Freitag, 19. April 2024

Archiv

Ukraine
Krimtataren unter Druck

Die Krimtataren in der Ukraine geraten im Konflikt mit Russland zwischen die Stühle. Eine Mehrheit erkennt die Annexion durch Russland nicht an. Die alte Angst vor Deportation ist bei vielen zurückgekehrt. Doch einige von ihnen begrüßen den russischen Einfluss.

Von Mareike Aden | 17.10.2014
    Der Khan-Palast in der Stadt Bachtschissarai: Wichtigste Moschee auf der Krim
    Der Khan-Palast in der Stadt Bachtschissarai: Wichtigste Moschee auf der Krim (Mareike Aden)
    Der Muezzin ruft zum Freitagsgebet: Dutzende Männer strömen in Gruppen in die wichtigste Moschee auf der Krim. Sie liegt in der Stadt Bachtschissarai innerhalb der Mauern des Khan-Palastes aus dem 16. Jahrhundert. Jahrhunderte lang herrschten Tataren auf der Krim, nun sind sie eine Minderheit. Für die 300.000 Krimtataren auf der Schwarzmeer-Halbinsel ist Bachtschissarai immer noch ihr kulturelles Zentrum.
    Einer der Betenden ist Ilmi Umerow. Noch bis vor Kurzem hatte er es nicht jeden Freitag geschafft, hierher zu kommen. Es war einfach zuviel zu tun. Der 57-Jährige war bis vor einigen Wochen noch Bürgermeister von Bachtschissarai. Doch nach neun Jahren im Amt ist er zurückgetreten.
    "Niemand hat mich dazu gezwungen. Ich hätte weitermachen können, aber nur unter der Bedingung, dass ich die neue russische Staatsmacht anerkenne. Der Premierminister der Krim, Sergej Akzionow, hat mir bis zuletzt versichert, dass er mit meiner Arbeit zufrieden sei. Er sagte: Sie können bleiben. Nur, mit dem, was Sie sagen, müssen sie sich zurückhalten. Aber meine Entscheidung stand fest."
    Häuser werden von Maskierten gestürmt
    Nach dem Gebet scharen sich im Moschee-Hof viele Männer um Ilmi Umerow. Er gehört zum Medschlis, dem repräsentativen Rat der Krimtataren. Dieser Rat ist in diesen Zeiten besonders wichtig für die Gemeinde. Im März hatte der Medschlis zum Boykott des Referendums aufgerufen, er erkennt die Annexion der Krim bis heute nicht an und das hat Folgen: Immer wieder stürmen bewaffnete Maskierte Häuser und Unternehmen von Krimtataren. Meist geschieht das in den frühen Morgenstunden und in Begleitung von Männern des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB. Man ermittle wegen Extremismus heißt es dann. In der Ukraine, sagt Umerow, waren die Lebensumstände für Krimtataren nie perfekt, aber man habe sich arrangieren können. Jetzt ist das vorbei:
    "Unter der neuen russischen Führung müssen zwei unserer Anführer nun im Exil leben. Man beschränkt oder verbietet unsere Gedenk- und Protestveranstaltungen. Die russische Staatsmacht will uns völlig unter ihre Kontrolle bringen und setzt alle unsere Strukturen unter Druck: wirtschaftliche, religiöse und politische. Das gilt auch für den Medschlis und die Moscheen."
    "Wir müssen Wladimir Putin dankbar sein"
    Doch nicht alle Krimtataren sind gegen Russland: Der Geschäftsmann Seytumer Nimetulajew hat es im Süden der Ukraine mit dem Handel von Agrargütern zu Reichtum gebracht. Er war dort einflussreicher Regionalpolitiker und gehörte der Partei des früheren ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch an. Nach der Maidan-Revolution verlor er sein politisches Amt und kehrte zurück auf die Krim, seine Heimat. Er hat nun eine Organisation gegründet, die ein Gegengewicht zum Medschlis sein soll. Birligi heißt sie - übersetzt Einheit - und angeblich haben schon 8.000 Menschen einen Aufnahmeantrag gestellt. Seytumer Nimetulajew selbst will in die Regionalregierung:
    "Wir müssen Wladimir Putin dankbar sein. Er hat unsere Sprache neben Ukrainisch und Russisch zu einer der drei offiziellen Sprachen auf der Krim gemacht und die Krimtataren rehabilitiert, also anerkannt, dass sie zu Opfern des stalinistischen Terrors wurden. Daran hatte die Ukraine nicht einmal gedacht. Wir haben eine große Zukunft auf der russischen Krim. Es ist sehr viel zu tun - das sehe ich als das einzige Problem. Aber gemeinsam werden unsere Organisation und die russische Regionalregierung das alles schaffen."
    "Urangst" ist zurückgekehrt
    Im Gegensatz zu ihm traut Medschlis-Mitglied Umerow den Zugeständnissen des Kreml nicht. Er sieht darin einen Versuch, die Krimtataren mit Zuckerbrot und Peitsche auf Russland-Kurs zu bringen. Bisher, glaubt er, stehen noch 90 Prozent der Krimtataren hinter dem Medschlis.
    "Sie wollen einen Keil in die Gemeinschaft der Krimtataren treiben. Ich hoffe, dass ihnen das nicht gelingt und dass wir genug Weisheit und Kraft haben, um unsere nationale Bewegung fortzuführen."
    Doch wie es weitergehen soll, weiß keiner von ihnen, die Krimtataren sind ratlos. Sie wollen nicht zu den Waffen greifen - nur das steht fest. Ilmi Umerow rechnet mit dem Schlimmsten: Damit, dass er wie einst seine Eltern, seine Heimat verlassen muss. Vor 70 Jahren waren sie, wie alle Krimtataren, deportiert worden. Diese "Urangst" der Krimtataren ist zurückgekehrt.