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Ukraine
Wie der Krieg den Fußball verändert

Wenn sich der FC Liverpool und Real Madrid im Champions-League-Finale in Kiew gegenüberstehen, möchte die Uefa damit ein Zeichen der Solidarität setzen. Der Krieg im Osten der Ukraine hat den Alltag der Menschen auf den Kopf gestellt - und auch die beliebteste Sportart, den Fußball.

Von Ronny Blaschke | 20.05.2018
    Sorja Luhansk spielt in der Arena von Saporischschja gegen Schachtor Donezk. Beide Vereine haben durch den Krieg in der Ostukraine ihre Heim-Spielstätten verloren.
    Durch den Krieg in der Ostukraine kann der Verein Sorja Luhansk nicht mehr zuhause spielen - entsprechend leer sind die Ränge. (imago sportfotodienst)
    In der Fankurve, umgeben von Freunden, hinter wehenden Fahnen mit dem Vereinslogo, so fühlt sich Igor Kovtun wohl. Doch die Fankurve musste dem Krieg weichen. Ihr Verein Sorja Luhansk floh aus dem Osten der Ukraine. Prorussische Separatisten hatten ihre Heimatstadt in eine "Volksrepublik" verwandelt. Sorja bestreitet seine Heimspiele nun in der Fremde, im westlichen Lwiw oder im südlichen Saporischschja. Viele westlich orientierte Fans haben die Industriestadt Luhansk verlassen. Sie waren von russischen Truppen bedroht und attackiert worden.
    Der IT-Entwickler Igor Kovtun lebt nun im zentralukrainischen Poltawa: "Mein Verein wurde für mich noch wichtiger. Weil er ein starkes Symbol für unsere Stadt ist. Über den Fußball können wir uns mit Luhansk identifizieren, das stärkt das Gemeinschaftsgefühl und den Durchhaltewillen unserer Gruppe."
    Fußballfankultur als "Plattform für Patriotismus"
    Auf Einladung des Fußballkulturvereins "Gesellschaftsspiele" sprach Igor Kovtun bei einer Veranstaltung in Berlin. 2014, im Alter von 23 Jahren, hatte er Luhansk verlassen, kurz nach der Annektierung der Krim. Wie andere Ultras schloss er sich der ukrainischen Armee an. In den Waffenkammern sah er dutzende Sticker von Fußballklubs. Die Fankultur sei eine Plattform für Patriotismus, sagt Kovtun. Selbst rechte Fans würden ihre Haltung überdenken:
    "Es gibt einen Wandel. Viele Ultras haben endlich eingesehen, dass nicht Menschen mit anderer Hautfarbe für ihre Probleme verantwortlich sind. Sondern dass diese durch Korruption, Machtmissbrauch und politische Unfähigkeit verursacht wurden. Viele junge Leute wollen das nicht mehr akzeptieren. Sie sind von zu Hause ausgezogen und haben eigene Geschäftsideen entwickelt. Das ist ein pragmatischer Weg."
    Fußballfans bei den Maidan-Protesten
    Eine Zäsur für die Ukraine war der Euromaidan ab November 2013. An den Bürgerprotesten gegen den damaligen prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch beteiligten sich auch Fußballfans. Rechte Hooligans von Dynamo Kiew und linke Ultras von Arsenal Kiew schützten Demonstranten vor Regierungstruppen. Viele von ihnen leben seitdem gefährlich, weil sie auf "schwarzen Listen" der Separatisten stehen. Die Fangruppen verzichten derweil auf das Ausleben ihrer Rivalität.
    Der Journalist Thomas Dudek berichtet unter anderem für Spiegel Online über den osteuropäischen Fußball: "Das Ganze hat dazu geführt, dass es in den Stadien friedlicher geworden ist. Man hat Kontakt miteinander. Es gab zum Beispiel einen Fall vor einem halben Jahr, dass Ultras von Sorja Lugansk im Knast saßen. Und da wurde in allen ukrainischen Stadien demonstriert und protestiert, dass die freikommen. Am Ende hat das auch geklappt."
    Weniger Zuschauer, Vereine im Exil
    Seit dem Krieg in der Ost-Ukraine ist der Zuschauerschnitt in den Stadien noch weiter gesunken. Familien bleiben fern und ein erfolgreicher Verein wie Metalist Charkiw verschwand ganz von der Bildfläche. Der Klubbesitzer, ein Oligarch, hatte sich nach Russland abgesetzt. Charkiw ist nun Exilspielstätte von Schachtar Donezk, dem erfolgreichsten Verein der Ost-Ukraine. Auch das moderne Stadion und der Flughafen in Donezk waren beschossen worden. Der Journalist und Osteuropa-Aktivist Ingo Petz hat etliche Ultras kennengelernt, die sich der Armee angeschlossen haben:
    "Die sind natürlich auch zurückgekommen, häufig auch radikalisiert, traumatisiert, mit Kampferfahrungen. Und mittlerweile ist es leider auch so, dass rechtsextreme Parteien versuchen, die für sich zu gewinnen und zu instrumentalisieren. Ansonsten haben Verbände und der Staat kein Interesse an diesen Leuten. Was sehr schade ist, weil wir sehr aktive Fans kennengelernt haben, die tatsächlich etwas ändern wollen - die auch eine Demokratisierung der Fankultur wollen."
    Fußballfans werden aktiv
    In Berlin finden seit 2014 regelmäßig Seminare und Exkursionen statt, mit ukrainischen, russischen und weißrussischen Fans und Journalisten. Verantwortlich dafür ist die "Fankurve Ost", ein Projekt innerhalb des Vereins "Deutsch-Russischer Austausch". Einer ihrer Gründer, Ingo Petz, diskutiert mit den Teilnehmenden immer wieder über Möglichkeiten der Beteiligung. Die Klubs, die von Staatskonzernen und Oligarchen gelenkt werden, lassen diese selten zu. In Deutschland sind mittlerweile viele Fangruppen politisch aktiv, durch Proteste, Gedenkstättenfahrten oder Veranstaltungen. In Osteuropa ist das noch undenkbar, sagt Petz:
    "Dieser Begriff der Politik ist komplett verbrannt. Also in Belarus beispielsweise oder eben auch in Russland unter Putin, und auch in der Ukraine noch zu Zeiten von Janukowitsch. Wenn man zu Demonstrationen geht, landet man relativ schnell im Gefängnis. Und über den Fußball, der erstmal sehr unpolitisch ist, schafft man es natürlich, diese jungen Leute zu interessieren. Und man bekommt Leute, die nicht in diesem zivilgesellschaftlichen Feld in Osteuropa sowieso schon unterwegs sind."
    Durch die "Fankurve Ost" ist ein Austausch von Ideen entstanden. Teilnehmer des Seminars entwickeln in der Ukraine Projekte. Für die Resozialisierung von jungen Strafgefangenen, für Fan-Kommunikation oder für Übernachtungsmöglichkeiten am Wochenende des Champions-League-Finales in Kiew. Und das könnte erst der Anfang sein.