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Ukraine-Krise
Nato-Vertragsgebiet als rote Linie

Roderich Kiesewetter hat klare Grenzen für Russlands Präsident Putin gefordert. "Es muss ein Zeichen geben, dass es rote Linien gibt und diese roten Linien sind das Natovertragsgebiet", sagte der CDU-Verteidigungspolitiker im Deutschlandfunk.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 25.03.2014
    Roderich Kiesewetter (CDU), Präsident des Reservistenverbandes und Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Portrait, in die Kamera blickend
    Roderich Kiesewetter (CDU), Obmann im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Dirk-Oliver Heckmann: An einer Teilung der Ukraine habe er kein Interesse. Die Aussage von Russlands Präsident Putin war eigentlich eindeutig. Aber es wäre ja nicht das erste Mal, dass Putin Zusagen nicht einhält. Die territoriale Integrität der Ukraine hatte er vor wenigen Wochen ja auch noch zugesagt. Jetzt wird in Moskau bereits über weitere Schritte nachgedacht. Der Ultranationalist Wladimir Schirinowski hat bereits ganz offiziell eine Teilung der Ukraine ins Spiel gebracht. Gestern kamen die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen in Den Haag zusammen, um über die Lage zu beraten. Darüber möchte ich reden mit Roderich Kiesewetter von der CDU, er ist Obmann im Auswärtigen Ausschuss und Präsident des Reservistenverbandes. Schönen guten Morgen, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Obama, Merkel und Co. suspendieren also die Mitgliedschaft Russlands in der G8-Gruppe. Der russische Außenminister Lawrow, der hat aber schon zu erkennen gegeben, wie schlimm das für Moskau ist: gar nicht nämlich.
    Kiesewetter: Nun gut. Ich meine, das was Russland in den letzten Wochen gezeigt hat, nämlich das Abkommen von 1994, das die Unabhängigkeit der Ukraine gewährleistet hat, zu brechen, das kann ja nicht ohne Sanktionen bleiben, und der Ausschluss aus G8 war ja eine Ankündigung, die ja schon seit einigen Wochen absehbar war. Insofern ist das sicherlich für Russland nichts Überraschendes gewesen und die Frage ist jetzt, wie wir Russland wieder an den Verhandlungstisch bekommen, und dazu brauchen wir die Klaviatur der Organisationen wie die OSZE, sicherlich auch den NATO-Russland-Rat unbedingt, das hat ja auch Frau von der Leyen angedeutet, und die Europäische Union, glaube ich, sollte hier in Führerschaft gehen und diese Organisationen koordinieren.
    G8-Ausschluss: "Ein Warnsignal an die Weltöffentlichkeit geben"
    Heckmann: Was ist das eigentlich, Herr Kiesewetter, für eine merkwürdige Doppelstrategie, auf der einen Seite zu sagen, wir suspendieren die Mitgliedschaft Russlands in der G8-Gruppe und gleichzeitig zu sagen, wir brauchen den Dialog?
    Kiesewetter: Das ist ja keine Doppelstrategie, die merkwürdig ist, sondern merkwürdig ist das Verhalten Russlands. Russland hat unter Bruch des Völkerrechts die Souveränität der Ukraine gefährdet. Die Krim ist bereits Russland angeschlossen worden durch ein merkwürdiges Verfahren, nämlich Besetzung mit Milizen, die dann am Tag der Abstimmung plötzlich russische Fahnen trugen. Und zweitens sind Zehntausende, man spricht zwischen Zehn und Zwanzigtausend, Russen in die Krim gereist, um an der Abstimmung teilzunehmen. Wenn Russland wirklich an einem souveränen Entscheiden der Ukraine gelegen gewesen wäre, oder auch der Krim-Bevölkerung, dann hätte man diese Abstimmung unter Aufsicht der OSZE durchführen können, und das hat Russland nicht geleistet. Und da müssen wir schon ein Warnsignal auch an die Weltöffentlichkeit geben, weil es auch Verhalten Russlands in Transnistrien gibt. Das ist ja ein Teil Moldawiens. Sie haben es angedeutet, dass gestern Schirinowski als stellvertretender Präsident der Duma Andeutungen gemacht hat in Richtung einer Aufteilung der Krim, hat Angebote gemacht an Ukraine, Ungarn, an Rumänien und auch an Polen. Das ist das eigentlich Seltsame. Und ich glaube, es ist ein gutes Zeichen, dass die westliche Staatengemeinschaft weiterhin den Dialog mit Russland sucht, den ja Russland sehr einseitig unterbrochen hat.
