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Ukraine-Konflikt
"Wir haben nichts anderes als das Minsk-Abkommen"

Das Minsker Abkommen sei nach wie vor die Grundlage für eine politische Lösung des Ukraine-Konflikts, sagte der Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit, Gernot Erler, im DLF. Die Vereinbarung sei ein Stück weit umgesetzt worden - allerdings fehle es an immer wieder an einer konstruktiven Haltung Russlands.

Gernot Erler im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.08.2015
    Porträt von Gernot Erler
    Erler: "Wir haben an den Hotspots weiterhin Kämpfe, die auch verlustreich verlaufen." (dpa / Patrick Seeger)
    Erler sagte weiter, es gebe weiterhin verlustreiche Kämpfe in der Ostukraine. "Wir haben in Wirklichkeit so eine Art Stellungskrieg." Nun sei die "Startphase der Umsetzung der politische Punkte." Dazu werde eine konstruktive Haltung von Russland gebraucht, "die nicht immer gegeben ist." Moskau werde die Separatisten weiterhin unterstützen. Das hänge mit der Art und Weise zusammen, mit der Russland den Konflikt darstelle. Den Bürgern dort werde vermittelt, dass es darum gehe, russischsprachige Menschen in der Ukraine vor Faschisten zu schützen, sagte der SPD-Politiker.
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko trifft sich heute in Berlin mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande. Es ist das erste Treffen der drei Politiker seit dem Krisengipfel in Minsk vor einem halben Jahr. Anders als damals wird der russische Staatschef Wladimir Putin diesmal nicht mit am Verhandlungstisch sitzen.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: 24 Jahre Unabhängigkeit - die Ukraine wird heute in blau-gelbe Flaggen getaucht sein, wenn auch nicht überall im Land. Das Land erinnert sich seiner 1991 gewonnenen Selbstständigkeit. Seitdem ist sie nicht mehr Teil der Sowjetunion. Aber es gibt nicht so viel Grund zum Jubeln. Die Ukraine ist inzwischen Teil eines Krieges und hat die Herrschaft über Teile ihres Territoriums verloren. Es ist ein bitterer Feiertag, ein Feiertag, an dem der ukrainische Präsident Poroschenko in Berlin mit Angela Merkel und mit Francois Hollande über diesen Konflikt sprechen wird.
    Gernot Erler ist Koordinator der Bundesregierung für Russland, Mitglied der SPD und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Erler.
    Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Merkel, Hollande, Poroschenko - gehört in diese Reihe nicht als vierter Name logisch auch Wladimir Putin?
    Erler: Ja. Das Normandie-Format, was Sie ansprechen, das ist auch nicht aufgegeben. Erst am 23. Juli hat es das letzte Telefonat zwischen dieser Vierergruppe gegeben und weitere Aktivitäten sind auch geplant. Das ist jetzt sozusagen zwischendurch in einer wichtigen Situation innerhalb der Ukraine ein Dreierformat, was wir jetzt heute erleben werden, und das geht auf einen ausdrücklichen Wunsch aus Kiew zurück.
    Grieß: Aber ohne Russland wird es ja nicht weitergehen. Wann kommt denn das nächste Treffen zu viert?
    Erler: Das ist noch nicht terminiert. Aber ich sagte ja, dass weitere Aktivitäten auch auf der Spezialistenebene schon vorbereitet sind, und das Normandie-Format ist keineswegs etwa jetzt zurückgestellt oder gar aufgegeben.
    Grieß: Das Abkommen von Minsk, Teil II, Minsk II, liegt etwa ein halbes Jahr zurück. Es hat nichts gebracht, oder?
    Erler: Das kann man so nicht sagen. Ich meine, erstens mal ist es eine politische Plattform, die die höchste Autorität, die man sich vorstellen kann, hat, nämlich die entsprechenden Unterschriften der Präsidenten und der Bundeskanzlerin, und ein Stück weit ist es ja auch umgesetzt worden. Wir haben eine Waffenruhe an Teilen der Kontaktlinie, aber eben nicht überall. Wir haben an den Hotspots weiterhin Kämpfe, die auch verlustreich verlaufen, und wir haben auch eine Umsetzung des politischen Bereichs. Das ist ja gerade jetzt ein wichtiger Punkt, dass Poroschenko nach Berlin kommt in dem Moment, wo es um die Verfassungsänderung geht und damit auch um diese Frage der Autonomierechte für die Separatistengebiete. Das ist ein ganz entscheidender Punkt für den Gesamterfolg von Minsk.
    Grieß: Aber nun ging es ja, Herr Erler, nicht darum, Minsk II teilweise umzusetzen, sondern vollständig. Es gibt immer noch keine Wahlen, es gibt keine Grenzsicherung, keinen Frieden flächendeckend, und internationale Kontrolle ist auch nicht möglich. Gibt es Vorbereitungen für einen Neuanfang?
