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Ukraine-Konflikt
"Lieferung von Waffen wird den Konflikt nicht lösen"

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, warnt vor Waffenlieferungen an die Ukraine. Im Deutschlandfunk sagte er, dadurch würde sich die Situation weiter verschärfen und könne leicht außer Kontrolle geraten. Mützenich sprach sich dafür aus, weiter politische Lösungen zu suchen.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Gerd Breker | 03.02.2015
    SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich.
    Mützenich: "Dass wir mit Russland einer Atommacht gegenüberstehen, dürfen wir nicht gering schätzen." (dpa/Michael Kappeler)
    Der Konflikt würde mit Waffenlieferungen der USA endgültig zu einer Auseinandersetzung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland auf ukrainischem Boden, sagte der SPD-Politiker. Mützenich betonte, man dürfe nicht unterschätzen, dass man mit Russland einer Atommacht gegenüberstehe. Er sprach sich für eine intensive Suche nach politischen und diplomatischen Lösungen aus. Die SPD unterstütze diesbezüglich die Haltung der Bundeskanzlerin.

    Das Interview in voller Länge:
    Gerd Breker: Es ist einfach seltsam, von einem Ukraine-Konflikt zu reden, denn faktisch ist es ja ein Krieg, der da in der Ostukraine geführt wird, und zwar einer, in dem sich das Kräfteverhältnis dank russischer Einwirkung verändert hat. Die Separatisten erzielen Geländegewinne, wohl das hat in den USA die Überlegungen gefördert, über Waffenlieferungen an die Regierung in Kiew für Waffengleichheit zu sorgen. Aus russischer Sicht ist offenbar noch nicht der Zeitpunkt gekommen, diesen Konflikt einzufrieren. Eine Neuauflage der Minsker Verhandlungen ist gerade eben erst gescheitert.
    Think Tanks sind dazu da, Dinge vorauszudenken, bevor sie eintreffen. Was wäre wenn also. Wenn nun in US-Medien Gedankenspiele auftauchen, die Regierung in Kiew mit Waffenlieferungen zu unterstützen, und dies nicht ausdrücklich dementiert wird, dann bedeutet das, dass man in Washington das Geschehen im Kampfgebiet der Ukraine genau verfolgt und dass man dort eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse festgestellt hat. Dass die Möglichkeit von Waffenlieferungen besteht und auch konkret Summen genannt werden, in welchem Umfang das sein könnte, weist auf vorhandene Pläne hin – ein wichtiges Thema, wenn die Bundeskanzlerin am Wochenende zu Präsident Obama reist.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Rolf Mützenich, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Mützenich.
    Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Breker.
    "Das würde den Konflikt verschärfen"
    Breker: Es sind Überlegungen in den USA, eine Entscheidung gibt es noch nicht, Waffen zu liefern. Aber offenbar gibt es konkrete Pläne. Wäre das aus Ihrer Sicht so etwas wie Öl ins Feuer gießen?
    Mützenich: Nun, das befürchten wir schon. Insbesondere wäre es dann endgültig in der Ukraine, auf ukrainischem Boden auch eine Auseinandersetzung zwischen Russland und den USA, und das würde den Konflikt verschärfen.
    Breker: Ein Stellvertreterkrieg also?
    Mützenich: Das wäre zumindest dann aus der Wahrnehmung Russlands, aber scheinbar ja auch bei einigen Akteuren in den USA zu vermuten.
    Breker: Allerdings, Herr Mützenich, ist es ja faktisch so, dass die Separatisten Geländegewinne machen. Das Kräfteverhältnis in der Ostukraine hat sich dank russischer Hilfe verschoben. Das kann man doch nicht zulassen?
    Mützenich: Nein, das ist richtig, und die Bundesregierung und alle 28 Partner innerhalb der Europäischen Union, aber auch innerhalb der Nato versuchen, mit diplomatischen, mit zivilen Mitteln zumindest an das anzuknüpfen, was wir mit der Minsker Vereinbarung hatten, dass nämlich unter dem Dach der OSZE eine Waffenstillstandslinie eingehalten werden soll. Das ist richtig. Russland hält sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht daran und das hat viel damit zu tun, dass der Gipfel in Astana nicht ohne die Minsker Vereinbarung stattfinden kann.
    "Man muss es versuchen"
    Breker: Und Fakt ist auch, dass diplomatische Lösungen derzeit gar nicht in Sicht sind. Die Kontaktgruppe in Minsk ist ja auch gerade wieder gescheitert.
    Mützenich: Sie ist gescheitert insbesondere daran, dass die Separatisten offensichtlich Verhandlungspartner geschickt hatten, die kein Mandat hatten oder auch gar nicht willens waren zu verhandeln. Das ist das Problem. Deswegen, glaube ich, ist es notwendig, alles daran zu setzen, möglicherweise am Rande der Sicherheitskonferenz doch erneut zu versuchen, zu Fortschritten zu kommen. Das wird nicht leicht sein, aber man muss es versuchen.
    Breker: Der Konflikt oder besser der Krieg lässt sich militärisch nicht lösen, sagen wir. Das ist die deutsche Position. Aber faktisch kann man wiederum auch Kriegsziele militärisch erreichen, wenn kein Gleichgewicht der Parteien herrscht?
    Mützenich: Das ist richtig. Aber auf der anderen Seite müssen wir sehen, dass Russland offensichtlich willens ist, diesen Krieg eben nicht zu verlieren, oder dass zumindest die Separatisten diesen Krieg nicht verlieren dürfen, und es ist keine Gewähr gegeben, dass über die Grenze von Russland nicht weiterhin schweres Gerät herangeführt wird. Das wird nur letztlich mit dazu führen, wenn wir auch zu Waffenlieferungen bereit sind, dass es zu einer weiteren Eskalation kommt, die möglicherweise auch gar nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden kann.
