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Ukraine-Konflikt
Putins Worte sind "purer Faschismus"

Wladimir Putin sei mit seinen Handlungen und Äußerungen "ein Erbe der Stalin-Ära", sagte der ukrainische Schriftsteller Timofiy Havryliv im Deutschlandfunk. Russlands Präsident sei quasi Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt und nicht in der heutigen Welt. Er wolle die Ukrainer anscheinend dafür bestrafen, dass sie keine Diktatur wollen und deshalb Janukowitsch stürzte.

Timofiy Havryliv im Gespräch mit Katja Lückert | 03.05.2014
    Der russische Präsident Wladimir Putin
    Russlands Präsident Wladimir Putin lebt "nicht in der heutigen Welt", sagt Havryliv. (dpa / picture alliance / Maxim Shipenkov)
    Katja Lückert: Nach einer Woche sind in der ostukrainischen Stadt Slawjansk sieben Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa frei gelassen worden. Der von Moskau zur Vermittlung entsandte russische Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin bezeichnete das als einen freiwilligen humanitären Akt. Doch nach mindestens 42 Toten in Odessa ist die Lage in der Ukraine weiterhin äußerst angespannt.
    Der polnische Regierungschef Donald Tusk warf Russland vor, gegen die Ukraine einen unerklärten Krieg zu führen. Es sei eine bewaffnete Konfrontation, die nicht von Demonstranten, sondern von einem Staat, nämlich Russland, organisiert werde. An den ukrainischen Schriftsteller Timofiy Havryliv - er war erst vor einer Woche wieder in der Ukraine - ging die Frage: Würden Sie zustimmen, handelt es sich bei dem, was wir zurzeit in Odessa und in der Ostukraine erleben, um Krieg?
    Timofiy Havryliv: Das sieht nach einem Krieg aus. Allerdings ist es kein ukrainischer Bürgerkrieg; das ist eine Exportware aus Russland. Es wird sehr deutlich, da liegen sehr viele Belege dazu vor, es wird von Russland aus gesteuert und sehr viele, die zum Beispiel nach Odessa gekommen waren, oder in Donezk, oder in Lugansk wirken, sie sind auch russische Staatsbürger. Sie sind auch übrigens bestens bewaffnet und das ist ein Zeugnis, dass es leider keine friedlichen Demonstranten sind, die mit Abwehrraketen bewaffnet sind.
    Lückert: In der Zeitung "Die Welt" konnte man vor einer Woche, also ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Geiselnahme der OSZE-Beobachter begonnen hatte, einen Artikel lesen, in dem die jetzige Situation der Mobilisierung russischer Separatisten verglichen wurde mit der Lage vor rund 50 Jahren, als Nikita Chruschtschow Stalin genau dafür in einer Rede bei dem Treffen der Literatur- und Kunstschaffenden am 8. Mai 1963 kritisierte. Sehen Sie da auch Parallelen? Tritt Putin in dieser Angelegenheit in Stalins Fußstapfen?
    Havryliv: Eindeutig! Nur, dass Putin seine Handlungsweisen und, ich glaube, seine Sage aus unterschiedlichen Quellen sozusagen nimmt: zum einen noch aus der imperialistischen Zarenzeit, zum anderen eben aus dieser Stalin-Zeit. Für mich ist er ein Erbe der Stalin-Ära, wie er handelt, was er sagt. Aber was er sagt, wenn man das auch genau analysiert, so ist es ein purer Faschismus. Das ist sehr typisch.
    "Putin will jetzt anscheinend die Ukraine bestrafen"
    Lückert: Chruschtschow hatte Stalin vorgeworfen, einen bedeutenden Teil der schöpferischen Intelligenz der Sowjet-Ukraine zu vernichten und er lobte die Ukrainer, dass sie sich Stalins Druck nicht gebeugt hätten. Kann man das überhaupt in die heutige Zeit übersetzen?
