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Ukraine-Konflikt
Die EU streitet über Nord Stream 2

Die Bundesregierung will ungeachtet der jüngsten Eskalation zwischen der Ukraine und Russland am Pipeline-Projekt Nord Stream 2 festhalten. In der EU formiert sich gegen das Projekt Widerstand. Und auch aus einer anderen Richtung könnte das Vorhaben in Gefahr geraten.

Von Bettina Klein | 30.11.2018
    Verlegung der Ostsee-Erdgaspipeline Nord Stream 2 vor der Küste der schwedischen Insel Gotland
    Der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2, hier vor der schwedischen Insel Gotland, geht voran, doch das Projekt ist umstritten (picture alliance/ dpa/ Itar-Tass/ Ruslan Shamukov)
    Der Ruf nach einem Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 ist wirklich nicht neu, aber das Aufflammen des Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland verleiht ihr neue Aktualität, sagte Reinhard Bütikofer, der Europa-Abgeordnete der Grünen, dem Deutschlandfunk-Studio in Brüssel:
    "Das Kapern dreier ukrainischer Schiffe durch die russische Marine zeigt eindeutig, dass Russland seine Übergriffe gegenüber der Ukraine nicht gestoppt hat, dass diese nicht eingehegt sind."
    Wenn der Westen das Signal aussenden würde, dass man die Ukraine gegenüber Russland sich selbst überlässt, wäre das das Falscheste, was man tun kann, meint Bütikofer. Denn das zentrale Ziel Russlands sei es, den Gas-Transport durch die Ukraine überflüssig zu machen.
    "Lassen wir uns also auf Nord Stream 2 ein, dann bedeutet das, Russland kann in Zukunft seine Ukraine-Schikanen von seiner Europa-Politik abkoppeln."
    Eine Reihe von Gründen sprechen seiner Meinung nach gegen Nord Stream 2. Aber dies allein sollte Grund genug sein zu sagen: "Nein, da machen wir nicht mit."
    Der Brief der EU-Abgeordneten an Merkel
    Der Grünen-Politiker hatte Anfang November gemeinsam mit rund 60 anderen Abgeordneten einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel geschrieben. Über Fraktions- und Ländergrenzen hinweg. "Dieses Projekt würde niemals gebaut ohne die Unterstützung Ihrer Regierung", heißt es darin. "Es widerläuft den Zielen der Europäischen Energieunion und gibt Russland zusätzlichen strategischen Einfluss auf die EU, in dem es ihre Energieabhängigkeit von Russland verstärkt." Wohl gemerkt: Dies schreiben Europa-Abgeordnete, und nicht der amerikanische Präsident. Und weiter: "Ihre Regierung, Frau Bundeskanzlerin, erlaubt dem Riss zwischen EU-Mitgliedstaaten weiter zu gären, in einer Zeit, in der Zusammenhalt nötiger wäre denn je."
    Bütikofer: "Ich bin der Meinung, wir sollten uns jetzt tatsächlich auf die Debatte um Nordstream 2 konzentrieren. Es braucht ein deutliches Signal an Moskau und dieses wäre ein solches."
    Die Kommission hätte das Projekt seinerzeit gerne gestoppt, hatte aber keine rechtliche Handhabung dafür. Und setzt sich seither für eine Überarbeitung der Energie-Richtlinie ein, um eine Gesetzeslücke zu schließen. Sie gilt bisher nur für Pipelines in Europa, aber nicht für jene, die von außerhalb der EU hier ankommen. Dadurch würde zum Beispiel unterbunden, dass Produktion von Gas und dessen Durchleitung in der Hand desselben Betreibers liegen darf. Der Riss geht beim Thema Nordstream zwar auch durch die Fraktionen des Europäischen Parlaments. Doch immerhin hat das Plenum einer Reform der Energierichtlinie mit Mehrheit zugestimmt, mit der auch das Projekt Nord Stream 2 reguliert werden könnte.
    Gabriel verteidigt das Projekt
    Doch die Gesetzesinitiative hängt nun im Rat fest. Manche glauben: nicht zuletzt wegen Deutschland. Denn es war der frühere SPD-Chef und Bundeskanzler Gerhard Schröder, der das Pipeline-Projekt maßgeblich eingefädelt hat und der nun Aufsichtsratschef der Nord Stream AG ist. Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender bis zum vergangenen Jahr war Sigmar Gabriel, der das Projekt gestern im Deutschlandfunk Kultur verteidigte:
    "Wollen wir in der internationalen Politik eine Strategie betreiben, bei der wir Russland überall, wo wir es können, in die Ecke drängen, einmauern, zurückdrängen? Ist das unsere Strategie? Ich würde sagen, nein, keine kluge Strategie."
    Gabriel meint, man müsse die Diskussion vom Kopf auf die Füße stellen, auch in anderen osteuropäischen Staaten gebe es schließlich Pipelines aus Russland, etwa die Jamal-Pipeline, die durch Polen geht. Kein Mensch diskutiere darüber. Und auch rechtliche Änderungen sieht Gabriel kritisch:
    "Wenn die Russen sich an europäisches Recht bei dem Bau von Gas-Pipelines halten, ist es dann eigentlich ok, zu sagen, ok, dann ändern wir eben das Recht, damit die Russen ins Unrecht gesetzt werden? Solche Versuche gab es."
    Die Bundesregierung, an der nach wie vor Union und SPD beteiligt sind, will an Nord Stream 2 festhalten, ungeachtet der jüngsten Eskalation zwischen der Ukraine und Russland. Sollten die USA wie angedroht Sanktionen gegen jene Firmen erlassen, die sich an dem Bau der Gaspipeline beteiligen, könnte das Projekt noch aus einer ganz anderen Richtung in Gefahr geraten.