Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Ukraine
"Man muss alle Lösungen besprechen"

Die Ukraine brauche jetzt dringend einen Dialog aller politischen Kräfte, sagt der ukrainische Botschafter Pavlo Klimkin im DLF. Es sei ganz wichtig, dass man miteinander und nicht nur übereinander spreche. Die Opposition lehnt das noch ab.

Pavlo Klimkin im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.12.2013
    Christiane Kaess: Die Opposition in der Ukraine hat für die Zukunft jedes Gespräch mit der Staatsführung strikt abgelehnt. Hintergrund ist der Räumeinsatz der ukrainischen Polizei in der Nacht zum Mittwoch mit Festnahmen und Verletzten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat mittlerweile alle Beteiligten beim Machtkampf in der Ukraine dazu aufgerufen, auf jede Form der Gewalt zu verzichten. - Am Telefon ist der ukrainische Botschafter in Berlin, Pavlo Klimkin. Guten Morgen!
    Pavlo Klimkin: Schönen guten Morgen.
    Kaess: Herr Klimkin, der ukrainische Staatspräsident, Viktor Janukowitsch, hat der Opposition Gespräche über die Lösung der politischen Krise angeboten. Wie ernst zu nehmen ist dieses Angebot?
    Klimkin: Ja, der Dialog in der Ukraine ist wichtig im Moment. Das ist ganz, ganz wichtig, dass man miteinander spricht, nicht übereinander spricht, und es ist wichtig, dass man alle Fragen, die da auf dem Tisch liegen, besprechen kann.
    Kaess: Nun hat Janukowitsch aber gleichzeitig versichert, dass die Regierung nie Gewalt gegen friedliche Demonstranten anwenden werde. Das ist aber bereits passiert. Wie glaubwürdig kann er also noch sein?
    Klimkin: Man hat gesagt, dass die Ereignisse von dieser Nacht aufgeklärt werden sollen, und dass man mit Schlagstöcken die friedlichen Demonstranten beziehungsweise Studenten dann schlägt, das ist absolut inakzeptabel.
    Kaess: Das haben wir aber gesehen auf den Bildern hier.
    Klimkin: Ja, ja. Aber da ermittelt auch die Staatsanwaltschaft, wie das überhaupt passieren konnte, und dann brauchen wir da Ergebnisse, und zwar ganz schnell.
    Kaess: Sie haben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft angesprochen. Das Verhandlungsangebot geht auch an Leute, gegen die gleichzeitig ermittelt wird. Wie passt das denn zusammen?
    Klimkin: Im Moment gibt es diese Ermittlung, aber man soll dafür stehen, was für einen Inhalt diese Ermittlung hat.
    Kaess: Was heißt das?
    Klimkin: Das heißt, im Moment versucht man, einfach zu verstehen, worin liegen die Inhalte von diesen Ereignissen. Das Angebot von gestern für einen Runden Tisch liegt vor und das ist ganz wichtig, dass man wirklich miteinander spricht, wie gesagt.
    Kaess: Nun lehnt aber Oppositionspolitiker Vitali Klitschko genau wegen dieser Gewalt gegen die Demonstranten die Gespräche mit der Regierung ab. Was sollte ihn denn umstimmen?
    Klimkin: Es gibt ja eine Reihe von Forderungen von der Opposition, und eine der wichtigsten Forderungen ist genau, dass diese Ereignisse aufgeklärt werden sollen und dass auch einige Polizeikräfte nicht in der Nähe von Maidan stehen sollen, und darüber soll man auch verhandeln.
    Die Leute stehen für die europäische Integration auf dem Maidan
    Kaess: Aber die Opposition verlangt ja noch mehr. Sie verlangt den Rücktritt von der Regierung und vom Präsidenten. Sie verlangt die Freilassung der politischen Gefangenen. Ist die Regierung und der Präsident denn tatsächlich im äußersten Fall dazu bereit, zurückzutreten, um eine weitere Eskalation zu vermeiden?
    Klimkin: Das kann ich hier leider nicht kommentieren. Aber selbstverständlich, weil die Lage ernst ist, da muss man alle Lösungen besprechen. Aber ganz, ganz wichtig ist, dass diese Lösung, die da ausgehandelt werden sollte, für alle akzeptabel ist.
    Kaess: Aber wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Klimkin, würden Sie nicht ausschließen, dass es schlussendlich auch zu einem Rücktritt des Präsidenten und der Regierung kommen kann?
    Klimkin: Nein, das kann ich leider nicht beurteilen. Das ist wirklich die Frage für die politischen Kräfte in der Ukraine, das zu beurteilen und das zu beschließen.
