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Ukrainische Flüchtlinge in Weißrussland
Keine Hoffnung auf Rückkehr

Seit 2015 bekämpfen sich im Osten der Ukraine prorussische Streitkräfte und ukrainische Regierungstruppen. Vor den kriegerischen Auseinandersetzungen sind Tausende geflohen. 160.000 Menschen wurden allein dort vom Weißrussischen Roten Kreuz registriert. Zurück wollen und können sie nicht.

Von Thielko Grieß | 27.12.2017
    Blick auf die weißrussische Hauptstadt Minsk
    Von den rund 160.000 Geflüchteten in Weißrussland sind nach Angaben des Roten Kreuzes nur wenige Dutzend in Minsk oder der Hautstadtregion untergekommen. (dpa / picture alliance / Simon Daval)
    Da schläft sie, die kleine Diana. Walentina Guschewataja zeigt auf ein Bett, auf dem sich Diana, ihre jüngere Tochter, unter einer Decke zusammengerollt hat. Sie ist ein Jahr und neun Monate alt und wurde hier geboren, in Weißrussland. Walentina und ihr Mann Sergej hatten sich kurz vor ihrer Geburt zur Flucht aus der Ukraine entschlossen: "Wir haben die Gefechte und Explosionen gehört. Unsere Fensterscheiben klirrten - alle saßen auf gepackten Koffern."
    Damals wohnen sie wenige Kilometer entfernt von der Frontlinie in der Ukraine, auf der Seite, die von der ukrainischen Armee kontrolliert wird. Als der Kindergarten, den die ältere Tochter besucht, mehrmals wegen der Kämpfe geräumt wird, setzen sie sich in ihr Auto, packen fünf Taschen mit Kleidung ein und fliehen Richtung Nordwesten, nach Belarus, bis in die Hauptstadt Minsk. Hier erfahren sie spontane und großzügige Hilfe von Nachbarn und Zufallsbekannten: "Sie haben uns ihren Kühlschrank gegeben und zwei Hocker. Und wir haben andere gefragt, ob sie eine gebrauchte Waschmaschine hätten. Als wir sie abgeholt haben, haben wir gleich noch eine Menge anderer Sachen bekommen: einen Wasserkocher, ein Bügeleisen, einen Brotkasten, Tischdecken."
    Die neuen Nachbarn waren großzügig und hilfsbereit
    Auch eine Wohnung findet sich in einem ruhigen Vorort von Minsk, die früher einem Alkoholiker gehörte und verwahrlost war, aber inzwischen, nach viel investierter eigener Arbeit, wieder wohnlich ist. Medizinische Hilfe und Unterstützung organisierte das Weißrussische Rote Kreuz. Walentina hat inzwischen sogar Arbeit als Krankenschwester gefunden, Sergej hilft im Gegenzug Alten und Kranken in der Umgegend. Diese Familie hat viel Glück gehabt. Von den rund 160.000 Geflüchteten in Weißrussland sind nach Angaben des Roten Kreuzes nur wenige Dutzend in Minsk oder der Hautstadtregion untergekommen; die meisten leben im Süden in der Gegend der Stadt Gomel.
    "Man bekommt ein Haus gestellt, muss aber in der Landwirtschaft arbeiten. Wir haben auch überlegt, dort hinzufahren, es gibt noch andere Siedlungen für Flüchtlinge. Aber die Löhne sind sehr niedrig: etwa 100 Dollar monatlich."
    Für das Weißrussische Rote Kreuz erklärt dessen Generalsekretärin Olga Mytschko: Wir können den Schwächsten helfen, Familien, Alten, Invaliden, etwa jedem vierten Geflohenen, mit Gutscheinen oder auch Rechtsbeistand, doch für mehr reicht es nicht: "Wir bekommen keine Steuergelder. Wir machen Fundraising hier im Land, aber unsere Hauptpartner sind natürlich unter anderem internationale Spender, das Internationale Rote Kreuz und Rot-Kreuz-Verbände anderer Länder."
    Das Rote Kreuz in Weißrussland hilft den Flüchtlingen schnell und unbürokratisch
    In Kreisen von Hilfsorganisationen in Minsk heißt es: Die Spenden aus Europa fallen zusehends spärlicher aus, weil dort die Aufmerksamkeit eher auf Afrika oder Asien gelegt wird, weniger auf Weißrussland. Umso bedeutsamer ist es, dass das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Anfang 2018 zum ersten Mal in seiner Geschichte eine Vertretung in Minsk eröffnen will. Muhamed Chawzukow wird dort arbeiten und berichtet, dass die Zusammenarbeit mit den weißrussischen Helfern schon und gerade in den vergangenen Jahren enger geworden ist: "Es gibt Methoden, die ankommenden Personen zu erfassen, die Bedürftigsten unter ihnen zu identifizieren und die Daten zu verwalten. Dazu braucht es Fähigkeit und Wissen."
    Er lobt das Weißrussische Rote Kreuz: sehr organisiert, sehr verlässlich. Die Staatsmacht allerdings fürchtet angesichts der großen Gruppe von Flüchtlingen, es könnten die Falschen kommen, erklärt Oppositionspolitiker Anatolij Lebedko:"Die Staatsmacht ist vorsichtiger geworden, was diese Leute betrifft. Weil nicht nur Unterstützer Präsident Lukaschenkos kommen, sondern auch Unterstützer Putins." Ob Walentina Guschewataja mit ihrer Familie bleiben darf, erfährt sie im Frühjahr. Falls die weißrussischen Behörden ihren Aufenthalt verlängern. Zurück wollen sie nicht - denn an der Front wird nach wie vor geschossen.