema wird wohl aktuell bleiben. Präsident Poroschenko in der Ukraine, der geht unterdessen davon aus, dass es bald zu Waffenlieferungen kommen wird.
    Auch der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, der zeigte in diesen Tagen Verständnis für die Überlegung, Waffen an Kiew zu liefern.
    O-Ton Wolfgang Ischinger: "Die amerikanischen Überlegungen als solche halte ich für angemessen und wichtig, angesichts dieser Lage. Hier gibt es keine einfache und keine ganz richtige Entscheidung. Wie häufig in der Außenpolitik steht der Westen, stehen die USA, stehen wir alle vor mehreren schlechten Optionen, und jetzt geht es darum, die am wenigsten schlechte zu suchen. Wenn wir der Ukraine gar nicht helfen, werden wir die Folgen auch zu spüren bekommen."
    Heckmann: Soweit Wolfgang Ischinger. Das Thema wird auch ganz oben auf der Tagesordnung stehen auf der Münchener Sicherheitskonferenz. – Zu denen, die Waffenlieferungen an die ukrainische Armee unterstützen, gehört Michael Gahler von der CDU. Er ist sicherheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Gahler.
    Michael Gahler: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    "Ungleichgewicht zwischen Russland und der Ukraine"
    Heckmann: Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, der Konflikt ist militärisch nicht zu lösen, und auch das Weiße Haus gibt jetzt das Signal aus, man setze weiter auf eine diplomatische Lösung. Ist die Diskussion damit aus Ihrer Sicht beendet?
    Gahler: Die Diskussion ist damit aus meiner Sicht nicht beendet. Die Kanzlerin hat natürlich hundertprozentig recht, auch der Außenminister. Das Ganze hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Herr Putin sieht es nicht so, dass man das nicht militärisch lösen kann. Und da haben ja leider auch unsere wirklich intensiven Bemühungen nicht gefruchtet. Dutzende Telefonate von Merkel, Obama, Hollande, Cameron mit Putin haben ja dessen Strategie nicht verändert und auch das, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, die weitere Aufrüstung der Separatisten, und alles das, was da in dem Zusammenhang auch in Bezug auf Mariupol passiert ist, zeigt, dass offenbar das Ungleichgewicht zwischen Russland und der Ukraine die Ursache dafür ist, dass Russland glaubt, seine aggressive Strategie fortsetzen zu können.
    Heckmann: Das heißt, Sie sagen, Herr Gahler, ganz klipp und klar, die Bundeskanzlerin, die sagt, der Konflikt ist militärisch nicht zu lösen, die befindet sich auf dem Holzweg und zieht nicht die richtigen Konsequenzen aus der letzten Entwicklung?
    Gahler: Die befindet sich nicht auf dem Holzweg. Am Ende wird es ja auch nicht militärisch zu lösen sein. Es ist aber der Punkt, dass aus meiner Sicht die diplomatischen Beziehungen, den Frieden wieder herzustellen, nur dann Erfolg haben können, wenn die Ukraine gleichzeitig in die Lage versetzt wird, sich effektiv zu verteidigen. Wir haben eine Situation, die mich ein bisschen an Bosnien erinnert von vor 20 Jahren. Da hat Herr Milosevic auch einerseits verhandelt, aber andererseits parallel den Vormarsch vorangetrieben. Und erst als die andere Seite dann ein Stück weit sich verteidigen konnte, konnte es zu einer Lösung kommen. Am Schluss kann das natürlich nicht militärisch, das muss politisch gelöst werden, aber man muss sich auch klar machen, warum Herr Putin so handelt, nämlich aus primär innenpolitischen Motiven.
    "Russland treibt den Konflikt auf die Spitze"
    Heckmann: Aber das Risiko, Herr Gahler, jetzt dort in dieses Gebiet Waffen zu liefern – das war ja früher mal Konsens, dass man das in Spannungsgebiete nicht tut -, das Risiko ist doch enorm, dass man damit den Konflikt mit Russland auf die Spitze treibt, oder?
    Gahler: Ich glaube, Russland treibt den Konflikt auf die Spitze, indem sie glauben, dass sie hier freie Hand haben und sich so verhalten, wie sie sich verhalten. Manchmal braucht man Druck, um Frieden zu erzwingen. Auch das hat der Herr Ischinger im Rahmen dieses eben von Ihnen eingespielten Interviews gesagt. Ich teile da ganz seine Auffassung.
