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Ukraine-Konflikt
"Sanktionen sind rundweg gescheitert"

Um eine Lösung im Ukraine-Konflikt zu erreichen, müsste sowohl die Regierung in Kiew als auch Russland Zugeständnisse machen, sagte Wolfgang Gehrcke (Die Linke) im DLF. Im Hinblick auf die Sanktionen des Westens sagte er, dass Russland nicht auf die "Sprache der Stärke" höre.

Wolfgang Gehrcke im Gespräch mit Jasper Barenberg | 18.11.2014
    Wolfgang Gehrcke, Leiter für Außenpolitik und Internationale Beziehungen der Partei Die Linke
    Wolfgang Gehrcke, Leiter für Außenpolitik und Internationale Beziehungen der Partei Die Linke (dpa / picture-alliance / Bodo Marks)
    Um den Konflikt lösen zu können, sei "ein Stück weit mehr Verständnis" notwendig. Russland höre nicht auf die Sprache der Stärke. Eine militärische Lösung schloss der stellvertretende Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion kategorisch aus. Man müsse in diesem Konflikt zweiseitig agieren: Die Regierung in Kiew müsse ihr Militär aus der Grenzregion abziehen, im Gegenzug müsse Russland die Grenze von der OSZE bewachen lassen und dürfe keine Waffen liefern, sagte Gehrcke.
    Im Hinblick auf den Einsatz von Drohnen sagte Gehrcke, dass Russland hier seine Blockade aufgeben müsse, aber "Deutschland, was das Militär angeht, völlig draußen bleiben muss". Er befürwortete aber generell den Einsatz der unbemannten Flugzeuge.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Wolfgang Gehrcke:
    Jasper Barenberg: Angela Merkel schweigt. Kein Wort der Kanzlerin über das lange Gespräch mit Wladimir Putin unter vier Augen in Brisbane beim G20-Gipfel. Dass sie mehr und mehr verärgert ist, desillusioniert und frustriert, das erfahren wir dann aber doch, als sie nach dem Treffen mit dem Kreml-Chef eine Rede hält und deutliche Worte wählt.
    O-Ton Angela Merkel: "Russland verletzt die territoriale Integrität und die staatliche Souveränität der Ukraine. Das stellt nach den Schrecken zweier Weltkriege und dem Ende des Kalten Krieges die europäische Friedensordnung insgesamt in Frage und es findet seine Fortsetzung in der russischen Einflussnahme zur Destabilisierung der Ostukraine in Donezk und Lugansk."
    Barenberg: Die Bundeskanzlerin. Sie geißelt, auf das Recht des Stärkeren zu setzen, die Stärke des Rechts zu missachten, Völkerrecht mit Füßen zu treten. Sie warnt vor einem Flächenbrand, während es Außenminister Frank-Walter Steinmeier einmal mehr mit Diplomatie versuchen will. Heute macht er sich auf den Weg nach Kiew und Moskau. Die Bundesregierung setzt also weiter auf eine Kombination aus Diplomatie, Sanktionen und Unterstützung für die Ukraine, und doch hat Angela Merkel ein demonstratives Ausrufezeichen gesetzt. Auch darüber wollen wir in den nächsten Minuten mit dem Fraktionsvize der Linkspartei im Bundestag sprechen. Wir erreichen Wolfgang Gehrcke in Kiew. Schönen guten Morgen!
    Wolfgang Gehrcke: Schönen guten Morgen aus Kiew. Es trifft sich ja mittlerweile alles hier. Wir sind gerade im Begriff abzureisen nach Rostow am Don, also auf die andere Seite, und Herr Steinmeier kommt. Das finde ich ja ganz passend.
    Barenberg: Ja, ganz passend ist das. Haben Sie denn auch den Eindruck, dass der Außenminister wieder auf Diplomatie setzt, wohingegen andererseits der Bundeskanzlerin der Geduldsfaden gerissen ist?
