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Ukraine
Wachsende Kritik an Freiwilligen-Bataillonen

Ohne die Freiwilligen-Bataillone wäre die Ukraine vor einem Jahr kaum in der Lage gewesen, die separatistischen Kämpfer zurückzudrängen. Heute jedoch werden diese Verbände zum Problem, denn sie entziehen sich der Kontrolle aus Kiew. Hinzu kommen immer neue Vorwürfe über schwere Straftaten und mafiaähnliche Strukturen.

Von Florian Kellermann | 10.06.2015
    Zwei Angehörige des ukrainischen Freiwilligen-Battalions "Ajdar" schießen während eines Trainings mit einer Panzerabwehrrakete des Typs RPG (genauer Ort und Datum unbekannt).
    Angehörige des ukrainischen Freiwilligen-Battalions "Ajdar" schießen während eines Trainings mit einer Panzerabwehrrakete des Typs RPG (genauer Ort und Datum unbekannt). (dpa / picture alliance / Jan A. Nicolas)
    Das ukrainische Freiwilligen-Bataillon Ajdar war eines der ersten, das sich im vergangenen Jahr formierte. Viele, die zuvor auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew gegen die Polizei gekämpft hatten, traten ihm bei. Schon im Frühling kämpfte das Bataillon in der Nähe der Stadt Schastja gegen Separatisten - unter Führung des damaligen Kommandanten Serhij Melnitschuk.
    Vor wenigen Tagen hob das ukrainische Parlament die Immunität von Melnitschuk auf - er war inzwischen Abgeordneter geworden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem den illegalen Handel mit eintausend Maschinengewehren vor.
    Laut Hennadij Moskal ist das nur die Spitze des Eisbergs. Moskal ist Gouverneur des weitgehend von Separatisten besetzten Bezirks Luhansk und hat von vielen Verbrechen des Bataillons Ajdar erfahren.
    "Schon etwa 30 Ajdar-Kämpfer sind festgenommen worden, wegen brutaler Morde, wegen Erschießungen, wegen Entführungen. Sie gehen auch gegen ukrainische Beamte vor. So haben sie das Haus eines Landrats beschossen, dessen Frau Vorsitzende des Regionalgerichts ist."
    Moskal hat der Staatsanwaltschaft jetzt eine Liste mit 65 solcher Straftaten übergeben - und auch das sei nur ein Bruchteil, sagte er. Aus der Liste ergibt sich, dass zumindest ein Teil des Bataillons wie eine skrupellose Mafia-Organisation vorgeht. Immer wieder plündern Männer in Uniformen Wohnungen und verschleppen Menschen, um von den Angehörigen Lösegeld zu erpressen. Die Verantwortlichen von "Ajdar" betonen, dafür seien nur einige wenige Mitglieder verantwortlich. Das Bataillon werde bei der Aufklärung der Vorfälle mithelfen, versicherten sie.
    Amnesty International hatte die Ukraine schon im vergangenen August aufgefordert, die Freiwilligenbataillone zur Ordnung zu rufen. Vor kurzem wiederholte die Menschenrechts-Organisation in einem Bericht: Nicht nur die Separatisten - auch ukrainische Kräfte folterten immer wieder Gefangene.
    Freiwilligenbataillone verlieren an Rückhalt
    Tetjana Mazur, die Leiterin von Amnesty International in der Ukraine:
    "Leider sind das keine neuen Phänomene in der Ukraine. Wir beobachten seit zehn Jahren, wie etwa die Polizei mit Festgenommenen umgeht. Sie foltert systematisch und in großem Maßstab. Kaum ein Polizist wird dafür zur Rechenschaft gezogen."

    Aber die Menschen reagieren immer wieder empört auf solche Berichte - und so verlieren heute Freiwilligenbataillone wie "Ajdar" an Rückhalt. Auch andere Bataillone kommen in die Kritik. Erst am vergangenen Wochenende griffen Mitglieder des Verbands "Rechter Sektor" eine Demonstration in Kiew an: Homosexuelle traten für gleiche Rechte ein. Die vermummten Randalierer schossen mit Feuerwerkskörpern, ein Polizist wurde schwer verletzt. Zuvor hatte der Anführer des "Rechten Sektors" Dmytro Jarosch dazu aufgefordert, die Demonstration zu verhindern. Homosexuelle seien Perverse und Feinde der traditionellen Familie, so seine Begründung.
    Der Anführer des Rechten Sektors in der Ukraine, Dmitri Jarosch, bei einer Pressekonferenz
    Der Anführer des Rechten Sektors in der Ukraine, Dmitri Jarosch, war auch Kandidat für das Präsidentenamt. (picture alliance / dpa/ Sergey Starostenko/RIA Novosti)
    Die ukrainische Regierung bemüht sich, die Freiwilligenbataillone unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie sollten ein Teil der Armee werden, sagt Oleh Bondartschuk, Politiker der Freiheits-Partei, die das Bataillon "Kartpatska Sitsch" gegründet hat.
    "Wir müssen regeln, auf welcher Grundlage die Freiwilligenbataillone weiter bestehen können. Das ist auch für die Freiwilligen selbst wichtig. Denn bisher sind sie offiziell keine Soldaten, bekommen keine Vergünstigungen und werden später auch keine Veteranen."
    Inzwischen haben alle großen Freiwilligenverbände grundsätzlich zugestimmt, in die Armee einzutreten. Einige haben dies bereits getan, darunter das Bataillon "Ajdar". Doch vorerst ist diese Maßnahme rein formal: Die alten Kommandostrukturen bleiben erhalten. Denn die ehemals Freiwilligen vertrauen den Offizieren der Armee nicht, sie erkennen nur ihre Kommandanten als Autoritäten an. Andere Bataillone haben den Beitritt noch gar nicht vollzogen. Dmytro Jarosch vom "Rechten Sektor" fordert für seine Formation erst eine Autonomie innerhalb der Armee. Dafür ist er auch bereit zur Konfrontation: Als eine Spezialeinheit des Militärs im April den Stützpunkt des "Rechten Sektors" umstellte, weigerten sich die Freiwilligen, ihre Waffen abzugeben. Die Armee gab klein bei und zog wieder ab.