    Heckmann: Manchmal muss man Druck erzeugen, Sie haben es wiedergegeben. Das hatte Herr Ischinger gesagt. Man könne Druck erzeugen allein durch die Ankündigung, Waffen möglicherweise an Kiew zu liefern. Aber viel realistischer ist doch, dass dann Moskau sagen wird, schauen Sie mal, liebe Russinnen und Russen, die Nato mischt sich ein, die Nato-Länder mischen sich ein, sie liefern Waffen jetzt auch ganz offiziell, das machen wir jetzt auch, und damit haben wir offenen Krieg in Europa.
    Gahler: Wir mischen uns nicht ein. Die Ukraine hat wie jedes Land der Vereinten Nationen nach Artikel 51 das Recht der individuellen und der kollektiven Selbstverteidigung und die Ukraine ist das Opfer einer Aggression seit einem Jahr und hat das Recht, sich angemessen zu verteidigen, und dazu gehört auch die Möglichkeit, sich Waffen zu besorgen. Die Europäische Union hat am 16. Juli letzten Jahres das Waffenembargo gegen die Ukraine aufgehoben und ich finde, insbesondere defensive Waffen - Panzerabwehrraketen war als ein Beispiel genannt worden – sind dazu geeignet, einen Angreifer zurückzuschlagen, aber nicht ein anderes Land zu erobern. Es ist eine Aggression Russlands und auf der anderen Seite steht ein unterlegenes Land, was sich in dem Sinne rechtmäßig verteidigt.
    "Den Preis für Putins Politik nach oben treiben"
    Heckmann: Die Ukraine hat das Recht, sich selbst zu verteidigen, sagen Sie. Aber muss es jetzt nicht auch darum gehen, diesen Konflikt einzudämmen und nicht sich noch ausweiten zu lassen, sozusagen in eine militärische Auseinandersetzung zwischen Russland auf der einen Seite und dem Westen auf der anderen?
    Gahler: Darum geht es nicht. Es geht darum, dass die Ukraine als das Opfer dieser Aggression überhaupt in die Lage kommt, glaubwürdig den Preis für Putins Politik nach oben zu treiben. Die Kosten, die Russland ja schon zu tragen hat, die sind enorm. Die Krim wird im Grunde aus der Rentenkasse bezahlt, der russischen. Dafür musste schon ein Vizeminister im letzten Jahr zurücktreten, als er das auf Facebook veröffentlichte. Die Preise steigen und der Blutzoll von russischen Soldaten, die zu Tode kommen – nach Angaben der Soldatenmütter sind das schon einige Tausend -, das ist ein Preis, der in Russland langsam auch bekannt wird. Und deswegen glaube ich wäre eine Option für Putin schwieriger durchzuführen, wenn er wüsste, dass diese Preise, die ich eben genannt habe, noch deutlich höher werden. Das ist der Preis der Abschreckung und die Abschreckung soll einen Aggressor davon abhalten, weiter so vorzugehen, wie er vorgeht.
    Heckmann: In der kommenden Woche, da wird die Bundeskanzlerin in Washington zu Gesprächen erwartet. Was geben Sie ihr mit auf den Weg?
    Gahler: Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir als Europäische Union und als Westen insgesamt wie bisher gemeinsame Haltungen vertreten und dass wir uns auf diese Art und Weise gegenüber Russland positionieren und klar machen, dass alles das, was an Kooperation mit Russland möglich wäre, wenn das Land wieder auf den Weg der europäischen Friedensordnung zurückkehrt, dass alles das dann wieder auf der Tagesordnung ist. Russland muss erkennen, dass es aus Kooperation mit uns sehr viel mehr profitieren kann als aus der Konfrontation, die es im Augenblick wählt.
    "Ein Signal senden an Moskau"
    Heckmann: Und glauben Sie, dass es noch zu solchen Waffenlieferungen kommen wird?
    Gahler: Ich will da nicht spekulieren. Ich habe ja auch bewusst es in meinem Statement offen gelassen, wer die liefern soll. Ich denke, dass insbesondere die Abwehrwaffen, dass die dann doch geliefert werden. Ob es jetzt von den USA ist oder von europäischen Partnern, lasse ich dahingestellt. Es geht vor allen Dingen auch darum, ein Signal zu senden an Moskau: Es geht so nicht weiter mit dieser Aggression, das Land ist nicht vollkommen schutzlos.
    Heckmann: Der sicherheitspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Michael Gahler, war das von der CDU. Herr Gahler, danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Gahler: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.