    Heckmann: Sie haben es gerade eben schon angesprochen, dass die Entwicklung ja möglicherweise weitergehen könnte. Das Weiße Haus jedenfalls, das registriert besorgt einen russischen Truppenaufmarsch an der Ostgrenze der Ukraine. Der NATO-Oberkommandierende, der hat am Wochenende von sehr beträchtlichen russischen Truppen gesprochen, und der rumänische Präsident, Băsescu, der hat gefordert, die NATO-Truppen müssten neu positioniert werden. Ist es also nicht Zeit für konkretere Schritte, Vorsorge zu treffen?
    Kiesewetter: Ich denke, dass ein weiteres Signalisieren von Unterstützungsbereitschaft aus der NATO eher der Eskalation dienen würde. Die NATO ist aus meiner Sicht erst der dritte Schritt. Zunächst ist die OSZE gefordert. Hier haben wir ja ganz konkret gefordert, dass wir Beobachter innerhalb der Ukraine wollen. Russland ist darauf nur sehr mittelbar eingegangen. Sie haben etwa 100 OSZE-Beobachter in einem Land, das doppelt so groß ist wie Deutschland, angeboten nur in den großen Städten. Das ist natürlich kein gutes Signal. Wenn die OSZE zum Einsatz kommt, dann müssten das sicherlich nicht nur 100, sondern vielleicht zwei oder 3000 Beobachter sein. Die Europäische Union hat mit Sanktionen geantwortet und die NATO hat aus meiner Sicht eher die Aufgabe, nach innen zu wirken, nämlich die baltischen Staaten, Polen, auch Rumänien und Ungarn zu beruhigen. Die NATO muss zur Kohäsion, zum Zusammenhalt der westlichen Staaten beitragen, aber eben nicht zur Eskalation. Also eine Neupositionierung auf keinen Fall, sondern so wie Frau von der Leyen angedeutet hat, klare Signale, klare Bekenntnisse.
    "Russland hat das Völkerrecht gebrochen"
    Heckmann: Frau von der Leyen, die Verteidigungsministerin, Ihre Parteifreundin also, die hat ja eine Diskussion um eine Verstärkung der Truppen an der Ostgrenze losgetreten. Sie hatte dem "Spiegel" gesagt, es ist für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die NATO Präsenz zeigt, und hat sich damit Kritik eingehandelt vonseiten der SPD, auch vonseiten der Opposition. Jürgen Trittin von den Grünen sagt, Frau von der Leyen habe fahrlässig drauf losgeredet. Können wir uns eine Verteidigungsministerin leisten, Herr Kiesewetter, die fahrlässig drauf losredet?
    Kiesewetter: Frau von der Leyen hat genau die richtigen Punkte angesprochen. Es geht doch darum, den baltischen Staaten, die in höchster Sorge sind, in höchster Sicherheitsvorsorge um ihre Außengrenzen fürchten, deutlich zu machen, dass sie eindeutig zum NATO-Vertragsgebiet gehören. Diese Staaten haben sehr große russische Minderheiten, in Estland und Litauen fast die Hälfte der Bevölkerung. Hier geht es doch auch darum, dass man innenpolitisch in diesen Ländern das Signal ausgibt, ihr gehört zum westlichen Bündnis und geht pfleglich mit eurer russischen Bevölkerung um. Nichts anderes hat Frau von der Leyen gesagt.
