Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Ukraine-Krieg
"Die Situation ist auf Messers Schneide"

Der neue Friedensplan für die Ukraine habe sie überrascht, sagte Sabine Fischer, Forschungsgruppenleiterin Osteuropa/Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, im DLF. Poroschenko sei derzeit in einer "sehr schwierigen Lage", daher sei es denkbar, dass sich die ukrainische Regierung auf den Kompromiss "mit Abstrichen" einlasse.

Sabine Fischer im Gespräch mit Matthias von Hellfeld | 06.02.2015
    Bundeskanzelerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Francois Hollande zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am 6. Februar 2015 in Kiew.
    Bundeskanzelerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Francois Hollande stehen dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko im Krieg in der Ostukraine zur Seite. (dpa / picture-alliance / Roman Pilipey)
    Sandra Schulz: Zuletzt standen die Zeichen im Ukraine-Konflikt auf weitere Eskalation. Doch seit gestern gibt es Grund zu neuer zumindest vorsichtiger Hoffnung. Jedenfalls gibt es eine neue diplomatische Initiative. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande sind nach Kiew gereist mit einem neuen Friedensplan. Berichte, dass er sogar größere Autonomiegebiete vorsieht als bisher geplant für die prorussischen Separatisten, die lässt die Bundesregierung allerdings dementieren. Heute wollen Merkel und Hollande mit Wladimir Putin in Moskau sprechen.
    Welche Chancen hat der Friedensplan von Merkel und Hollande? Darüber hat mein Kollege Matthias von Hellfeld gestern Abend mit Sabine Fischer gesprochen. Sie leitet die Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.
    Matthias von Hellfeld: Waren Sie überrascht von dieser Mission?
    Sabine Fischer: Ja, ich war überrascht. Ich hatte keine Vorabinformationen über diese Initiative, und obwohl das natürlich in den Kontext jetzt reinpasst, weil die Situation wirklich sehr auf Messers Schneide ist, war das für mich eine neue Information.
    "Die ukrainische Regierung ist in einem sehr schweren Dilemma"
    von Hellfeld: Realistisch betrachtet, was können die beiden tatsächlich erreichen?
    Fischer: Ja, das ist natürlich eine sehr schwierig zu beantwortende Frage. Die ukrainische Regierung ist in einer extrem schwierigen Situation, weil auch in den letzten Wochen wieder ganz offensichtlich geworden ist, dass sie diesen Konflikt militärisch nicht für sich entscheiden kann.
    Gleichzeitig steht Präsident Poroschenko natürlich innenpolitisch auch enorm unter Druck und die westlichen politischen Unterstützer, die USA, andere Staaten, haben ihm gerade wieder militärische Unterstützung verweigert. Die ukrainische Regierung ist in einem sehr schweren Dilemma. Aber sie ist auch in einer relativ schwachen Verhandlungssituation. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass die Führung sich mit Abstrichen möglicherweise aber dennoch auf bestimmte Kompromisse einlässt.
    Auf der russischen Seite ist es eigentlich noch schwerer vorherzusagen, denn das Kalkül der russischen politischen Führung ist auf Konsolidierung einer stark nationalistisch getriebenen Großmacht ausgerichtet. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass sowohl die Krim als auch der Krieg in der Ostukraine für Russland enorme Kosten hat, dass Russland sich jetzt in einer schweren Wirtschaftskrise befindet, und vielleicht haben wir jetzt ein Momentum durch ein Angebot, das unterbreitet wird, in dem die russische Führung für sich eine Möglichkeit sieht, unter Gesichtswahrung durch die Übernahme von Verantwortung für eine international getragene Lösung dieses Konflikts einen Kompromiss, eine Lösung zu unterstützen.
    von Hellfeld: Wie könnte dieser Kompromiss aussehen? Stichwort im Hinterkopf behalten: der Plan von Minsk. Muss er darüber hinausgehen? Geht er darüber hinaus? Was wissen Sie von den Ideen, die die beiden möglicherweise im Gepäck hatten?
