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Ukraine
Umstrittener Mauerbau an der russischen Grenze

Ein 2.000 Kilometer langer Schutzwall entlang der russischen Grenze soll nach den Plänen der ukrainischen Regierung die Bevölkerung vor dem Aggressor aus Moskau schützen. Jetzt wird das zweite Teilstück eingeweiht. Trotz des Einsatzes von Freiwilligen werde das Projekt Milliarden verschlingen, so die Kritiker. Geld, das die Ukraine eigentlich nicht habe.

Von Florian Kellermann | 06.10.2014
    Freiwillige bauen im Nordosten der Ukraine, in der KharkivRegion am 11 September 2014 an einem Schutzwall.
    Freiwillige bauen in der Ukraine, in der Kharkiv-Region, an einem Schutzwall. ( EPA/Sergey Kozlov )
    Was die Regierung "Mauer" nennt, ist eigentlich ein zwei Meter hoher Metallzaun, darüber Stacheldraht, der unter Strom steht. Auf ukrainischer Seite ist außerdem ein Betonsockel mit einem Graben geplant - drei Meter breit und zwei Meter tief.
    Diese Befestigung soll den Ukrainern Sicherheit geben, sagt Innenminister Arsenij Awakow:
    "Wir arbeiten permanent an dem Projekt. Der Ministerpräsident trifft sich regelmäßig mit den Verantwortlichen. In den kommenden Tagen werden wir einen ersten Abschnitt fertigstellen. Zusammen mit einer modernisierten Grenzpolizei wird das Projekt einen effektiven Schutzmechanismus ergeben. So etwas wie im Frühling wird dann nicht mehr passieren: dass wir die Kontrolle über die Grenze verlieren."
    Experten halten das Projekt "Mauer" für Aktionismus
    Tatsächlich wühlen im Norden des Landes, wo es keine Kämpfe gab, schon Spezialbagger an der Grenze die Erde auf. Doch viele Experten halten das Projekt "Mauer", auf Ukrainisch "Stina", für Aktionismus. Filme des russischen Militärs zeigen, wie leicht Panzer so ein Hindernis überwinden können. Außerdem ist die ukrainisch-russische Grenze 2.200 Kilometer lang - mit völlig unterschiedlichen geologischen Bedingungen, sagt Mykola Sunhurowskyj, Militär-Experte des Razumkow-Zentrums.
    "Ein wie auch immer gearteter Zaun ist ja nur dort möglich, wo es einen halbwegs ebenen, festen Untergrund gibt. Aber zwischen unseren Ländern gibt es auch eine Verbindung über das Meer. Und in manchen Gegenden liegen Sümpfe zwischen den beiden Ländern. Außerdem kann die Ukraine die Grenze nur dort befestigen, wo sie diese auch kontrolliert."
    Im Moment bringt das Projekt "Mauer" also gar nichts. Die Separatisten beherrschen über 150 Kilometer Grenze zwischen Luhansk und dem Asowschen Meer. Viel dringender für die Ukraine wäre es also, das Militär zu stärken. Für den Fall, dass der Waffenstillstand nicht hält, sollte es weitere Landgewinne der separatistischen Kämpfer verhindern können. Dafür muss die Staatsführung zum einen die völlig veraltete Militärtechnik erneuern. Bisher exportierten die ukrainischen Rüstungsbetriebe fast ihre gesamte Produktion, nun bleibt sie größtenteils im Land. Zum anderen müssen die Streitkräfte dringend neu organisiert werden, so Mykola Sunhurowsky:
    "Wenn es darum, strategisch wichtige Punkte einzunehmen, dann haben sich früher alle stellvertretenden Kommandeure der beteiligten Einheiten getroffen und beraten. Die Aufklärung, die betreuenden Ingenieure, die Luftabwehr, die Logistiktruppe und so weiter. Aber bei uns kommt einfach der Befehl zum Angriff an ein Bataillon. Und die Soldaten bleiben ohne Küche, ohne Munitionsnachschub, ohne Evakuierungsplan. Das widerspricht allen Regelwerken der Militärkunst. Jetzt wäre Zeit, daran etwas zu ändern, aber nichts geschieht."
    In den Freiwilligenbataillonen macht sich Unmut breit
    Präsident Petro Poroschenko bindet weder die ukrainischen Militärexperten ein, noch sucht er nach den Verantwortlichen für die schweren Niederlagen Ende August. Vor allem die Ereignisse bei der Stadt Ilowajsk haben die Ukraine erschüttert: Tausende Uniformierte gerieten in einen Kessel. Das Verteidigungsministerium behauptet, knapp über 100 Ukrainer seien dort gestorben, tatsächlich dürfte die Zahl um ein Vielfaches höher liegen.
    Vor allem bei den eigentlich hoch motivierten Freiwilligenbataillonen macht sich Unmut breit. Die meisten von ihnen haben immer noch keinen offiziellen Status als Uniformierte, sie sind also nicht abgesichert. Roman aus der Westukraine, der eine kleine Gruppe von Kämpfern anführt, hat seinen Einsatz im Osten komplett selbst finanziert:
    "Wir haben im Winter den alten Präsidenten gestürzt, wir können auch den neuen stürzen. Zurzeit nähern wir uns langsam, aber sicher diesem Siedepunkt. Je mehr wir uns verraten und als Kanonenfutter missbraucht fühlen, desto aggressiver werden wir."
    In Regierungskreisen sind solche Äußerungen bisher nicht angekommen.