Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Ukraine-Konflikt
"Russland hat sich jetzt schon geschadet"

Die Lage in der Ukraine sei nicht im russischen Interesse, sagte Hans-Dieter Heumann, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, im Deutschlandfunk. Er forderte, auch die Anliegen der russischsprachigen Bevölkerung im Osten des Landes sollten bei den anstehenden Gesprächen berücksichtigt werden.

Hans-Dieter Heumann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.04.2014
    Hans-Dieter Heumann, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik
    Hans-Dieter Heumann, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik ( picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Thielko Grieß: Bundeskanzlerin Merkel und der russische Präsident Putin haben am Abend am Telefon über die Krise in der Ukraine gesprochen. Man habe die Ukraine-Konferenz in Genf vorbereitet, die morgen stattfinden soll, hieß es danach zum Beispiel aus dem Bundespresseamt. Die gegensätzlichen Haltungen aber dazu, was in der Ukraine passiert, die sind geblieben, wie sie sind. Seit gestern läuft in der Ostukraine der Einsatz der ukrainischen Regierungseinheiten. Wie gefährlich diese Situation ist, darüber hat mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann am späten Abend mit Hans-Dieter Heumann gesprochen. Hans-Dieter Heumann ist Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Das ist ein Institut, das die Bundesregierung berät. Und dieses Interview, das wiederholen wir jetzt.
    Dirk-Oliver Heckmann: Regierungstruppen, die liefern sich also schwere Gefechte jetzt mit prorussischen Kräften. Moskau hatte ja vor einem Krieg gegen die eigene Bevölkerung gewarnt. Haben wir bald Krieg in Europa?
    Hans-Dieter Heumann: Das sehe ich nicht. Krieg in Europa wäre ja zum Beispiel eine militärische Auseinandersetzung zwischen russischen Truppen und Truppen der NATO. Das sehe ich nicht. Wir haben ja auch gleichzeitig einen diplomatischen Prozess. Den dürfen wir bei aller Dramatik in der Ukraine nicht vergessen. Am Donnerstag trifft sich eine Vierergruppe aus USA, Russland, der Ukraine und der EU, im Grunde die Kontaktgruppe, die auch der deutsche Außenminister ja schon seit einiger Zeit gefordert hat. Das Gute daran ist, dass hier Ukraine und Russland vertreten sind. Russland muss in diese Gespräche einbezogen werden.
    "Russland hat sich politisch und wirtschaftlich geschadet"
    Heckmann: Wir kommen auf das Vierertreffen gleich noch mal zurück. Lassen Sie uns noch mal kurz blicken auf die Aktivitäten der Übergangsregierung in Kiew. War es aus Ihrer Sicht ein Fehler der Regierung, diesmal zu handeln, anders als auf der Krim?
    Heumann: Ich glaube, die Kiewer Regierung muss zeigen, muss demonstrieren, dass sie bereit ist, die territoriale Integrität des Landes zu verteidigen. Insofern ist das schon eine richtige Entscheidung gewesen. Aber es ist klar, dass es dann zu Gesprächen kommen muss über die Lage und die Situation der Menschen in der Krim. Das hat die Regierung in Kiew ja auch im Blick, wenn sie darüber nachdenkt, ob man zusammen mit den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai auch ein Referendum haben könnte über die Struktur der Ukraine, über eine mögliche föderale Struktur, denn darum geht es ja: um den Status der Menschen, die in der Ostukraine leben.
    Bewaffnete vor dem Gebäude der Regionalverwaltung in Slaviansk
    Prorussische Bewaffnete halten die Regionalverwaltung in Slaviansk besetzt. (dpa / picture alliance / Roman Pilipey)
    Heckmann: Mit am Tisch sitzt auch Russland am Donnerstag, wenn dieses Treffen denn wirklich stattfindet. Der russische Ministerpräsident Medwedew, der hat heute auch den gestürzten Präsidenten Janukowitsch mitverantwortlich gemacht für die Entwicklung. Er hat gesagt, die damalige prorussische Führung habe die ersten Proteste der Opposition in Kiew nicht ernst genug genommen. Jetzt fließe Blut, und das sei doch sehr traurig. Ist diese Äußerung möglicherweise ein Zeichen für ein gewisses Einlenken?
    Heumann: Ich wäre überrascht, wenn Russland nicht erkennen würde, dass alles, was jetzt geschieht, nicht im russischen Interesse ist. Russland hat sich jetzt schon geschadet, und zwar politisch und wirtschaftlich.
    "Eine sehr gute Doppelstrategie"
    Heckmann: Herr Heumann, NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der hat gesagt, wir diskutieren nicht über militärische Optionen. Allerdings wolle die NATO in den östlichen Bündnisländern auch militärisch stärker präsent sein als bisher. Sollte das NATO-Bündnis über diese Möglichkeit nachdenken, sich verstärkt auf die Seite der ukrainischen Regierung, der Übergangsregierung zu stellen und sie stärker zu unterstützen auf diesem Gebiet?
    Heumann: Wir haben im Grunde doch eine sehr gute Doppelstrategie. Einerseits gibt es eine geschlossene Haltung des Westens darin, in der Feststellung, dass Moskau das Völkerrecht gebrochen hat und die Grundsätze, zu denen es sich zum Beispiel in der Charta von Paris 1999 bekannt hat. Auf der anderen Seite geht es darum, die Ukraine zu stärken - sehr richtig -, vor allem wirtschaftlich. Das geschieht ja auch gerade. Ich bitte also, diese Aktivitäten wie den Beschluss der EU für Hilfen an die Ukraine, des IWF, von uns insgesamt 18 Milliarden, zu berücksichtigen. Jetzt geht es im zweiten Teil dieser Doppelstrategie darum, die Ukraine zu stärken und vor allem dafür zu sorgen, dass sie ein Erfolg wird. Das ist etwas, was aus Moskauer Sicht natürlich besonders bedrohlich ist, und deshalb sollte man auch in die weiteren Gespräche, auch in die Hilfe für die Ukraine Russland einbeziehen.
    Heckmann: Am Donnerstag das Treffen der Außenminister Russlands, der USA und der Ukraine, zusammen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Was wäre das günstigste Ergebnis, das wichtigste Ergebnis, das dort herauskommen Muss?
    Heumann: Dass man das Gespräch über eine Struktur der Ukraine, eine künftige, fortsetzt, die auch die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung im Osten der Ukraine berücksichtigt.
    Heckmann: Und glauben Sie, dass es dazu kommen wird?
    Heumann: Ich halte das für möglich. Immerhin denken alle Seiten über eine föderale Lösung nach, also die Ukraine als Föderation. Das ist uns Deutschen ja eigentlich sehr geläufig. Grundsätzlich sprechen alle Seiten von einer Föderation, und jetzt muss man darüber sprechen, wie die im Einzelnen aussehen kann.
    Grieß: Hans-Dieter Heumann war das, der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, im Gespräch mit meinem Kollegen Dirk-Oliver Heckmann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.