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Ukraine
Was die Gesellschaft trotz Krieg zusammenhält

Das multimediale Magazin "Ukrainer" erzählt verborgene Lebensgeschichten aus allen Teilen des Landes. Das Ziel: Die Ukrainer sollen einander und ihre Heimat besser kennenlernen. Inspiriert wurden die Macher von den Maidan-Umbrüchen vor fünf Jahren.

Von Peter Sawicki | 13.03.2019
Bogdan Logvynenko, Mitgründer des multimedialen Magazins "Ukrainer" steht vor einem Plakat "Ukrainer"
Bogdan Logvynenko, Mitgründer des multimedialen Magazins „Ukrainer“ (Deutschlandradio / Peter Sawicki)
Große Geschichten entstehen manchmal am Schreibtisch. An einem grauen Vormittag tippt Mykola Nossok auf die Leertaste seines Laptops und spielt ein Video ab. Zu sehen ist ein Fährmann, der gerade einen Anker lichtet.
Mykola Nosok ist Regisseur beim Reisemagazin "Ukrainer". Es porträtiert verborgene ukrainische Lebensgeschichten. Wie die des Fährmanns auf dem Fluss Dnister irgendwo im Südwesten des Landes, im Grenzgebiet zur Republik Moldau. Brücken gibt es dort keine, was dem Fährmann seine Arbeit sichert.
Die Erzählungen von "Ukrainer" folgen einem klaren Schema, erklärt Nosok: "Wir haben das Format des Videoblogs. Darin zeigen wir hintergründig, wie das Team durch die Ukraine reist. Ein Film beginnt in der Regel mit Aufnahmen vom Sonnenaufgang. Danach bewegen wir uns von Szene zu Szene und erzählen so die Geschichte des jeweiligen Ortes."
Freiwillige übersetzen das Magazin in acht Sprachen
"Ukrainer" hat eine Website und ist in den sozialen Medien präsent. Auf Facebook hat das Magazin mehr als 80.000 Abonnenten. Es finanziert sich über Sponsoren und Crowdfunding. Neben den Filmen gibt es Fotostrecken und Texte. Sie werden von Freiwilligen in acht Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche. Mitgründer Bogdan Logvynenko beschreibt das Kernanliegen:
"Unser Ziel ist, Wissen über die Ukraine zu sammeln. Um es dann in erster Linie mit Ukrainern zu teilen. Aber auch mit einem internationalen Publikum. Wir möchten Traditionen und Lebensweisen schildern – Geschichten also, die ein buntes Bild der jeweiligen Region zeichnen."
Knapp 60 Expeditionen hat "Ukrainer" seit Herbst 2016 unternommen. Das Team hat über Menschen berichtet, die ins Gebiet nahe Tschernobyl zurückkehren, außerdem vom Steppen-Naturpark Askania-Nowa nahe der Krim erzählt und in Ushgorod in den Karpaten das wohl einzige indische Stadtviertel in der Ukraine besucht.
"Alles Gute kam aus Moskau"
Für Autor Logvynenko ist "Ukrainer" mehr als ein Magazin. Es ist ein Projekt, wie er sagt, das den kulturellen Reichtum des Landes zeigen soll:
"Die Sowjetunion war enorm zentralisiert - alles Gute kam aus Moskau, hieß es damals. Für die vielen ukrainischen Regionen war in der Wahrnehmung kaum Platz. Auch für mich war die Ukraine früher viel unbekannter. Wir haben jetzt aber etwa bulgarische und albanische Gemeinden entdeckt und sehen die große Vielfalt hier. Für mich liegt darin die Kraft des Landes."
Bogdan Logvynenko ist ein Globetrotter. Etwa 50 Länder hat er schon bereist. Er hat in Indonesien und Malaysia gelebt. Doch dann brachte ihn ein Ereignis dazu, seine Heimat näher zu erkunden:
"Im Kern hat uns der Maidan inspiriert. Wir haben 2014 erkannt, dass wir uns nicht genug um unser Land kümmern. Ich hatte damals im Ausland gelebt und mich selbstkritisch gefragt: Interessiere ich mich wirklich ausreichend dafür, was in der Ukraine passiert?"
Von den politischen Entwicklungen seit den Maidan-Umbrüchen ist das "Ukrainer"-Team enttäuscht. Sie hoffen aber, dass viele Landsleute das Potenzial und damit den Wert der Ukraine erkennen. Bogdan Logvynenko möchte auch, dass die Ukraine im Ausland besser bekannt wird - über den Krieg im Donbass hinaus:
"Es gibt viele Stereotype, und das ärgert uns. Durch den Krieg wissen viele Menschen wenigstens, dass die Ukraine existiert. Aber das reicht natürlich nicht, um zu verstehen, was sie ausmacht. Genau das aber möchten wir vermitteln.
Und Regisseur Mykola Nossok bemerkt, dass er heute teilweise besser informiert ist, als ein prominentes Onlinelexikon: "Für mich war es interessant, Polissja in der Nordukraine zu bereisen. Das ist meine Heimatregion. Dort gibt es Imker, deren Arbeitsweise laut Wikipedia seit 200 Jahren quasi tot ist. Wir haben aber gesehen, dass das nicht so ist. Mich hat diese Entdeckung besonders gefreut."