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Ukraine
Putin hat ein Lippenbekenntnis abgeliefert

Der Westen müsse dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nun endlich etwas entgegensetzen und ihn zur Räson bringen, sagte der Grünen-Politiker Werner Schulz, Mitglied des Europäischen Parlaments, im Deutschlandfunk. Putins Aufruf an die Separatisten, das Referendum nicht abzuhalten, sei ein Lippenbekenntnis.

Werner Schulz im Gespräch mit Gerd Breker | 09.05.2014
    Werner Schulz von den Grünen, von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments
    Werner Schulz von den Grünen, von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Wladimir Putin habe mit seinem Aufruf an die pro-russischen Separatisten sogar noch indirekt die Legitimität eines Referendums anerkannt, sagte der Grünen-Politiker Werner Schulz, Mitglied des Europäischen Parlaments, im Deutschlandfunk. Auch habe er die Separatisten als "Vertreter der Ostukraine" bezeichnet. Das bringe die Sichtweise Putins deutlich zum Ausdruck. Der Aufruf des russischen Präsidenten sei nur ein "Lippenbekenntnis".
    "Ein unglaublich gefaktes Referendum"
    Putin sei durch einen Bericht seines Menschenrechtsrat aufgeschreckt worden. Der habe nämlich herausgefunden, dass beim Referendum auf der Krim wohl überhaupt nur 30 bis 50 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt hätten. Und von diesen seien nur ungefähr 60 Prozent für den Beitritt der Halbinsel zu Russland gewesen. "Wir haben es hier mit einem unglaublich gefakten Referendum zu tun", sagte Schulz. "Und ein solches erwartet uns auch in der Ostukraine." Nur dürfte Putin erhebliche Schwierigkeiten haben, dies dann abermals dem Westen zu verkaufen. Auch in diesem Kontext sei Putins Appell zu verstehen.
    Werner Schulz, geboren am 22. Januar 1950 in Zwickau, ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments. Von 1990 bis 2005 hatte er zuvor dem Bundestag angehört. Schulz war an den politischen Umbrüchen in der früheren DDR beteiligt. Er engagierte sich ab Herbst 1989 im Neuen Forum und erlebte am 9. Oktober 1989 die große Montagsdemonstration in Leipzig mit. Er vertrat das Neue Forum sechsmal am Zentralen Runden Tisch der DDR. Von März bis Oktober 1990 war er Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR und Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne.

    Das Interview in voller Länge
    Thielko Grieß: Die Lage in der Ukraine, sie verändert sich täglich und oft verändert sie sich mehrmals täglich. Sie zu schildern, das versuchen Journalisten, nicht nur unsere Kollegen des Deutschlandfunks, sondern für viele Medien weltweit. Ihre Arbeit ist nicht leicht, denn an ihrer Arbeit haben die Konfliktparteien oft wenig Interesse, und das gilt für beide Seiten, für die Übergangsregierung in Kiew und die Aktivisten vor allem im Osten und im Süden, die eher Moskau als Kiew zuneigen. Journalistische Arbeit unter Druck.
    Wir wollen die Situation, die andauernde Krise in der Ukraine, in den nächsten Minuten noch ein wenig vertiefen: Wo steht das Land? Wie steht es um den Einfluss Russlands auf die prorussischen Aktivisten in der Ukraine, die an ihrem geplanten Referendum am Sonntag in zwei Regionen festhalten wollen? Das sind einige der Fragen, die mein Kollege Gerd Breker gestern Abend hier im Programm gestellt hat im Interview an Werner Schulz. Der wiederum ist Abgeordneter der Grünen im Europaparlament und ein entschiedener Kritiker der Moskauer Politik.
    Gerd Breker: Wenn das Referendum in der Ostukraine am Sonntag nun stattfindet, Herr Schulz, wissen wir dann, dass Putins Einfluss auf die Separatisten gar nicht so groß ist, wie immer gedacht?