    "Man braucht diplomatische Lösungen"
    Gehrcke: Ja. Es passt nicht zusammen, was von der Bundesregierung kommt. Ich bin ja extrem dafür, Diplomatie statt Militär. Es ist hier ganz wichtig, dass man auch in Kiew immer deutlich macht, militärische Lösungen wird es nicht geben, man braucht diplomatische Lösungen.
    Barenberg: Das sagt ja der Bundesaußenminister.
    Gehrcke: Ja, freut mich. Wenn der Bundesaußenminister in dieser Frage dem Rat der Linken gefolgt ist, was, wie ich glaube, er auch von selber weiß, ist das ein Schritt vorwärts. Das muss man hier in Kiew immer wieder betonen, dass mit Gewalt auch keine Lösungen zu erreichen sind. Und Moskau muss man das auch deutlich machen. Wir sind dafür, dass die Minsker Vereinbarungen wieder aufgenommen und eingehalten werden. Darin bestätigt sich auch das, was die OSZE hier sagt. Die sind sehr dafür, Minsk umzusetzen. Deren Position ist, dass Minsk nicht gescheitert ist und dass es eine Chance gibt, endlich zur Waffenruhe zu kommen.
    Barenberg: Was kann Russland, was muss der Kreml beisteuern, damit das Minsker Abkommen tatsächlich Wirklichkeit wird?
    Gehrcke: Die Russen müssen deutlich machen, dass sie bereit sind, mit der Ukraine als Nachbarstaat vernünftig nebeneinander umzugehen, möglicherweise auch die wirtschaftlichen Beziehungen endlich wieder zueinander aufzunehmen. Die Normalität muss in Europa wieder einkehren. Das ist das, was Russland leisten muss, und das werden wir besser hinkriegen, wenn man Türen aufmacht und nicht weiter auf Sanktionen setzt. Die Sanktionen sind rundweg gescheitert. Mit Sanktionen erreicht man bei Russland gar nichts.
    Barenberg: Wenn wir noch mal auf die Verärgerung der Kanzlerin zu sprechen kommen. Hat die Bundesregierung Geduld bewiesen in den letzten Wochen und Monaten?
    Gehrcke: Die Bundesregierung gehörte anfänglich nicht zu den Scharfmachern in Europa. Da kam viel mehr Druck aus Polen, aus den baltischen Ländern, dort NATO-Truppen zu stationieren, was für Russland eine Überschreitung einer roten Linie gewesen wäre. Dann ist die Bundesregierung umgeschwenkt, hat auf Sanktionen gesetzt, absurde Sanktionen, zum Beispiel, dass die Kollegen aus dem russischen Parlament gelistet sind. Gelistet ist für mich das Unwort des Jahres. Das heißt, dass sie nicht nach Deutschland kommen können. Die Kanzlerin hat mir gesagt, was wollen Sie, Sie können doch jeder Zeit nach Moskau fahren. Ja, das kann ich. Ich möchte aber auch, dass die russischen Kollegen nach Deutschland kommen, damit man mit ihnen offen über alles reden kann. So was muss verschwinden. Auch die wirtschaftlichen Sanktionen müssen zurückgenommen werden. Sie treffen auch im erheblichen Umfang Deutschland selber.
    Barenberg: Die Kanzlerin, die Bundesregierung hat Geduld bewiesen, einen langen Atem. Sie hat 40 Telefonate inzwischen mit Wladimir Putin geführt. Gebracht haben sie nichts!
    "Die Beziehungen sind immer schlechter geworden"
    Gehrcke: Nein, unterm Strich sind die Beziehungen immer schlechter geworden. Und wenn man mal zurückblickt auf die letzten zwei, drei Jahre, nach der deutschen Vereinigung waren die Beziehungen noch nie so schlecht, wie sie heute sind. Das muss einen doch alarmieren. Die Kanzlerin hat in einer Feststellung Recht: Es droht ein Flächenbrand, und ein Flächenbrand kann ja nichts anderes heißen als Krieg um die Ukraine und Krieg in der Ukraine, und das muss man unbedingt bekämpfen. Wenn ein Flächenbrand droht, muss man doch alles tun, um einen Flächenbrand auszuschalten. Das ist das, was wir von der Kanzlerin erwarten.
