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Ukraine-Konflikt
"Die OSZE braucht Verstärkung"

Der CDU-Außenpolitiker Franz Josef Jung hat die Umsetzung des "Minsk II"-Abkommens zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine gefordert. Zudem brauche die OSZE-Beobachtermission personelle Verstärkung, sagte Jung im DLF. Russland stellte er die Rückkehr zur G7/G8-Gruppe in Aussicht.

Franz Josef Jung (CDU) im Gespräch mit Bettina Klein | 14.04.2015
    Der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU).
    Der frühere Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). (Imago / Eibner)
    Angesichts der andauernden Kämpfe in der Ostukraine stehe die Umsetzung des "Minsk II"-Abkommens noch ganz am Anfang, sagte der frühere Verteidigungsminister und stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Franz Josef Jung, im Deutschlandfunk. Dass die Außenminister der Ukraine, Russlands sowie Frankreichs und Deutschlands bei ihrem Treffen gestern den Abzug schwerer Waffen von den Frontlinien gefordert haben, so wie es im Minsker Abkommen vereinbart worden war, sei notwendig und wichtig gewesen.
    Jung forderte zudem, die Zahl der OSZE-Beobachter rasch von jetzt 400 auf 1.000 aufzustocken, "damit auch wirkliche Kontrolle möglich ist". Außerdem müsse in der Ukraine der politische Prozess in Gang kommen. Jung verwies darauf, dass der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bereits eine Verfassungskommission eingesetzt habe, die sich mit der Dezentralisierung des Landes beschäftige.
    An das Krisentreffen der vier Außenminister zum Ukraine-Konflikt in Berlin schließt sich am Dienstag und Mittwoch eine G7-Außenministerkonferenz in Lübeck an. Auch dort geht es unter anderem um die Lage in der Ukraine. Der russische Außenminister Lawrow ist allerdings nicht dabei: Russland wurde wegen der Annexion der Krim aus der Staatengruppe ausgeschlossen, die früher G8 hieß. "Unser Ziel ist es, Russland wieder einzubinden", sagte Jung im DLF. "Aber dazu gehört auch die Unterstützung Russlands, dass Minsk II Realität wird." Sollte dies gegeben sein, könnte Russland im nächsten Jahr wieder beteiligt werden, stellte der CDU-Politiker in Aussicht.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: In Lübeck treffen sich heute und morgen die G7-Außenminister, um unter anderem das fortzusetzen, was einige von ihnen bereits gestern Abend in Berlin begonnen haben. Die Ressortchefs aus Deutschland, Frankreich, Russland und der Ukraine selbst trafen sich zum fünften Male, um irgendetwas zu vereinbaren, das die Ukraine auf einen friedlicheren Weg bringen könnte. Ein nicht übermäßig optimistischer Außenminister Steinmeier am Rande:
    O-Ton Frank-Walter Steinmeier: "Zweifellos ist es in diesen zwei Monaten zu einer gewissen Beruhigung in der Ostukraine gekommen. Aber es ist zu früh, Entwarnung zu geben. Auch über das orthodoxe Osterfest hin hat es Beschüsse gegeben. Es ist zu Toten gekommen."
    Klein: Die Lage hat sich gewiss beruhigt, aber es wird weiter gekämpft und es hat Tote gegeben. Wie das zusammenpasst, das würde uns auch interessieren.
    Darüber möchte ich jetzt reden mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag, dort zuständig unter anderem für die Außenpolitik: mit Franz-Josef Jung von der CDU. Ich grüße Sie.
    Franz-Josef Jung: Ja! Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Herr Jung, wie bewerten Sie das? Wir hören aus dem Auswärtigen Amt, die Lage habe sich ja doch ein bisschen beruhigt. Gleichzeitig wird von weiterem Nachschub an Waffen und Munition berichtet, von weiteren Kämpfen und von Todesopfern. Wie passt das zusammen?
