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Ukraine-Konflikt
"Neutralität wäre ein guter Ausweg"

Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hält Waffenlieferungen in die Ukraine für den falschen Weg. Der Konflikt lasse sich nur am Verhandlungstisch lösen, sagte Kurz im DLF. Es gelte nun auch, das "Blockdenken" zwischen der EU und der Eurasischen Zollunion aufzulösen.

Sebastian Kurz im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 07.02.2015
    Österreichs Außenminister Sebastian Kurz mit erhobenem Zeigefinger vor einer gold-weißen Tür
    Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (Imago)
    "Wir sind in Österreich mit unserer Neutralität stets sehr gut gefahren", sagte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz im Deutschlandfunk-Interview. Ein solcher Status für die Ukraine könne auch ein guter Ausweg aus dem dortigen Konflikt sein. Kurz kritisierte in diesem Zusammenhang, dass in der öffentlichen Debatte häufig eine Aufnahme der Ukraine in die NATO diskutiert werde, obwohl sich diese Option tatsächlich gar nicht stelle. Hier werde manchmal "zu viel Öl ins Feuer gegossen", da Russland solche Bestrebungen als Provokation wahrnehme.
    Der österreichische Nationalrat beschloss im Oktober 1955 die "immerwährende Neutralität" Österreichs. Seitdem blieb Österreich bündnisfrei und ohne fremde Militärstützpunkte.
    Das vollständige Interview