    Barenberg: Wladimir Putin hat ja jetzt zuletzt in dem Interview offen eingeräumt, dass Russland die Aufständischen mit Waffen versorgt. Wir wissen außerdem, dass Russland im Moment Gespräche blockiert, was die Überwachung der Grenze zur Ukraine angeht. Wie viel Geduld muss man noch aufbringen?
    Gehrcke: Ich glaube, man muss zweiseitig agieren. Man muss auf die Kiewer Regierung Einfluss nehmen, dass die Armee aus den Grenzregionen zurückgenommen wird. Wer die Armee und Freiwilligenverbände gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung, auch wenn sie Rebellen sind oder so bezeichnet werden, einsetzt, der hat schon verloren. Also Rückzug der Armee, damit auch eine Chance, den Waffenstillstand umzusetzen, und Forderung an Russland, dass die Grenze von der OSZE überwacht wird und dass keine Waffen in diese Region geliefert werden. Das ist in Minsk vereinbart worden, einschließlich des Zurückziehens von schweren Waffen.
    Barenberg: Das heißt, Sie fordern Russland auf, endlich den Worten auch Taten folgen zu lassen, dass beispielsweise die Grenze überwacht wird.
    Gehrcke: Es wäre viel besser, wenn man das gemeinsam mit den russischen Kollegen besprechen könnte. Die OSZE hat ungefähr 300 Beobachter hier jetzt im Einsatz. Vereinbart ist, dass auf 500 Beobachter raufgegangen wird. Das halte ich auch für notwendig. Man ist bereit, Drohnen einzusetzen, und bitte sehr: keine deutschen Drohnen, weil dann folgt immer, es muss Bedienungsmannschaft mit eingesetzt werden und Bewachungsmannschaft. Ungefähr 500 Bundeswehrsoldaten an die Westgrenze Russlands zu entsenden, das ist bei der Geschichte beider Länder völlig inakzeptabel. Deutschland muss, was das Militär angeht, völlig draußen bleiben.
    Barenberg: Da ist zumindest ein Punkt, wo Sie sagen, da muss Putin ganz konkret liefern, er muss seine Blockade aufgeben, was den Einsatz beispielsweise von Drohnen zur Überwachung im Sinne der OSZE angeht.
    Gehrcke: Ja. Man kann doch zu Vereinbarungen kommen, wo beide Seiten ihr Gesicht nicht verlieren. Das ist das, was uns hier bewegt hat. Wir wollen sehr viele Fakten sammeln, mit sehr vielen Menschen hier sprechen in der Ukraine, auch auf der russischen Seite. Wir wollen in Flüchtlingslager. Und wir sind immer davon ausgegangen, keine Seite darf ihr Gesicht verlieren. Das heißt, wenn man mit Russland zu einer Vereinbarung käme, dass man jetzt bereit wäre, einen Teil der Sanktionen zurückzunehmen, ist das ein vernünftiges Angebot. Dann ist eine Tür offen. Wenn immer nur die Drohkulisse bleibt. Russland hört nicht auf die Sprache der Stärke und die Sprache der Gewalt, noch nie. Und ich bin überzeugt davon, dass die russischen Menschen eher ihren Lebensstandard verschlechtern werden, als auf so was einzugehen. Das heißt, ein Stück weit mehr Verständnis ist notwendig und es müssen Türen offen bleiben und keiner darf das Gesicht verlieren.
    Barenberg: Sagt Wolfgang Gehrcke von der Linkspartei, der stellvertretende Vorsitzende seiner Fraktion im Bundestag. Danke schön für Ihre Einschätzungen heute Morgen.
    Gehrcke: Herzlichen Dank aus Kiew. Alles Gute!
    Barenberg: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.