    Jung: Man muss eindeutig sehen: Im Hinblick auf die Umsetzung von Minsk II stehen wir ein Stück am Anfang. Es ist eine Beruhigung eingetreten im Hinblick auf eine Linie, die ja immerhin 500 Kilometer umfasst. Aber gerade am Wochenende sind wieder doch verstärkte Auseinandersetzungen beispielsweise in Donezk und auch in Mariupol erfolgt. Dass jetzt aber alle vier Außenminister eindeutig darauf hinwirken, dass es eine weitere Umsetzung geben muss, und das beispielsweise in der Frage Waffenstillstand und Rückzug schwerer Waffen, das ist schon ein wichtiger Punkt, denn es sind nicht nur die Separatisten, sondern es ist auch diese sogenannte rechte Truppe von ukrainischen Milizen, die dort entsprechend aktiv waren. Deshalb ist es notwendig und wichtig, dass alle Seiten darauf hinwirken, dass das Minsker Abkommen auch gerade in diesen Punkten umgesetzt wird und dass es dann aber auch darum geht, sozusagen den politischen Prozess des Minsker Abkommens einzuleiten, denn der gehört ja auch dazu, wo es darum geht, Arbeitsgruppen einzusetzen, die besetzt sind von Ukraine, Russland, von der OSZE, um auch den politischen Prozess dann entsprechend voranzutreiben.
    OSZE muss wieder alles kontrollieren können
    Klein: Aber ist ein politischer Prozess nicht wirklich ganz, ganz ferne Zukunftsmusik, angesichts der Tatsache, dass die Kämpfe ja nicht mal aufhören?
    Jung: Sie haben natürlich Recht, dass es zunächst darum geht, dass die Kämpfe auch eingestellt werden und dass die schweren Waffen auch wirklich zurückgezogen werden und dass auch die OSZE die Möglichkeit hat, wirklich alles konkret zu kontrollieren und auch entsprechende Einwirkungen dort im Hinblick auf die Umsetzung vorzunehmen. Aber man muss ja auch sehen: Beispielsweise hat in der Ukraine der Präsident jetzt eine Verfassungskommission eingesetzt, die darauf hinwirkt, dass das Thema der Dezentralisierung, was ja auch eine Vereinbarung ist im Minsker Abkommen, entsprechend realisiert werden kann. Das sind Punkte, die dazu gehören. Es geht um das Thema der humanitären Hilfe, es geht um das Thema des Sonderstatus in diesem Bereich. Alles das sind Punkte, die schon auch zum Minsker Abkommen dazugehören. Aber ich stimme Ihnen zu: Zunächst geht es darum, dass auch die Waffen wirklich schweigen und die schweren Waffen zurückgezogen werden.
    "Tausend Kräfte vor Ort gewollt"
    Klein: Eben! Und da wird allgemein als ein großer Mangel eingeschätzt, dass die OSZE nicht das Mandat hat oder es nicht durchsetzen kann, das zu kontrollieren. Wer befähigt denn die OSZE, in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten das Ihre dazu beizutragen, wozu sie ja da ist, nämlich das zu kontrollieren, was dort passiert?
    Jung: Zunächst ist festzuhalten, dass die OSZE an allen Seiten sozusagen die Unterstützung hat, dass auch dort Russland beteiligt ist, dass zurzeit 400 Kräfte vor Ort sind. Das Ziel ist, dass es tausend Kräfte werden, damit auch eine wirkliche Kontrolle möglich ist. Denn ich habe gerade gesagt: Die Linie ist in etwa 500 Kilometer, und dann sehen Sie, um welchen Bereich es sich dort handelt. Und man muss einfach feststellen: Es hat auf diese 500 Kilometer schon - und da kann ich nur dem Außenminister zustimmen - eine gewisse Beruhigung gegeben. Aber es gibt immer wieder Auseinandersetzungen und die müssen auch wirklich beendet werden und dort muss die OSZE auch personell Verstärkung bekommen, damit eine entsprechende Umsetzung dieses Waffenstillstandsabkommens auch möglich ist.
    Klein: Und weshalb bekommt sie die nicht?
    Jung: Ich sage ja: Es ist das Ziel, dass hier 1.000 Kräfte vor Ort jetzt in Zukunft da sein werden. Die müssen natürlich alle jetzt erst regeneriert werden. Zurzeit sind 400 da. Deshalb sehen Sie, was dort auch noch an Aufgabe von Seiten der OSZE jetzt unmittelbar bewerkstelligt werden muss.
    "Russland darf nicht Waffen an Separatisten liefern"
    Klein: Nach Angaben der NATO, Herr Jung, wird weiter von russischer Seite Munition und Unterstützung an die Separatisten geliefert. Ist das ein klarer Verstoß gegen das Minsker Abkommen oder nicht?
    Jung: Ich halte es schon für falsch, dass hier eine weitere Unterstützung mit Waffen erfolgt, denn das Ziel ist, dass hier die Waffen reduziert werden, dass schwere Waffen zurückgezogen werden. Und wenn gestern der russische Außenminister hier mit zugestimmt hat, dass ein entsprechender Waffenstillstand auch eingehalten wird, dass schwere Waffen zurückgezogen werden. Im Übrigen hat Russland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution eingereicht, dass Minsk II auch umgesetzt wird. Da muss auch Russland sich daran halten und darf nicht weiterhin schwere Waffen oder überhaupt Waffen hier zur Unterstützung der Separatisten liefern.
