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Ukrainische Soldaten
Fahnenflucht nach Russland?

Mehr als 400 ukrainische Soldaten und Grenzbeamte haben die Grenze nach Russland überschritten. Während Russland sie für Fahnenflüchtige hält, berichtete die ukrainische Regierung, dass die Streitkräfte unter dauerhaftem Beschuss gestanden hätten. Mit der Flucht nach Russland retteten sie ihr Leben.

Von Gesine Dornblüth | 05.08.2014
    Beide Seiten, offizielle Stellen in der Ukraine und in Russland, haben bestätigt, dass mehr als 400 ukrainische Soldaten und Grenzbeamte die Grenze nach Russland überschritten haben. Die Soldaten gehören zur 72. Brigade der ukrainischen Armee. Sie waren vor etwa einem Monat nahe der russischen Grenze von Separatisten eingekesselt worden. Versuche des ukrainischen Militärs, den Ring zu durchbrechen und eine Verbindung zu den nach Medienangaben insgesamt mehreren tausend eingeschlossenen Soldaten herzustellen, waren fehlgeschlagen.
    Russische Medien sprechen von Fahnenflucht
    Die russischen Medien sprechen von einer massenhaften Fahnenflucht. Ein Sprecher des russischen Geheimdienstes sagte: "Als sie die Grenze übertreten haben, haben sie erklärt, dass sie nicht länger kämpfen wollen und des Krieges müde sind." Mehr als die Hälfte der ukrainischen Soldaten wolle in Russland bleiben, sie hätten Asyl beantragt. Im russischen Staatsfernsehen heißt es, die ukrainischen Soldaten seien auf der russischen Seite mit Lebensmitteln, Wasser und frischer Wäsche ausgestattet worden. Sie hätten sogar duschen dürfen.
    Ein Uniformierter äußerte sich vor der Fernsehkamera: "Wir wurden aufgenommen wie Freunde. Wir haben zu essen und zu trinken bekommen. Wenn mich jetzt jemand zuhause sieht: Mir geht es gut." Ein anderer Soldat: "Wir sind schon fast ein halbes Jahr im Feld und einfach sehr erschöpft. Hier ist es sehr komfortabel. Ich denke, wir können nach Hause zurückkehren, und zwar mit anderen Eindrücken von der russischen Armee und von Russland."
    Die Bilder passen der russischen Regierung gut ins Konzept. Sie leugnet eine russische Beteiligung an dem Konflikt in der Ostukraine und spricht stattdessen von einem Brudermord. Außenminister Sergej Lawrow sagte, die Flucht der ukrainischen Soldaten belege, dass dieser Brudermord nicht hinnehmbar sei.
    Dauerhafter Beschuss
    Die ukrainische Regierung weist die russische Darstellung zurück. Andrej Lysenko, Sprecher des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, sagte, die ukrainischen Soldaten und Grenzer hätten sich keineswegs freiwillig, sondern gezwungenermaßen auf russisches Gebiet begeben. Es sei darum gegangen, Leben zu retten. Man sei in Kontakt mit den Soldaten. Sie hätten kein Asyl in Russland beantragt.
    Nach Angaben des dem ukrainischen Verteidigungsministerium nahestehenden Informationszentrums Inforesist waren die Soldaten der 72. Brigade und die Grenzsoldaten dreieinhalb Stunden ununterbrochen von Panzern, Artillerie und Minenwerfern beschossen worden.
    Russische Truppen an der Grenze zur Ukraine
    Unterdessen berichtet die "New York Times" unter Berufung auf westliche Regierungsvertreter, Russland habe die Zahl seiner Soldaten an der Grenze zur Ukraine fast verdoppelt. Die Rede ist von rund 20.000 Soldaten. Nach Angaben der Zeitung handelt es sich um eine "gefechtsbereite Streitmacht" inklusive Infanterie, Artillerie und Luftabwehr.
    Die russische Luftwaffe hat ein erneutes Manöver im Süden Russlands begonnen, das sich auch auf die grenznahen Gebiete erstrecken soll. Experten sind sich uneinig, ob es sich bei diesen Schritten um eine Drohkulisse handelt, oder ob sich Russland eventuell doch auf einen offiziellen Einmarsch in der Ostukraine vorbereitet. Der russische Föderationsrat hat die Genehmigung für einen solchen Schritt allerdings Ende Juni aufgehoben.