    Jürgen Zurheide: Was ist da passiert in Moskau? Darüber rätselt im Moment die ganze Welt und natürlich auch die Sicherheitskonferenz in München und die Teilnehmer, unter anderem auch Sebastian Kurz, der österreichische Außenminister, den wir jetzt in München erreichen. Zunächst einmal sage ich: Guten Morgen, Herr Kurz!
    Sebastian Kurz: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Kurz, haben Sie schon etwas mehr gehört? Gibt es da diplomatische Kanäle, wo was durchsickert? Oder warten Sie genauso gespannt auf die Rede der Bundeskanzlerin, ich glaube, um 11.30 Uhr heute?
    Kurz: Na ja, es gibt natürlich auf der Münchener Sicherheitskonferenz viele Gerüchte und viele, die Andeutungen machen, aber in Wahrheit, glaube ich, erwarten alle gespannt die Rede von Angela Merkel und hoffen natürlich darauf, dass die Gespräche mit Putin eine Verbesserung gebracht haben.
    Zurheide: Ich weiß nicht, ob es jetzt zu früh ist, aber dennoch will ich die Frage stellen, weil sie ja zumindest zwischen den Europäern und den Amerikanern einigermaßen strittig diskutiert wird, wie wir ja an der Reaktion von Herrn McCain sehen: Sollten respektive müsste Europa oder die Amerikaner Waffen liefern an die Ukraine, oder ist das für Sie zu früh?
    Kurz: Also da geht es gar nicht um zu früh, sondern ich bin der Meinung, dass das absolut der falsche Weg wäre. Wir haben in der Region schon mehr als genug Waffen, wir haben mittlerweile über 5.000 Menschen, die ums Leben gekommen sind, wir haben über eine Million Menschen, die dort auf der Flucht sind – und das in einem Land, das von Wien so weit entfernt ist wie die Schweiz. Insofern, ich glaube, dass es in der Ukraine in diesem Konflikt ganz sicher keine militärische Lösung geben kann. Es kann nur eine politische Lösung am Verhandlungstisch geben. Und darum bin ich der Meinung, dass mehr Waffen hier eher zur Eskalation als zur Deeskalation beitragen würden.
    Zurheide: Und die Hinweise, die von Herrn McCain sehr polternd vorgetragen werden unter der Überschrift, das ist die Appeasement-Politik, die in den 20er- und 30er-Jahren schon mal schiefgegangen ist, die halten Sie dann für falsch. Warum?
    Leben gemeinsam mit Russland auf dem Kontinent
    Kurz: Weil man keinen Konflikt mit einem anderen eins zu eins vergleichen kann. Und wenn wir uns die Situation heute in der Ukraine ansehen, dann müssen wir doch sagen: Es ist doch legitim, wenn wir eine andere Linie haben als vielleicht der eine oder andere Amerikaner. Wir leben mit Russland gemeinsam auf diesem Kontinent. Ja, es gibt jetzt diesen Konflikt aktuell, wo Menschen ums Leben kommen, es gibt Wurzeln sicherheitspolitischer, aber auch wirtschaftspolitischer Natur hinter diesem Konflikt, die wir gemeinsam mit Russland ansehen wollen, wenn wir einen Weg aus dieser Krise finden wollen. Aber es braucht langfristig ein friedliches Zusammenleben mit Russland auf diesem Kontinent. Niemand wird die geografischen Gegebenheiten ändern können, und insofern darf man doch an eine militärische Lösung bitte weder glauben noch denken, sondern muss alles versuchen, um eine Lösung am Verhandlungstisch zusammenzubringen. Es wird keinen Frieden gegen, sondern nur mit Russland geben können.
    Zurheide: Lassen Sie uns an dem Punkt einen Strich ziehen und fragen: Wo liegen denn dann möglicherweise auch Fehler der Vergangenheit? Hat die EU, um es zugespitzt zu fragen, vielleicht zu wenig berücksichtigt, dass die Ukraine eher eine Brückenfunktion zwischen Ost und West hat? Dagegen hat es möglicherweise den Versuch, vielleicht auch durch die USA unterstützt, gegeben, die Ukraine zu sehr reinzuholen in die Europäische Union. Ist da ein Teil der Konflikte gelegt, die wir heute haben?
    Kurz: Also im Nachhinein kann man immer der Europäischen Union die Schuld geben. Das wird in vielen anderen Bereichen gemacht, also kann man es ja auch in der Außenpolitik machen. Ich denke nur: Wenn wir uns ehrlich sind, dann war vieles in diesem Konflikt ja nicht wirklich vorhersehbar. Ich glaube, die meisten haben nicht damit gerechnet, dass nach jahrelangen Verhandlungen Präsident Janukowitsch nicht das Assoziierungsabkommen unterschreibt. Die meisten haben nicht damit gerechnet, dass die Maidan-Bewegung so stark ist, dass er und die Regierung das Amt verlassen muss, und ich glaube, die meisten haben auch nicht damit gerechnet, dass danach die Reaktion Russlands so intensiv ist und so aggressiv ist, dass sie die Annexion der Krim durchführen und auch im Osten der Ukraine Separatisten direkt unterstützen. Insofern – ich glaube, vieles war nicht vorhersehbar. Wir sollten jetzt nicht zurückblicken und uns fragen, was ist schiefgelaufen, sondern wir sollten den Blick nach vorne richten und uns fragen: Was können wir tun, damit wir Länder wie die Ukraine, aber auch Georgien und Moldau, nicht in eine Zerreißprobe drängen? Und ich glaube, da muss das Ziel sein, das Blockdenken zwischen der Europäischen Union und der Eurasischen Zollunion schrittweise aufzulösen. Wir sollten versuchen, dass diese Länder nicht in eine Entweder-oder-Entscheidung gedrängt werden, sondern wir sollten es ihnen möglich machen, dass sie näher an die Europäische Union rücken und gleichzeitig enger mit Russland zusammenarbeiten können. Das Ziel muss hier sein, dass diese Länder nicht in einer Zerreißprobe sind, sondern dass sie zu beiden Seiten eine intensive Partnerschaft haben können und das Blockdenken der Geschichte angehört.
    Zurheide: Die Bundeskanzlerin hat ja auch entsprechend vorgeschlagen, die Freihandelszone mit der Eurasischen Union fortzuschreiben. Welche Rolle können Sie als Österreicher da spielen? Sind Sie da ein Stück Vermittler zwischen den Welten? Sie selbst sind auch sehr aktiv gewesen an dem Punkt.
    Blockdenken zurück in die Geschichtsbücher
    Kurz: Ja, es geht ja gar nicht so sehr um die Notwendigkeit an vielen Vermittlern, sondern die Europäische Union muss direkte Gespräche mit Russland aufnehmen. Die Europäische Union als Institution sollte auch direkt mit der Eurasischen Zollunion sprechen. Und ich glaube: Ja, langfristig brauchen wir eine Vision, brauchen wir mehr als nur einen Waffenstillstand für diesen Konflikt. Und ich denke, dass, wenn es uns gelingt, dass die Eurasische Zollunion und die Europäische Union enger wirtschaftlich zusammenrücken, wenn es uns gelingt, eine Freihandelszone zum Beispiel zu spannen, der auch die Ukraine, Georgien und Moldau angehören können, damit sie nicht zerrissen werden zwischen den beiden Blöcken Europäische Union und Eurasische Zollunion, dann tut das nicht nur der Wirtschaft gut, sondern dann würde das wahrscheinlich auch dazu führen, dass das Blockdenken endlich in die Geschichtsbücher zurückkehrt.
    Zurheide: Sie haben als Österreicher die Ukraine kürzlich auch in Sachen Neutralität beraten. Ist das möglicherweise der Schlüssel und ist das auf fruchtbaren Boden gefallen? Oder herrscht im Moment so große Angst vor Russland, dass man sagt, Nein, Neutralität kann uns nicht schützen? Wobei, Sie als Österreicher wären ja eigentlich ein gutes Beispiel, oder?
    Kurz: Wir sind in Österreich mit unserer Neutralität stets sehr gut gefahren. Als die Ukraine bei uns angefragt hat nach Know-how, haben wir daher auch gerne österreichische Experten in die Ukraine geschickt. Es hat längere Gespräche und Konsultationen gegeben, meiner Meinung nach zu recht, denn neben den wirtschaftspolitischen Interessen im Hintergrund gibt es natürlich auch sicherheitspolitische Interessen Russlands, die eine Wurzel dieses Konflikts sind. Und meiner Meinung nach wäre die Neutralität hier durchaus ein guter Ausweg. Ich weiß, dass in der Ukraine im Moment die Tendenzen eher in eine andere Richtung laufen, doch ich glaube, hier bräuchte es ein Stück weit mehr Ehrlichkeit. Es wird in der Ukraine und auch bei uns im Westen stets darüber gesprochen und geliebäugelt, ob die Ukraine nicht Teil der NATO sein könnte. In Wahrheit, unter der Hand sagen einem die meisten NATO-Mitgliedsstaaten, dass sich diese Option gar nicht erst stellt. Und insofern, glaube ich, ist das vielleicht manchmal ein Stück weit zu viel Öl ins Feuer gießen. Es wird von russischer Seite nämlich als Provokation wahrgenommen. Und wenn sich die Option gar nicht stellt, dann frage ich mich auch, ob die Diskussion darüber denn überhaupt Sinn macht.
    Zurheide: Das war ein vehementes Plädoyer auf der einen Seite für Neutralität, aber auf der anderen Seite für wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Blöcken – das war Sebastian Kurz, der österreichische Außenminister, hier bei uns im Deutschlandfunk. Herr Kurz, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Kurz: Vielen Dank für die Möglichkeit!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.