    Havryliv: Das kann man sehr wohl in die heutige Zeit übersetzen. Die Ukrainer haben sich gewehrt, als Janukowitsch mithilfe von Wladimir Putin eine Diktatur in der Ukraine einrichten wollte. Die Ukrainer haben gegen die Diktatur aufbegehrt, den Diktator eigentlich gestürzt, und Putin will jetzt anscheinend die Ukraine auch dafür bestrafen, dass sie irgendwie in Würde leben will. Das ist die Gegensätzlichkeit und die Spannung nicht zwischen den Ukrainisch sprechenden Ukrainern und zwischen den Russisch sprechenden Ukrainern und nicht zwischen den Ukrainern und zwischen den Russen, sondern eher zwischen einer Demokratie und einer Diktatur, zwischen einem Leben nach den Spielregeln und einem Leben in einem Banditentum.
    Lückert: Ist es denn überhaupt möglich, nach Ihrer Ansicht, russische Separatisten zu mobilisieren, ohne zugleich gewissermaßen als Antwort einen Nationalismus auch dutzender Nationalitäten in den russischen Teilrepubliken zu entfachen?
    Havryliv: Das ist sehr gefährlich und es werden dann auch ethnische Spannungen entfacht. Zum Beispiel auf der Krim, als die Krim annektiert wurde, kam es zum ersten Mal seit über 20 Jahren zu den gravierenden ethnischen Spannungen zwischen den Krim-Tataren, Ukrainern und Russen, die dort auf der Krim alle zuhause waren und sind. Ich glaube, dass dieses Spiel mit den Nationalismen ziemlich gefährlich ist, weil er die Geister irgendwie wach rufen kann, die Europa schon mehrere Male in der Geschichte ruiniert haben, zuletzt im 20. Jahrhundert. Daher ist es auch ein Ringen, ein Kampf zwischen dem 21. Jahrhundert, zwischen einem vereinten europäischen 21. Jahrhundert der Menschenrechte und Menschenwürde auf der einen Seite und dem Beginn des 20. Jahrhunderts, der Nationalismen, die dann den Ersten und den Zweiten Weltkrieg zustande gebracht haben, und Putin ist in dieser Zeit vor einem Jahrhundert quasi angesiedelt und nicht in der heutigen Welt.
    Lückert: Wie schätzen Sie den Fortgang der Ereignisse ein? Von Krieg war die Rede. Gibt es eine Hoffnung auf Frieden?
    Havryliv: Natürlich! Die Hoffnung ist ziemlich stark, weil sich auch zum Beispiel die Menschen in den Süd- und Ostregionen der Ukraine zunehmender als Ukrainer identifizieren. Diese Schicht, die Separatisten, vor allem, die von außen anreisen und kommen, diese Schicht der Menschen, die sie mobilisieren können, ist ziemlich schwach. Das geht nur über den Terror, dass die Menschen dann in Schach gehalten werden und dass die Menschen Angst haben. Aber die Menschen wehren sich zunehmend, das haben wir auch in Odessa gesehen, als es zu den blutigen Auseinandersetzungen gekommen ist. Es ist eine ziemlich angespannte Situation. Wir Ukrainer haben uns schon gefreut, dass wir endlich an die Reformen herangehen werden können, und da ist dann dieser Krieg quasi uns auf dem Tisch serviert und wir müssen diese zwei Aufgaben auf einmal irgendwie in den Griff bekommen: Zum einen doch die notwendigen Reformen durchführen, überall vor Ort und auch in der Zentralmacht, aber zum anderen irgendwie die Einheitlichkeit und überhaupt die Existenz unseres Landes, vielleicht darf ich sagen unserer Heimat irgendwie zu beschützen.
    Lückert: Den ukrainischen Schriftsteller Timofiy Havryliv erreichten wir heute telefonisch in Wien. Er reist in diesen Wochen immer wieder in die Ukraine.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.