    Kaess: Was kann denn Janukowitsch der Opposition anbieten, welche Kompromisse ist er denn bereit zu schließen?
    Klimkin: Wie gesagt, das ist nochmals die Frage für die Verhandlungen und für die Gespräche im Rahmen des Runden Tisches. Aber es gibt eine Reihe von möglichen Lösungen. Wichtig ist: viele, die auf der Straße stehen, die stehen dafür und nicht dagegen. Die stehen für die europäische Integration, und die erste Forderung war, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen und danach auch zu implementieren. Und dann stehen auch eine Reihe von Forderungen im Moment. Da muss man alles auf den Tisch legen, um dann zu verstehen, was da herauskommt.
    Kaess: Sie sehen noch Chancen für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU?
    Klimkin: Auf jeden Fall! Ich habe schon gesagt, das wird auch schneller kommen, als viele hier glauben.
    Man muss auch einen Modus Vivendi mit Russland finden
    Kaess: Aber das hieße gleichzeitig eine Abkehr von Russland?
    Klimkin: Nein, eigentlich nicht. Ich habe immer gesagt, man kann gleichzeitig und man soll auch gleichzeitig die Integration mit der Europäischen Union vorantreiben, und dann sollen die Beziehungen mit der Europäischen Union auf der Basis der Integration liegen. Aber man muss auch Modus Vivendi mit Russland finden auf der Basis der Zusammenarbeit.
    Kaess: Aber wenn dieser Balanceakt so einfach ist, Herr Klimkin, wie Sie das jetzt gerade beschreiben, warum ist das Assoziierungsabkommen mit der EU nicht schon längst unterzeichnet worden?
    Klimkin: Ein Balanceakt ist niemals irgendwie leicht. Aber man muss so eine, wie Sie das dargestellt haben, Balance finden. Und das liegt nicht nur an der Balance, das liegt an vielen Bedingungen, nicht nur historischen, aber insbesondere wirtschaftlichen Bedingungen, weil Teile von der ukrainischen Wirtschaft auch von der russischen Wirtschaft abhängig sind.
    Die ukrainische Wirtschaft braucht Hilfe
    Kaess: Da gibt es ja ganz klar die Forderung der ukrainischen Regierung nach 20 Milliarden Euro Finanzhilfe von der EU für den Abschluss dieses Assoziierungsabkommens. Das ist allerdings von der EU-Kommission schon zurückgewiesen. Was wollte man denn mit dieser Forderung erreichen? Ist das genau diese Balance, die Sie gerade angesprochen haben, die man versucht zu erreichen?
    Klimkin: Nein, man muss das nicht so direkt verstehen. Der ukrainischen Wirtschaft geht es im Moment nicht so gut und man braucht diese Hilfen, unabhängig von dem Assoziierungsabkommen. Das ist erstens und zweitens, das ist auch klar: einige einschränkende Maßnahmen von Russland bewirken da auch die ukrainische Wirtschaft. Und wenn das Assoziierungsabkommen abgeschlossen ist, dann bräuchte auch die ukrainische Wirtschaft diese Unterstützung, und deswegen hat man die angesprochen. Aber die Summe kann ich leider nicht dementieren.
    Assoziierungsabkommens kommt hoffentlich ganz schnell
    Kaess: Ist die Ukraine von Russland erpresst worden?
    Klimkin: Nicht in dem Sinne, dass man sagt, okay, politische Erpressung. Aber diese einschränkenden Maßnahmen, auch wirtschaftliche, die treffen auch die ukrainische Wirtschaft ganz hart. Das ist ganz wichtig, dass man auch nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens das heutige Handelsregime mit Russland dann auch bewahren kann. Das ist praktisch möglich, das muss man aber absprechen, wie das funktioniert.
    Kaess: Herr Klimkin, zum Schluss noch: Sie haben gesagt, die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU wird schneller kommen als man denkt. Wie schnell?
    Klimkin: Das kann ich leider nicht spekulieren. Aber hoffentlich geht es ganz schnell, weil wir das Abkommen brauchen als Rahmen für die europäischen Reformen.
    Kaess: Welches Hindernis muss überwunden werden?
    Klimkin: Man muss da verstehen, wie die Lösung für die Ukraine für die heutige Situation dann aussieht, und das wird, hoffe ich, ganz, ganz schnell kommen.
    Kaess: Der ukrainische Botschafter in Berlin, Pavlo Klimkin, bei uns im Deutschlandfunk. Danke schön, Herr Klimkin.
    Klimkin: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.