    Fischer: Ich weiß dasselbe, was Sie wissen. Ich habe natürlich auch unterschiedliche Medienberichte gelesen, seitdem die Information von dieser Initiative gekommen ist. Das ist ja auch im Laufe des Abends dementiert worden vom Kanzleramt, dass es sich um tatsächlich eine sozusagen Erweiterung dieses Minsker Protokolls zugunsten der Rebellen handelt letztendlich.
    Auch wenn ich das nicht mit Sicherheit sagen kann, wir können ja einfach mal davon ausgehen, dann geht es tatsächlich darum, dass ein ähnliches Konstrukt wie das Minsker Protokoll, das letzten September verabschiedet worden ist, aber mit einer neuen Waffenstillstandslinie, die dem jetzigen Frontverlauf entspricht, dass es darum geht. Und das bedeutet natürlich Gebietsgewinn für die Rebellen. Das ist eine extrem bittere Pille, die die ukrainische Führung zu schlucken hätte, sollte das die Substanz des Vorschlags sein.
    von Hellfeld: Aber beide Gebiete würden bei der Ukraine bleiben und starke Autonomierechte bekommen?
    Fischer: Formal würden beide Gebiete bei der Ukraine bleiben. Auch Russland hat ja immer wieder offiziell verlauten lassen, dass es die territoriale Integrität der Ukraine schützen will, so absurd man das teilweise finden kann, aber das ist der offizielle Standpunkt. Die Gebiete würden bei der Ukraine bleiben, mit diesen Autonomierechten, und natürlich würde diese Waffenstillstandslinie mit einer Pufferzone östlich und westlich dieser Linie bedeuten, dass der Konflikt bis zu einem gewissen Punkt auch einfach eingefroren würde.
    Die Statusfrage würde sicherlich für viele Akteure auf der Konfliktebene weiter ungeklärt bleiben und das wäre Gegenstand weiterer Verhandlungen.
    "Die Situation ist extrem angespannt"
    von Hellfeld: Ist das die letzte diplomatische Option, die wir gerade erleben?
    Fischer: Ich glaube, man sollte in der Politik nie von letzter diplomatischer Option sprechen. Aber es ist tatsächlich so, dass die Situation jetzt – ich habe es vorhin schon gesagt: Die Situation ist auf Messers Schneide.
    Wir haben es im Grunde genommen mit einer Entwicklung der kriegerischen Auseinandersetzungen, die wir über die letzten Monate gesehen haben, in einen regelrechten Krieg zu tun in der Ostukraine. Das heißt, die Situation ist extrem angespannt und ich spreche mir hier natürlich selbst auch Hoffnung zu. Ich hoffe einfach, dass diese deutsch-französische Initiative ein Abflauen der Kämpfe und einen Fortschritt auf der Konfliktebene bringt.
    "Weder Hollande noch Merkel können mit amerikanischen Waffen drohen"
    von Hellfeld: Sie werden beide zu Wladimir Putin nach Moskau fliegen und falls der dem Plan nicht zustimmt, glauben Sie, dass Hollande und Merkel dann mit amerikanischen Waffen, sage ich jetzt mal etwas salopp, drohen? Schließlich ist auch der amerikanische Außenminister John Kerry in Kiew.
    Fischer: Weder Hollande noch Merkel können mit amerikanischen Waffen drohen. Das würde zum Beispiel auch der immer wieder und jetzt gerade auch vor zwei bis drei Tagen wieder ganz klar geäußerten Position der deutschen Bundesregierung widersprechen und das gleiche ist der Fall für Frankreich.
    Was sie natürlich – aber das ist in der Tat Spekulation – als Botschaft transportieren könnten wäre, wenn Russland sich auf einen solchen Kompromissvorschlag nicht einlässt, dass sie dann auch für sich weniger Möglichkeit sehen könnten, Verbündete davon abzuhalten, Waffen in diesen Konflikt hineinzuliefern, aber das ist natürlich noch mal ein ganz anderer hoch komplexer Themenkomplex. Aber das könnte eine der Botschaften sein, denke ich.
    Schulz: Sabine Fischer, Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Matthias von Hellfeld.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.