    Klein: Aber man hält sich ja offensichtlich nicht daran. Und wenn man sagt - das Signal kam ja auch gestern Abend wieder aus Berlin -, es gibt keine Alternative zu Minsk, muss man dann nicht ganz klar sagen, diese Alternative wird Tag für Tag praktiziert, indem nämlich weiter gekämpft und weiter unterstützt wird?
    Jung: Hier ist schon festzuhalten, dass eine gewisse Reduzierung der Kämpfe eingetreten ist, dass es - ich habe es gerade gesagt - in Donezk und in Mariupol Auseinandersetzungen gab. Aber hier hat es eine doch erhebliche Reduzierung der Kämpfe gegeben, und deshalb sage ich noch einmal: Wir sind am Anfang der Umsetzung von Minsk II. Es geht jetzt darum, dass alle Parteien darauf hinwirken, dass es auch wirklich Waffenstillstand gibt, dass schwere Waffen zurückgezogen werden und dass dann aber auch der politische Prozess eingeleitet wird, denn das, glaube ich, ist auch ein wichtiger Punkt, dass humanitäre Hilfe den Menschen vor Ort auch gewährt wird, denn die Menschen in der Ostukraine leiden bitterlich.
    Klein: Wo verläuft denn die rote Linie, Herr Jung? Ist es der Angriff oder die Eroberung der Hafenstadt Mariupol, dass man dann sozusagen von Seiten der EU auch zu anderen Maßnahmen schreiten wird?
    Jung: Das ist die klare Botschaft, dass wenn es eine derartige Aktivität geben wird mit Unterstützung Russlands, dass das zu weiteren Sanktionen führen muss. Aber ich hoffe und wünsche, dass es nicht dazu kommt. Ich habe auch eher den Eindruck, dass von Seiten Russlands nicht eine derartige Aktivität auch entsprechende Unterstützung erfährt, sondern das hat gestern Abend auch der Außenminister Russlands doch deutlich gemacht, dass auch Russland ein Interesse hat, dass Minsk II umgesetzt wird, und das muss nun auch jetzt in der Realität realisiert werden. Ich sage noch einmal: Milizen und Separatisten sind dort offensichtlich noch in einigen Bereichen tätig, die unterbunden werden müssen.
    "Russland hat gegen Völkerrecht verstoßen"
    Klein: Herr Jung, Sie haben jetzt mehrfach die russische Seite angesprochen. Wir haben gerade von unserem Korrespondenten Klaus Remme aus Lübeck gehört, sind noch einmal daran erinnert worden, dass Russland nicht dabei sein wird bei dem G7-Treffen heute und morgen. Andernfalls würde es ja G8 heißen. Erweist es sich doch als Fehler, dass man Russland nicht mehr in diesem Gremium dabei hat und Lawrow nicht mit nach Lübeck geflogen ist?
    Jung: Wissen Sie, nachdem ein derartiger Verstoß von Russland stattgefunden hat gegen das Völkerrecht, gegen die entsprechenden Vereinbarungen, die letztlich zu einer friedlichen Entwicklung in Europa geführt haben, war es notwendig, auch Sanktionen zu beschließen und auch in anderer Art und Weise zu reagieren. Aber es ist das klare Ziel, dass wenn Minsk II auch weiter umgesetzt wird, wenn es dort auch klare weitere Vereinbarungen gibt - wir haben über alle Punkte gerade gesprochen -, dass dann auch Russland wieder beteiligt wird an derartigen Gipfelgesprächen. Unser Ziel ist, Russland wieder entsprechend einzubinden, aber dazu gehört auch die entsprechende Unterstützung Russlands, dass Minsk II auch wirklich Realität wird.
    Klein: Und dann wird es eine Rückkehr zu G8 geben Ihrer Meinung nach?
    Jung: Das ist jetzt ein Stück Spekulation. Aber wenn es schrittweise vorangeht - die Wahlen sind ja jetzt geplant beispielsweise am 25. Oktober diesen Jahres -, könnte es aus meiner Sicht eine Perspektive geben, dass es im nächsten Jahr wieder eine entsprechende Beteiligung gibt.
    Klein: Der CDU-Außenpolitiker Franz-Josef Jung heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Jung.
    Jung: Sehr gerne, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.