    Erler: Ich beschönige da nichts, aber man braucht ja auch immer eine Hoffnung, und wir haben nichts anderes als das Minsk-Abkommen im Augenblick. Das ist die Grundlage für eine politische Lösung. Und es ist ja in dem Beitrag eben auch noch mal angesprochen worden: Es gibt ja auch Kräfte, die eben nicht auf die politische Lösung setzen, sondern auf eine militärische Lösung, so aussichtslos das auch erscheinen mag. In Wirklichkeit haben wir inzwischen so eine Art Stellungskrieg dort in der Ostukraine. Insofern ist es auch ganz wichtig, jetzt in diesem Moment mit dem ukrainischen Präsidenten darüber zu reden, wie die Chancen sind, den politischen Prozess aufrecht zu erhalten und den nicht der Illusion einer militärischen Lösung zu opfern.
    "Wir sind jetzt in der Startphase der Umsetzung der politischen Punkte"
    Grieß: Wie schätzen Sie die Chancen ein, Russland dazu zu bewegen, die Unterstützung für die Rebellen im Osten der Ukraine einzustellen?
    Erler: Es wird weiterhin eine russische Unterstützung geben. Das hängt auch mit der Art und Weise zusammen, wie die russische Politik das Problem darstellt. Nach wie vor ist ja dort die Propaganda so, dass man sagt, dass dort russischsprachige Menschen bedroht sind und dass man sie schützen muss gegen die ukrainischen Nationalisten und Faschisten, und in dieser Situation wird es keine Aufgabe der Unterstützung der Separatisten geben. Aber Russland ...
    Grieß: Aber in welcher dann?
    Erler: Aber Russland hat ja auch Minsk unterschrieben und hat allen 13 Punkten dort zugestimmt, und wir sind jetzt in der Startphase der Umsetzung der politischen Punkte, die sehr schwierig sind, und da brauchen wir auch eine konstruktive Haltung von Russland, die nicht immer gegeben ist.
    Grieß: Es gibt einen Vorschlag seit dem Wochenende in der Ukraine selbst von Leonid Krawtschuk, dem ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit 1991. Er sagt, man solle sich darauf einstellen und darüber nachdenken, und zwar laut und konkret, die Gebiete im Osten aufzugeben. Folgen Sie ihm?
    Erler: Ich halte das für eine Art Versuchsballon, der da gestartet worden ist, weil ich kenne aus der Ukraine diese Diskussion, die durchaus geführt wird. Es gibt solche Stimmen und wir befinden uns im Augenblick im Grunde genommen schon im Wahlkampf für die Regional- und Kommunalwahlen am 25. 10. Und in diesem Kontext war das, glaube ich, ein Versuch, mal zu testen, wie die Reaktionen auf einen solchen Vorschlag sind. Aber ich kann mir nicht vorstellen - wir haben heute den Tag der Unabhängigkeit der Ukraine -, dass es hier etwa von Poroschenko irgendwelche positiven Äußerungen zu diesem Vorschlag geben kann.
    Erler: Kommen nicht um eine politischen Prozess auf Basis des Minsker Abkommen herum
    Grieß: Jetzt würde ich gerne bei Ihnen noch mal nachfragen. Würden Sie aus diesem Versuchsballon schnellstmöglich die Luft herauslassen wollen?
    Erler: Ich halte davon nichts, von diesem Vorschlag. Ich glaube, wir kommen nicht umhin, um einen politischen Prozess auf der Basis des Minsker Abkommens. Dazu gibt es aus meiner Sicht auch mit dem Testballon von Krawtschuk keine Alternative.
    Grieß: Mit welchen Hausaufgaben schickt die Kanzlerin den ukrainischen Präsidenten heute Abend wieder nach Hause?
    Erler: Die Kanzlerin ist hier nicht die Lehrerin, sondern die Kanzlerin ist zusammen mit Francois Hollande die Vertretung der Europäischen Union, die manchmal sogar verzweifelt versucht, diesen politischen Prozess als Alternative zu einer Fortsetzung der militärischen Auseinandersetzung voranzubringen.
    Grieß: Und welche herzlichen Bitten gibt sie Poroschenko mit auf den Weg?
    Erler: Auf jeden Fall wird sie nach wie vor die politische Überzeugung vertreten, dass es keine militärische Lösung gibt, und natürlich diskutieren mit Poroschenko, was jetzt aktuell auf der Tagesordnung steht. Das sind die Verfassungsänderungen, das ist die Frage des Autonomiestatuts für die Separatistengebiete und wie das Ganze tatsächlich mehrheitlich auch im ukrainischen Parlament, der Rada, umgesetzt werden kann.
    Grieß: Der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Gernot Erler, bei uns im Deutschlandfunk im Gespräch. Danke schön, Herr Erler, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Erler: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.