    Eigendynamik spielt Putin in de Karten
    Werner Schulz: Das kann man nicht unbedingt daraus ableiten. Das war ja mehr oder weniger so ein Lippenbekenntnis. Er hat die gebeten, dass zu verschieben, wobei er damit gleichzeitig dieses illegitime Referendum anerkannt hat. Ich meine, das ist ein Ding. Er hat die Leute auch nicht Separatisten oder Terroristen genannt, sondern die Vertreter der Ostukraine, die Anhänger der Föderation, die es noch gar nicht gibt. Wenn Putin so etwas will, dass das nicht stattfindet, dann hätte er das unterbinden können, so wie er diese ganzen Ereignisse und Vorgänge dort unterbinden kann. Nein, ich glaube, er lässt es laufen. Diese Eigendynamik spielt ihm in die Karten. Er möchte die Ukraine destabilisieren und er möchte vor allen Dingen, dass die Wahl am 25. Mai nicht stattfindet. Dazu hat er sich ja nun gar nicht geäußert. Er hat sich auch nicht zur Abgabe der Waffen und dass man die Rathäuser verlässt geäußert. Nein, Putin hat uns da ein sehr merkwürdiges Lippenbekenntnis abgeliefert.
    Breker: Sie haben die Präsidentenwahl am 25. Mai angesprochen. Das bleibt ja ein Schwachpunkt dieser Übergangsregierung in Kiew, dass sie nicht wirklich legitimiert ist.
    Schulz: Na ich finde, die ist natürlich mehr legitimiert als die angeblichen Vertreter der Ostukraine. Die sind immerhin von der Rada gewählt worden, von einer übergroßen Mehrheit. Die sind auch von den Leuten auf dem Maidan akzeptiert worden. Die haben sich auch nicht als Regierung jetzt aufgespielt, sondern bewusst gesagt Übergangsregierung, und sehr, sehr schnell Neuwahlen für den Präsidenten angesetzt. Mehr kann man von denen gar nicht erwarten. Aber es gibt eins noch, was Putin sicherlich sehr irritiert hat: seinen Menschenrechtsrat. Der Menschenrechtsrat des Präsidenten hat einen Bericht vorgelegt zum Referendum auf der Krim, und der hat festgestellt, dass es dort eine Beteiligung von etwa 30 bis 50 Prozent nur gab und nicht 88, und dass von diesen 30 bis 50 Prozent nur 50 bis 60 Prozent mit Ja gestimmt haben. Das heißt, wir haben es mit einem unglaublich gefakten Referendum – es war sowieso illegitim, aber auch noch gefakten Referendum zu tun. Und ich glaube, Putin hat auch kalte Füße bekommen, weil in der Ostukraine müsste er sich noch mehr anstrengen, um die Wahlfälschung nach außen zu pusten, denn Kiew hat die Wählerregister nicht freigegeben. Im Grunde genommen kann man die Leute dort gar nicht benachrichtigen, zur Wahl zu gehen. Und das wäre ein unglaublich manipuliertes Referendum, oder was wir jetzt am Sonntag zu erwarten haben.
    Über ein Referendum kann man mit denen nicht verhandeln
    Breker: Nun wird ja, Herr Schulz, von Putin gefordert, dass die Regierung in Kiew mit den Separatisten verhandelt. Ist das überhaupt zumutbar?
    Schulz: Leute, die unter Strumpfmasken mit Maschinenpistolen herumlaufen, hat ja Medwedew selber schon gesagt, mit solchen Leuten könne man nicht verhandeln. Angeblich hat er die in Kiew gesehen, da waren bloß keine, die habe ich da nicht gesehen, sondern in Kiew gibt es Ansprechpersonen. Die sind bekannt, das sind auch keine irgendwelchen dahergelaufenen Strauchdiebe, sondern das sind Politiker, das sind Parlamentsabgeordnete, Jazenjuk und andere, die die Regierung stellen. Mit denen kann man sehr wohl verhandeln. In der Ukraine, in der Ostukraine würde man mit Geiselnehmern, mit Verbrechern, mit Banditen, mit Warlords verhandeln. Bitte schön! Man kann auch mit denen verhandeln, dass sie ihre Waffen niederlegen und dass sie vielleicht eine Amnestie bekommen, wenn sie da abziehen. Aber über die Abtrennung der Ukraine oder ein Referendum, was die mit Waffengewalt erzwingen wollen, kann man mit denen wahrlich nicht verhandeln.