    Der zweite Punkt ist, dass natürlich die Bedrohungswahrnehmung in Polen, in den baltischen Staaten, in Rumänien und Ungarn eine andere ist, als wie wir sie in Deutschland haben, und hier kann die NATO sehr stark auch zum Zusammenhalt beitragen, und ich glaube, dass das ganz entscheidend ist. Frau von der Leyen hat auf einen Punkt ganz klar aufmerksam gemacht: Russland hat das Völkerrecht gebrochen und es besteht eine ganz große Unruhe, wie Sie eben selber auch gesagt haben, ganz große Besorgnis in den Anrainerstaaten zu Russland. Wer garantiert uns denn, dass sich nicht Transnistrien durch russischen Druck von Moldawien absetzt? Wer garantiert uns denn nicht, dass Nordkasachstan zu Russland geht, wo auch eine große russische Mehrheit ist? Hier kommt es darauf an, dass wir klare und beruhigende Signale in das NATO-Vertragsgebiet geben.
    "Die Klaviatur der Organisationen spielen"
    Heckmann: Pardon, wenn ich da einhake, Herr Kiesewetter. Das könnten aber auch Signale sein, die zur Eskalation beitragen. Das Verteidigungsministerium hat ja gestern einige Mühe gehabt, aufzuklären, dass es der Ministerin nicht um zusätzliche Truppen geht, sondern um den Hinweis, dass verstärkt AWACS-Aufklärungsflugzeuge eingesetzt werden über Polen und Rumänien, dass die Trainingsintensität für Überwachungsaufgaben erhöht wurden. Aber man muss sagen, mit Übungen hat es auf der russischen Seite ja auch angefangen.
    Kiesewetter: Nun, zunächst einmal besteht überhaupt keine Absicht, die NATO einzusetzen, weil es ja keinen Verteidigungsfall gibt. Aber es muss schon ein Zeichen geben, dass es rote Linien gibt, und die roten Linien sind das NATO-Vertragsgebiet. Wir müssen ja auch deutlich sagen, dass Putin in seiner Doktrin sagt, überall dort, wo russische Staatsbürger sind, sind auch russische Interessensphären und russische Einflussgebiete. Das hat er ja mit der Krim, mit der Annexion der Krim sehr deutlich gemacht. Die Eskalation ging ja von Russland aus, darauf müssen wir uns immer wieder berufen. Und wir wollen ja den dreifachen Dialog, NATO-Russland-Rat, NATO-Ukraine-Rat übrigens. Das sind alles Einrichtungen, die auf Bestreben der Bundesrepublik Deutschland eingeführt wurden in den letzten zehn Jahren.
    Zweitens: Die OSZE muss als internationale Organisation im Auftrag der Vereinten Nationen in die Ukraine mit einer sehr großen Beobachterzahl.
    Und drittens: Die Europäische Union sollte natürlich auch klare Angebote langfristig an Russland machen können, dass man wieder an den Verhandlungstisch zurückkommt und möglicherweise das, was Putin in Absetzung von der Europäischen Union in seinem Bereich haben will, einen Eurasischen Wirtschaftsraum, dass wir doch mal sehr klar darüber nachdenken, wie man mit Russland vielleicht mal einen gemeinsamen Wirtschaftsraum entwickeln kann. Das sind ja die alten Medwedew-Vorschläge, die alle nicht mehr wirksam sind, seitdem Putin wieder Staatspräsident ist. Also, es ist aus meiner Sicht ganz wichtig - und das macht ja unsere Bundeskanzlerin, das macht auch die Bundesverteidigungsministerin, unser Außenminister -, dass wir die Klaviatur der Organisationen spielen, und zwar so, dass sie aufeinander abgestimmt sind.
    Heckmann: Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter war das, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Herr Kiesewetter, danke Ihnen sehr für das Gespräch.
    Kiesewetter: Ja, schönen guten Morgen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.