    "Wir müssen politisch handeln"
    Breker: Allerdings ist die Androhung von Waffenlieferungen nicht aus Sicht aller so verkehrt. Der Exdiplomat Wolfgang Ischinger, der Sonderbeauftragte der OSZE für die Ukraine - er hat ja auch die Verhandlungen von Minsk geleitet -, er findet diese Überlegungen von Washington sinnvoll. Lassen Sie uns mal hören, was er meint.
    O-Ton Wolfgang Ischinger: "Der Konflikt tritt ja anscheinend in eine neue Phase. Die Separatisten machen ja auf dem Boden Geländegewinne. Das erinnert mich sehr dramatisch an die Zustände vor fast genau 20 Jahren, als die Serben in Bosnien Geländegewinne machten und nicht bereit waren, an den Verhandlungstisch zu treten. Erst als militärisch ein gewisses Gleichgewicht hergestellt war, gab es den Verhandlungstisch und dann gab es Frieden. Manchmal braucht man Druck, um Frieden zu erzwingen."
    Breker: Und mit Druck meint Wolfgang Ischinger nicht die Wirtschaftssanktionen, Herr Mützenich.
    Mützenich: Das weiß ich nicht. Aber wir müssen politisch handeln. Herr Ischinger hat doch keine Verantwortung. Wir sind die politischen Entscheidungsträger und ich plädiere massiv dafür, diplomatische Lösungen weiter zu suchen. Alles andere ist ein Spiel mit dem Feuer.
    Breker: Nur wir haben gelernt, Herr Mützenich, dass die Sanktionen nicht dafür sorgen, dass Putin einlenkt.
    Mützenich: Das ist das große Problem. Ich habe ja das eben auch beschrieben. Meine Haltung ist nicht widerspruchsfrei, aber der ganze Konflikt ist nicht widerspruchsfrei. Ich kann es letztlich nicht auflösen. Aber die Lieferung von Waffen wird den Konflikt nicht lösen, das wird ihn möglicherweise eskalieren.
    Breker: Ein Krieg mitten in Europa – der Vergleich mit dem Balkankrieg, der liegt ja nahe. Den hat Ischinger ja auch gerade gezogen.
    Mützenich: Das ist richtig. Das ist das Problem immer an asymmetrischen Kriegen. Und wir sehen ja hier, dass die Separatisten willens sind, keine politische Lösung zu finden. Aber auf der anderen Seite stehen wir natürlich auch in der Situation, dass wir mit Russland einer Atommacht gegenüberstehen, und das dürfen wir nicht gering schätzen. Sie versuchen zurzeit alles aus ihrem Blickwinkel auch einzubringen, was letztlich von Russland eingebracht werden kann, und leider ist es das, was zurzeit offensichtlich zählt. Deswegen müssen wir weiterhin alles unternehmen, politische Lösungen zu finden, und dafür plädiere ich.
    "Auch Putin versucht, einen Ausweg zu finden"
    Breker: Zu einer politischen Lösung, Herr Mützenich, gehört auch, dass man dem russischen Präsidenten Putin die Möglichkeit gibt, gesichtswahrend einzulenken. Wo kann denn das überhaupt liegen, wie kann das überhaupt aussehen?
    Mützenich: Nun, wir gehen immer noch davon aus, dass die Minsker Vereinbarung eine tragfähige Grundlage letztlich dafür ist, innerhalb des Dachs der OSZE, wo ja im Grunde genommen auch alle Nationen teilhaben können an dieser Konfliktlösung, und wir sehen ja auch die Möglichkeiten, dass die zentralasiatischen Staaten oder andere hier auch eine wertvolle Rolle spielen. Das muss eingebracht werden und ich könnte mir schon vorstellen, dass in diesem Rahmen auf der Grundlage der Minsker Vereinbarung weiterhin gesprochen werden muss. Präsident Putin hat es mit Sicherheit mit einer Situation zu tun, wo er auf der anderen Seite eskaliert, aber ich glaube schon, dass er auch versucht, einen Ausweg zu finden.
    Breker: Nur es gibt die Geländegewinne der Separatisten. Was soll sie dazu bringen, da wieder zurückzugehen, wenn doch möglicherweise aus Sicht der Separatisten eine Landverbindung zur Krim für Putin verlockend wäre?
    Mützenich: Das mag verlockend sein. Aber auf der anderen Seite löst er damit nicht die innenpolitischen Probleme in Russland. Wir haben es mit Abwanderung zu tun, wir haben es mit Inflation zu tun, mit einem sinkenden Ölpreis, der eben nicht mehr in der Lage ist, den Staatshaushalt langfristig auch in den positiven Zahlen zu halten. Alles das sind Probleme, vor denen Präsident Putin steht, und er will ja auch seine Amtszeit, zumindest diese zu Ende bringen, oder möglicherweise für eine weitere Amtszeit zur Verfügung stehen.
    Breker: Sie, Herr Mützenich, werden also der Bundeskanzlerin raten, wenn sie nach Washington reist, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine zu reden?
    Mützenich: Ich glaube, dass die Bundeskanzlerin gestern sehr deutlich gemacht hat, in Budapest am Rande der Gespräche auch mit dem dortigen Ministerpräsidenten Orbán, dass sie diese Haltung nimmt, und darin unterstützen wir Sozialdemokraten sie.
    Breker: Herr Mützenich, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Mützenich: Sehr gerne, Herr Breker. Alles Gute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.