    Breker: Das Problem ist, dass der Staat, dass die Regierung in Kiew das Gewaltmonopol des Staates nicht mehr hat. Wie könnte man das wiederherstellen, wenn nicht Russland mitspielt?
    Schulz: Es ist sehr schwierig, weil würde die Übergangsregierung stärker durchgreifen, würde Putin sofort wieder davon reden, dass das der Kampf gegen das eigene Volk ist. Er hat ja in seinem Falle im Tschetschenien-Krieg vergessen, was er da getan hat. Da hat er die Separatisten in Schutt und Asche gebombt. Das sei dahingestellt. Aber ich glaube auch, dass die Einsatzfähigkeit der ukrainischen Armee gar nicht so gegeben ist. Die haben gar nicht die Spezialkräfte. Noch dazu haben sie es mit Leuten zu tun, die da und dort überlaufen, weil sie hin- und hergerissen sind. Das ist alles sehr schwierig.
    Ich glaube, was der Westen tun müsste, wäre, Putin nun mal wirklich deutlich etwas entgegensetzen und ihn zur Räson zu bringen oder ihm Einhalt zu gebieten. Man könnte ihm zum Beispiel mal vor Augen führen, was es heißt, wenn man das Völkerrecht bricht. Es gibt diesen Vertrag von Montreux von 1936, der die Durchfahrt von Kriegsschiffen im Bosporus regelt. Den hat die Sowjetunion noch unterzeichnet, also Stalin. Man könnte heute deutlich sagen, dieser Vertrag gilt nicht mehr, und damit hätte man die Schwarzmeer-Flotte auf Grund gesetzt, denn die Aufrüstung, die in Sewastopol heute stattfinden soll, neue Kriegsschiffe, U-Boote, die könnten sich dann alle im Schwarzen Meer tummeln. Und die Einnahme der Krim wäre ein Pyrrhussieg für Putin und dann würde ihm auch deutlich werden, was es heißt, wenn man sich nicht ans Völkerrecht hält.
    So wie in Srebrenica
    Breker: Sie haben die Krim angesprochen, Herr Schulz. Da spricht ja eigentlich keiner mehr drüber.
    Schulz: Eben!
    Breker: Wir reden alle über die Ostukraine, aber die Annexion der Krim war ja illegal.
    Schulz: Ja! Deswegen sage ich das ja. Es gibt dieses Budapester Memorandum von '94, wo die USA und Großbritannien und Russland die territoriale Integrität der Ukraine garantieren und die Ukraine dafür ihre Atomwaffen abgegeben hat. Russland hält sich nicht daran. Putin sagt, das sei jetzt ein anderes Land. Völliger Unsinn! Ich meine, es gibt eine andere Regierung, die mag ihm nicht gefallen und daran mag man bemängeln, dass die nur einen Übergangsstatus hat. Aber es gibt ja trotzdem den Staat Ukraine und es geht darum, dieses Territorium einzuhalten und zu garantieren. Normalerweise hätten die Schutzmächte deutlich machen müssen, was das heißt, eine Garantie zu geben. Die kann doch nicht einfach nur so auf dem Papier stehen und ist dann überhaupt nichts wert.
    Wissen Sie, mir kommt das vor wie Srebrenica, als die Muslime ihre Waffen abgegeben haben für die Schutzgarantie, die Blauhelme sich umgedreht haben und der General Mladic dann die Leute liquidieren konnte. So ähnlich kommt man sich, glaube ich, in der Ukraine vor.
    Grieß: Werner Schulz war das, Abgeordneter im Europaparlament von den Grünen, im Gespräch mit Gerd Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.